Frage an Heribert Hirte von Stefan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Hirte,
wie sehen sie die Zusammenhänge der Debatte um eine Erhöhung der Abgeordneten-Diäten von insgesamt mehr als 9 % zur Debatte um die Frage, ob der Mindestlohn Flächen- und Branchen- deckend eingeführt werden soll?
Ich sehe eine deutliche Ungleichbehandlung der betroffenen Bevölkerungsgruppen. Ich sehe deutliche Unterschiede in der Möglichkeit beider Bevölkerungsgruppen Einfluss auf ihr Einkommen zu nehmen. Ich sehe Abgeordnete in der Pflicht sich um mehr als ihre Wähler zu kümmern und dies in der Zusammenschau beider Entwicklungen nicht erfüllt. Aus der dahinter liegenden Haltung entsteht eine Gefahr für unsere Demokratie! Die von unseren politisch ungebremsten Finanzeliten ausgehende rücksichtslose Selbstbedienungsmentalität ist offensichtlich auch bei den Abgeordneten angekommen. Und wer stoppt die?
Wie sehen sie das? Und wie werden sie sich zu beiden Fragen in den Abstimmungen verhalten?
Mit freundlichen Grüßen, S.Maiworm
Sehr geehrter Herr Maiworm,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage, der ich in den letzten Tagen häufig begegnet bin. Ich muss Ihnen Recht geben: Eine Erhöhung der Abgeordneten-Diäten in Zeiten, in denen Teile der CDU (ich eingeschlossen) die flächendeckende und branchenübergreifende Einführung eines Mindestlohnes explizit ablehnen, mag für einen Teil der Bevölkerung irritierend wirken.
Trotz allen Anscheins sehe ich aber zwischen beiden Fragen keinen Zusammenhang - und Politik sollte meiner Meinung nach nichts tun, nur um den "bösen Schein zu vermeiden". Ich stehe vielmehr für seriöse Politik, auch wenn sich diese erst auf den zweiten oder dritten Blick sich als sinnvoll und logisch herausstellt; Augenwischerei ist nicht meins.
Bei der Frage des Mindestlohns (es geht wohlgemerkt um einen nominalen Mindestlohn - und nicht darum, dass man in jedem Teil des Landes für seine Arbeit den gleichen Gegenwert an Kaufkraft erhält; oder einfacher gesagt, jeder bekommt zwar den gleichen Betrag, aber nicht jeder so viel, dass er sich jeweils die gleiche Menge Brötchen an seinem Wohnort kaufen kann !) sehe ich vor allem die Gefahr, dass in Bereichen, wo bisher weniger gezahlt wird, Arbeitsplätze verloren gehen. Auch könnte der Mindestlohn Schwarzarbeit befördern, um ihm aus dem Weg zu gehen oder sich in "unbezahlte Überstunden" verwandeln.
Zudem darf bei der Diskussion um einen einheitlichen Mindestlohn, wie bereits erwähnt, nicht vergessen werden, dass er natürlich kein Allheilmittel gegen Bezug von Sozialleistungen ist. Mit anderen Worten - ein Mindestlohn wird vielfach nicht verhindern können, dass jemand zum „Aufstocker“ wird. Zudem führen Lohnerhöhungen praktisch immer zu höheren Preisen; Gehälter, die zurzeit knapp über dem Mindestlohn liegen, können, wie das Beispiel Frankreich zeigt, auf den Mindestlohn sinken. Diese Argumente werden jedoch nicht von allen Mitgliedern meiner Fraktion und auch nicht von der SPD geteilt, so dass ich mich bei einer Abstimmung im Bundestag wahrscheinlich dem Votum der Mehrheit der Fraktionen und den Festlegungen im Koalitionsvertrag anschließen werde.
