Frage an Heribert Hirte von Hendrik S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Prof. Hirte,
wie stehen Sie zum erneuten Versuch der Einführung der Vorratsdatenspeicherung? In meinen Augen bleibt die geplante anlasslose Massenüberwachung sämtlicher Telekommunikation und Aufenthaltsorte einen Beweis zur wiksamen Terrorbekämpfung schuldig. Zumal EUGH und BVG vorigen Plänen eine Absage erteilt haben, da sie sämtliche Bürger unter Generalverdacht stellten.
Wie ist der Wunsch nach einer Kontrollgesellschaft mit freiheitlichen Grundsätzen vereinbar?
Mit freundlichen Grüßen
Hendrik Spree
Sehr geehrter Herr Spree,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage.
Lassen Sie mich darauf zunächst hinweisen, dass einige der in Rede stehenden Daten schon jetzt durch die Telefonanbieter „freiwillig“ gespeichert werden - und teilweise sogar aus Gründen des Vertragsrechts gespeichert werden müssen. Eine gute (wenn auch nicht „rechtssichere“ oder völlig aktuelle) Übersicht über die Speicherpraxis erhalten Sie auf: http://wiki.vorratsdatenspeicherung.de/Speicherdauer#Speicherdauer_.28.C3.9Cbersicht.29 sowie http://www.vorratsdatenspeicherung.de/images/leitfaden_datenzugriff_voll.pdf#page=27 . Von diesen heute gespeicherten Daten darf auch nach bisheriger Rechtslage schon ein großer Teil zu Zwecken der Strafverfolgung abgerufen werden (siehe auch zweites verlinktes Dokument).
Andererseits ist es uns - natürlich - bewusst, dass man zur Vermeidung der Entdeckung von Straftaten auch auf eine Nutzung von (auf bestimmte Personen registrierten) Handys und SIM-Karten verzichten und auch entsprechende Endgeräte und SIM-Karten nach jedem Gespräch wechseln kann. „Glücklicherweise“ wird jedoch nicht in allen Fällen der Schwerkriminalität entsprechend „professionell“ gearbeitet, sodass - wie bei dem Terroranschlag in Tunesien vor einigen Wochen - die künftig zu speichernden Daten einen wesentlichen Beitrag für die Ermittlung des hinter dem Täter stehenden Netzwerks leisten können.
Der von dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegte Gesetzesentwurf ( http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/Gesetze/RegE_Hoechstspeicherfrist.pdf?__blob=publicationFile ) stellt dabei nach meiner Ansicht einen sehr tauglichen Kompromiss zwischen dem Bedürfnis, schwere Straftaten aufzuklären - und damit durch die erlangten systemischen Erkenntnisse auch künftige besser verhindern zu können - und andererseits dem Grundrecht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung dar. Er nimmt meiner Ansicht nach auch die Hinweise von EuGH und Bundesverfassungsgericht auf - eine Ansicht, die offensichtlich auch vom Bundesrat getragen wird, der sich entschieden hat, zu dem Gesetz keine Stellung zu nehmen ( http://www.bundesrat.de/DE/plenum/plenum-kompakt/15/934/019.html?cms_selectedTab=section-1 ).
Trotzdem wird die Diskussion im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit damit wohl nicht am Ende sein. Gerade im parlamentarischen Verfahren können sich auch noch Änderungen bei diesem Gesetzesentwurf ergeben.
Darüber hinaus sehe ich aber selbst einen Diskussionsbedarf beim Thema der Datensicherheit, das aber meines Erachtens nicht an dieser Stelle zu adressieren ist.
Mit freundlichen Grüßen
Heribert Hirte