Frage an Heribert Hirte von Guido F.
Sehr geehrter Herr Prof. Hirte,
Sie haben am 21. Februar der zweistufigen Diätenerhöhung um insgesamt gut 10 % zugestimmt. Bestandteil dieses Beschlusses war auch, dass die Diäten zusätzlich an die Entwicklung der Bruttolöhne gekoppelt werden und ab 2016 dann jeweils zum 1. Juli auf der Basis der vom Statistischen Bundesamt berechneten Verdienstentwicklung für Beschäftigte in Deutschland steigen. Eine solche automatische Erhöhung der Abgeordnetendiäten auf Basis von Referenzwerten bezeichnete das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1975 in seinem "Diäten-Urteil" (BVerfGE 40, 296) als verfassungswidrig, denn ein solcher Automatismus sei "der Intention nach dazu bestimmt, das Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden."
War Ihnen bei der Abstimmung bewusst, dass der Beschluss zur Diätenerhöhung teilweise verfassungswidrig ist? Falls ja, warum haben Sie dann trotzdem zugestimmt?
Werden Sie nun vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die beschlossene automatische Erhöhung der Diäten klagen? Wenn nicht, warum wollen Sie nicht gegen den Beschluss der automatischen jährlichen Diätenerhöhung klagen?
Da Sie als Abgeordneter mit monatlichen Bezügen jenseits der 8.000 Euro noch eine zweistufige Anhebung Ihres üppigen Einkommens um jeweils mehr als einen vollen Hartz IV-Satz, zuzüglich künftiger jährlicher Steigerungen, für nötig halten, um einen angemessenen Lebensunterhalt bestreiten zu können, frage ich mich, in welchem Umfang die Große Koalition nun die ALG II- und die Hartz IV-Sätze anheben wird.
Oder gehen Sie ganz einfach davon aus, dass ein Bundestagsabgeordneter für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben jeden Monat einfach 20 mal mehr Geld benötigt als jemand, dem vom Arbeitsmarkt, aus welchen Gründen auch immer, eine Erwerbstätigkeit verwehrt wird?
Freundliche Grüße
Guido Friedewald
Sehr geehrter Herr Friedewald,
entschuldigen Sie bitte, dass Ihre Anfrage bei uns im Büro leider untergegangen ist; inhaltlich hatte ich allerdings den wesentlichen Teil Ihrer Frage schon mit meiner Antwort an Herrn Maiworm ( http://www.abgeordnetenwatch.de/prof_dr_iur_heribert_hirte-778-78195--f415106.html#q415106 ) beantwortet. Sollten Sie bei Ihrer nächsten Frage keine Antwort binnen zwei Wochen bekommen, zögern Sie bitte nicht, mich direkt über heribert.hirte@bundestag.de bzw. telefonisch unter 030/227-77830 zu kontaktieren.
Lassen Sie mich jetzt doch nun kurz zu Ihrer Frage der Verfassungsmäßigkeit kommen. Hier teile ich nicht Ihre Einschätzung, dass das vom Bundestag gewählte Verfahren verfassungswidrig ist. Entgegen Ihrer Aussage hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Diätenurteil (BVerfGE 40, 296) nicht entschieden, dass ein solcher Automatismus, welcher "der Intention nach dazu bestimmt, das Parlament der Notwendigkeit zu entheben, jede Veränderung in der Höhe der Entschädigung im Plenum zu diskutieren und vor den Augen der Öffentlichkeit darüber als einer selbständigen politischen Frage zu entscheiden", verfassungswidrig ist.
Vielmehr heißt es im entsprechenden Leitsatz des Urteils:
"6. Das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20 GG) verlangt, daß der Willensbildungsprozeß im Parlament, der zur Festsetzung der Höhe der Entschädigung und zur näheren Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen führt, für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird."
In dem entscheidenden Absatz (Tz 60) heißt es zudem:
" c) Im übrigen ist verfassungsrechtlich zu beanstanden, daß § 13 Abs. 2 LTG die Festsetzung des Höchstbetrages für die Entschädigung nach Absatz 1 Nr. 2 und der Pauschale nach Absatz 1 Nr. 3 sowie daß § 14 LTG die Festsetzung der Höhe der "sonstigen Entschädigungen", die Abgeordneten gewährt werden, dem Präsidium des Landtages zuweisen. Damit werden für den Abgeordneten wesentliche Teile seiner finanziellen Ausstattung in einem Verfahren festgesetzt, das sich der Kontrolle der Öffentlichkeit entzieht. In einer parlamentarischen Demokratie läßt es sich nicht vermeiden, daß das Parlament in eigener Sache entscheidet, wenn es um die Festsetzung der Höhe und um die nähere Ausgestaltung der mit dem Abgeordnetenstatus verbundenen finanziellen Regelungen geht. Gerade in einem solchen Fall verlangt aber das demokratische und rechtsstaatliche Prinzip (Art. 20 GG), daß der gesamte Willensbildungsprozeß für den Bürger durchschaubar ist und das Ergebnis vor den Augen der Öffentlichkeit beschlossen wird. Denn dies ist die einzige wirksame Kontrolle. Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich."
Hier sehen Sie bereits die Unterschiede: Während im Saarland das Präsidium des Landtags über die Höhe der Abgeordnetendiät entschieden hat, knüpft das vom Bundestag beschlossene Gesetz (relevante Auszüge siehe unten) an transparente und für den Bürger durchschaubare Kriterien an, nämlich den Nominallohnindex des Statistischen Bundesamtes. Zudem bedarf es in jeder neuen Legislatur einer weiteren Entscheidung des Bundestages, dieses Verfahren auch für die Zukunft fortzusetzen. Somit sind die Kriterien des Verfassungsgerichts meiner Ansicht nach erfüllt: Die Regelung ist transparent und wurde auch vor den Augen der Öffentlichkeit diskutiert und beschlossen; es findet gerade keine Festlegung der Höhe im Hinterzimmer statt.
Letztlich zeigt ja auch Ihre Frage, dass die Kontrolle durch die Öffentlichkeit funktioniert.
Ihr
Heribert Hirte
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Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengesetzes
Artikel 1 Änderung des Abgeordnetengesetzes
Das Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. November 2011 (BGBl. I S. 2218), wird wie folgt geändert: 1. § 11 wird wie folgt gefasst: „§ 11 Abgeordnetenentschädigung [...]
(4) Die monatliche Entschädigung nach Absatz 1 wird jährlich zum 1. Juli, erstmals zum 1. Juli 2016, angepasst. Grundlage ist die Entwicklung des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Nominallohnindex, den der Präsident des Statistischen Bundesamtes jährlich bis zum 31. März an den Präsidenten des Deutschen Bundestages übermittelt. Dieser veröffentlicht den angepassten Betrag der Entschädigung in einer Bundestagsdrucksache.
(5) Das Anpassungsverfahren nach Absatz 4 bleibt für eine neue Wahlperiode nur wirksam, wenn der Deutsche Bundestag innerhalb von drei Monaten nach der konstituierenden Sitzung einen entsprechenden Beschluss fasst. Wird innerhalb dieser Frist kein Beschluss gefasst, gilt für die Entschädigung der letzte nach Absatz 4 ermittelte Betrag, bis der Deutsche Bundestag das Anpassungsverfahren in einem Gesetz bestätigt oder ändert.“