Bei der geplanten Diätenerhöhung von einer "rücksichtslosen Selbstbedienungsmentalität" zu sprechen - und sie mit Gehältern in der Finanzbranche (völlig wertneutral) gleichzusetzen halte ich für schlicht unsachlich. Die Gehälter in der Finanzbranche, die sie ansprechen, liegen in der Größenordnung von mind. 200.000 EUR (so die aktuelle Begrenzung der Boni auf GBP 124.000 für Berufsanfänger bei der Barclays Bank) bis weit in die Millionen; der Direktor einer durchschnittlichen Sparkasse verdient auch um die 300.000 EUR im Jahr (vgl. http://tool.handelsblatt.com/tabelle/index.php?id=124 ).
Bundestagsabgeordnete kommen zurzeit auf etwa 100.000 EUR im Jahr, was nun (gegen Abschläge bei der Altersversorgung) in Stufen auf etwa 109.000 EUR jährlich erhöht werden soll. Dies entspricht in etwa dem, was ein Richter am Bundesgerichtshof oder etwa am Bundessozialgericht und ein Landrat eines kleineren Kreises verdient; Juristen, die in einer der größeren Wirtschaftskanzleien anfangen (!), erhalten für Ihre Arbeit eine ähnliche Summe, die sich aber in den ersten Jahren oft nochmals jährlich um ca. 10 % erhöht.
Zudem ist es auch einfach falsch, dass man als Abgeordneter einfacher auf eine Gehaltssteigerung Einfluss nehmen kann als ein einfacher Angestellter, der Mindestlohn bezieht. Die Höhe der Abgeordnetendiät steht zum einen in der ständigen öffentlichen Diskussion - zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1975 Anhaltspunkte gegeben, in welcher Höhe sich die Diät bewegen sollte (nachzulesen unter http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv040296.html ) - bisher lag sie unter diesem Rahmen und wird nach Nullrunden 2004 - 2007 und 2010/11 wieder diesem angenähert. Zudem sind die Aufstiegschancen als Abgeordneter im Parlament begrenzt - eine finanzielle Zulage erhalten lediglich der Präsident und seine Stellvertreter und in Zukunft auch die etwa 16 Ausschussvorsitzenden (das sind etwa 25 herausgehobene "Dienstposten" bei z.Zt. 631 Abgeordneten).
Ein Arbeitnehmer, der Mindestlohn bezieht, hat da wesentlich deutlichere (prozentuale) Steigerungsmöglichkeiten. Ich bin davon überzeugt, dass in unserem Land für jeden durch Fortbildung, aber auch durch Bereitschaft, das Berufsfeld und den Arbeitgeber zu wechseln, deutlich mehr Chancen bestehen als den geplanten Mindestlohn zu verdienen.
Persönlich kann ich hier sagen, dass ich in der glücklichen Lage bin, auf die angestrebte Diätenerhöhung nicht angewiesen zu sein und durchaus auch mit der aktuellen Abgeordnetenversorgung mehr als zufrieden bin. Ich kann jedoch sehr gut den Wunsch vieler Kollegen im Parlament verstehen, sich eine höhere Entschädigung für ihre Tätigkeit zuzubilligen. Bedenken Sie bitte, dass es sich dabei um eine Entschädigung für eine Tätigkeit handelt, die bei vielen Kollegen und auch bei mir weit mehr als 60 Stunden in der Woche in Beschlag nimmt; zudem dient die Erhöhung der Entschädigung auch dazu, das Amt weiterhin attraktiv zu halten für Menschen in unserer Bevölkerung, die durch ihre persönliche Leistung, ihre Fähigkeiten und ihr Wissen außerhalb des Parlaments deutlich mehr verdienen würden.
Außerdem steht man in der Öffentlichkeit und die politische Karriere kann sich schnell in Luft auflösen, siehe Fall Friedrich. Es gibt keine Job-Garantie.
Seien Sie sicher, ich bin für die Möglichkeit dankbar, im Interesse des gesamten Volkes an der Gesetzgebung beteiligt zu sein, und es ist mir auch persönlich eine große persönliche Freude, einen kleinen Einfluss auf Zukunft unseres Landes nehmen zu können. In gleicher Weise kann ich Ihnen aber aus den ersten Monaten im Parlament berichten, dass die Arbeit hier - wie in jedem "normalen" Job - nicht immer "Vergnügungssteuer-"pflichtig ist.
Ihr
Heribert Hirte