Frage an Herbert Frankenhauser von Markus H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Frankenhauser,
aus welchen Gründen haben Sie gegen den Lissabon-Vertrag gestimmt?
Mit freundlichen Grüßen
Markus Helmreich
Sehr geehrter Herr Helmreich,
vielen Dank für Ihre Frage bei abgeordnetenwatch vom 12. Mai 2008 zu meinem Abstimmungsverhalten bei Vertrag von Lissabon. Nachfolgend möchte ich Ihnen einige Gründe nennen, die mich dazu bewogen haben, den Vertrag abzulehnen:
Während der Vertrag von Maastricht die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Innere Sicherheit und Justizpolitik als „zweite und dritte Säule“ zwar unter das Dach der Europäischen Union stellte, aber nicht vergemeinschaftete, sondern auf der Ebene der „intergouvernementalen“ Kooperation beließ, erhebt der Vertrag von Lissabon die Europäische Union zur Rechtspersönlichkeit auf der Ebene des Völkerrechts und vergemeinschaftet die bisherige „dritte Säule“. Die Außen- und Sicherheitspolitik einschließlich der Verteidigungspolitik und der Durchführung militärischer Missionen, insbesondere „Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung“ und militärische Terrorismusbekämpfung in Drittstaaten, gehören nach dem neuen Vertrag ebenso zu den Aufgaben der Europäischen Union wie Terrorismusbekämpfung im Innern, Asyl- und Einwanderungspolitik, Angleichung von Rechtsvorschriften im Zivilrecht und Erlass von „Mindestvorschriften“ im Strafrecht oder Strafverfolgung durch Staatsanwaltschaft und Polizei. Durch diese vorbehaltslose Konzentration von Macht wird der europäische Staatenbund in einen kontinentalen Zentralstaat verwandelt.
Diese neue Europäische Union des Vertrages von Lissabon beansprucht, über das bisherige EU-Recht hinaus, dass ihr Recht – nicht nur ihr im Vertrag von Lissabon formuliertes faktisches „Verfassungsrecht“, sondern auch jede Richtlinie und Verordnung – Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten, einschließlich deren Verfassungsrecht, hat. Damit ist für die Deutschen der letztverbindliche Schutz des Grundgesetzes und der Schutz der Länderverfassungen durch die deutsche Exekutive und die deutsche Gerichtsbarkeit zur Disposition gestellt beziehungsweise. beseitigt. Die vorbehaltlose Zustimmung zu diesem Vertrage entmachtet nicht nur die gewählte Volksvertretung, sondern auch das Bundesverfassungsgericht und überträgt die Kompetenz zur verbindlichen Entscheidung aller das Verhältnis zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten betreffenden Kompetenzfragen dem Gerichtshof der Europäischen Union. Die letztentscheidende „Kompetenz-Kompetenz“ – insbesondere für den Schutz der Grundrechte - liegt daher künftig nicht mehr in Karlsruhe, sondern in Luxemburg. Deshalb kann auch das im Lissabonvertrag beschriebene „Subsidiaritätsprinzip“ die Kompetenzfülle der Europäischen Union nicht wirksam begrenzen; auch über die Tragweite dieses „Subsidiaritätsprinzips“ entscheidet der ausschließlich den EU-Vertragszielen verpflichtete EU-Gerichtshof und nicht mehr das Bundesverfassungsgericht. Selbst das Verhältnis des EU- Gerichtshofes zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, bei dem Bundesbürger nach jahrelanger Verfahrensdauer noch Schutz vor Willkürakten europäischer Institutionen erstreiten könnten, ist völlig ungeklärt.
Mit der vorbehaltlosen Zustimmung zum Vertrag von Lissabon überschreitet der Bundestag die Grenzen der Integrationsermächtigung, die Art. 23 Abs. 1 GG formuliert und verstößt zugleich gegen unabänderliche Verfassungsprinzipien im Sinne von Art. 79 Abs. 3 GG. Zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien gehört nämlich die souveräne Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland. Diese wird aufgegeben, wenn – wie dies im Vertrag von Lissabon geschieht – die Kompetenz-Kompetenz für die letztverbindliche Entscheidung über den Umfang der Kompetenzen auf eine übernationale Instanz übertragen wird. Eine solche Entscheidung könnte nur das Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt – durch Volksabstimmung – treffen, nicht aber der verfassungsgebundene Gesetzgeber
Zu den unabänderlichen Verfassungsprinzipien der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen Länder gehört das Demokratieprinzip: Alle Staatsgewalt muss vom Volke ausgehen. Auch dieses Prinzip wird durch den Vertrag von Lissabon verletzt. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Maastricht-Urteil entschieden, dass im europäischen Staatenverbund nur dann eine hinreichende demokratische Legitimation gegeben sei, wenn diese maßgeblich von den Völkern der Mitgliedstaaten ausgehe und wenn auf der Ebene der Mitgliedstaaten den Parlamenten Entscheidungsbefugnisse von hinreichendem substantiellem Gewicht verblieben. Beides ist nach dem Vertrag von Lissabon nicht mehr der Fall: Die Entscheidungsbefugnisse der nationalen Parlamente werden ausgehöhlt, und die auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen können nicht mehr hinreichend von den Völkern der Mitgliedstaaten – über deren Regierungsvertreter im Rat – legitimiert werden, weil es auf deren Stimme nach dem Abschied vom Konsensprinzip zugunsten von Mehrheitsentscheidungen nicht mehr ankommt. Durch die Entleerung der Hoheitsgewalt der Bundesrepublik Deutschland wird vor allem auch das Grundrecht jedes Bürgers aus Art. 38 GG verletzt, durch seine Teilnahme an der Bundestagswahl an der demokratischen Legitimation der regierenden Hoheitsgewalt mitzuwirken und die Träger dieser Hoheitsgewalt nicht nur wählen, sondern auch abwählen zu können.
Dieser Verlust an demokratischer Legitimation wird durch die dem Europäischen Parlament zuerkannten zusätzlichen Mitentscheidungsrechte nicht annähernd kompensiert. Eine europäische Demokratie könnte nur von einem europäischen Staatsvolk ausgehen, das auf der Basis der demokratischen Gleichheit ein Parlament wählt, welches nach Wahlverfahren und Entscheidungszuständigkeiten im Unterschied zum Europäischen Parlament diesen Namen wirklich verdient.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Frankenhauser, MdB