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Henning Hintze
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Frage von Brigitta R. •

Frage an Henning Hintze von Brigitta R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Hintze,

mehr und mehr macht das Thema Afghanistan Schlagzeilen. Gerade hat die "Berliner Companie", die hier in Aachen am 1.9. den Aachener Friedenspreis erhalten hat, ein beachtenswertes Theaterstück "Die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch" auf die Bühne gebracht, in dem das nun schon Jahrzehnte lange Leiden der afghanischen Bevölkerung am Beispiel einer Familie verdeutlicht wurde.
Für mich besteht kein Zweifel daran, dass sich Deutschland schon längst in einem Krieg befindet, diesen nie hätte beginnen dürfen und ohne wenn und aber sofort Afghanistan verlassen muss.
Unabhängig von dieser Sichtweise frage ich mich aber, wer den zivilen Wiederaufbau, für den Ihre Partei ja eintritt,zum gegenwärtigen Zeitpunkt leisten könnte.NGOs werden dieses Vakkum nicht füllen können und die UNO wäre wieder eine Kraft, die von außen eingreift und deshalb nicht willkommen sein dürfte.. Besteht nicht die große Gefahr, dass die Taliban nach einem Abzug der Bundeswehr alles daran setzen werden, ihre Staatsidee durchzusetzen und damit z.B. die Frauenrechte und allgemein auch die Menschenrechte außer Kraft gesetzt werden, die Scharia eingeführt wird? Sehen Sie und Ihre Partei eine Möglichkeit, die Taliban an einen gemeinsamen Verhandlungstisch einzuladen?
Es besteht kein Zweifel, dass der Westen insgesamt eine Neuorientierung zu den Ländern des Südens finden und gerechte Handelsstrukturen und die Entschuldung der Entwicklungsländer schaffen muss, das aber wird lange Zeit in Anspruch nehmen. So sehr ich den Abzug aller Truppen aus Afghanistan befürworte, so sehr treibt mich die Frage um, welche tragfähigen Konzepte Ihre Partei hat, den zivilen Wiederaufbau in Afghanistan erfolgreich zu betreiben und dadurch das Land zu stabilisieren. Oder ist es sogar geboten, auf die "Selbstheilungskräfte" der Afghanen zu vertrauen und diesen Prozess auf Wunsch der Afghanen nur finanziell und mit "know how" zu begleiten?

Mit freundlichen Grüssen
Brigitta Reinhardt

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Reinhardt,

Sie sprechen etwas aus, was die Mehrheit der deutschen Bevölkerung denkt: Die Bundeswehr beteiligt sich in Afghanistan an einem Krieg, in den die Regierung sie an Anfang an nicht hätte schicken dürfen. Das fatale Wort des damaligen Verteidigungsministers Struck, unsere Freiheit würde am Hindukusch verteidigt, soll die deutsche Öffentlichkeit täuschen, aber das gelingt immer weniger. In der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung "freitag" ist nun erstmals auch ein Aufruf von 25 Künstlern und Intellektuellen zu lesen, der sich für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan im Laufe von zwei Jahren einsetzt. Endlich haben sich deutsche Künstler und Intellektuelle in dieser im wörtlichen Sinne brennenden Angelegenheit zu Wort gemeldet. Ich gehöre zu denen, die schon lange darauf gewartet hatten. Ich stimme vor allem zwei Sätzen dieses Aufrufs voll zu: "Der Gegner (in Affghanistan) ist keine Armee, sondern eine Kultur. Darum ist dieser Konflikt mit der Verstärkung eines militärischen Engagements nicht zu lösen."

Daß DIE LINKE darüber nachdenkt, in welchen Schritten der Abzug erfolgen kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Unsere Regierung hat uns aufgrund von Fehlbeurteilungen und/oder Willfährigkeit gegenüber dem damaligen US-Präsidenten Bush in diesem Krieg gezogen. Ich wüßte nicht, weshalb wir jetzt Vertrauen haben könnten, daß sie vernünftige und verläßliche Pläne für einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan erarbeitet. Also müssen wir selbst Gedanken machen.

Für völlig richtig halte ich, zunächst einmal die Wahrheit auszusprechen, daß deutsche Soldaten am Hindukusch nicht das geringste zu suchen haben. Das bedeutet aber natürlich keinen kopflosen Abzug, wie es uns die Regierungsparteien unterstellen. Ich stimme hier mit jenen Teilen der Linksfraktion überein, die einen Abzug in sechs bis zwölf Monaten für machbar halten.

DIE LINKE ist die einzige konsequente Antikriegspartei in Deutschland. Von ihr ist deshalb zu erwarten, daß sie über die voll bverechtigte Forderung "Bundeswehr raus auf Afghanistan" hinaus, Vorschläge macht, welche Schritte für erinen Friedensprozeß wichtig wären. Ich persönlich halte die folgenden für diskussionswürdig:

1. Sofortiger Stopp aller Luftangriffe
2. Sofortige Aufnahme von Verhandlungen zwischen der jetzigen Afghanischen Kabuler Regierung mit allen Gruppen des Widerstandes, d.h. Taliban plus X unter der Führung der UN und Einbeziehung regionaler Mächte,
3. Ersetzung der westlichen Truppen durch kleinere UN-Einheiten aus z. B. Indonesien, der Türkei, Ägypten und Marokko, alsdo vorwiegend muslimischen Staaten,
4. Ein Waffenstillstand muss das Ende aller Kampfhandlungen einschließlich der der Taliban beinhalten,
5. Eine Regierung der Nationalen Einheit könnte Neuwahlen organisieren,
6. Jene Länder, die in den vergangenen Jahren die Regierung Karsai mit Truppen unterstützt haben, müssen sich verpfichten, am zivieln Wiederaufbau Afghanistans zu beteiligen.

Ihre Befürchtung, daß die Taliban, wenn sie an der Macht beteiligt würden, sämtliche Frauenrechte wieder abschaffen würden, teile ich nicht. Kenner Afghanistans halten die Sympathien der Taliban in Afghanistan für sehr begrenzt. Die NATO-Truppen haben mit barbarischen Angriffen gegen die Zivilbevölkerung allerdings bewirkt, daß große Teile der Bevölkerung die Taliban inzwischen weniger fürchten als die NATO-Soldaten.

Zur Ihrer Frage zur Handelspolitik:
Ihre Ansicht, der Westen müsse insgesamt eine Neuorientierung zu den Ländern des Südens finden und gerechte Handelsstrukturen und eine Entschuldung der Entwicklungsländer schaffen, teile ich voll. Aufgrund meiner rund neunjährigen Arbeit in mehreren afrikanischen Ländern weiß ich aus eigener Anschauung, wie sehr die vom Westen vorgegebenen ungerechten Handelsstrukturen die meisten Länder des Südens seiner Entwicklungsmöglichgkeiten berauben. Die von der EU angestrebten Wirtschaftsabkommen (Economic Partnership Agreements) mit den früheren Kolonien europäischer Länder in Afrika, der Karibik und im Pazifischen Raum, den AKP-Staaten, die von der Bundesregierung voll unterstützt werden, sind in Wirklichkeit keine Partnerschaftsabkommen, sondern werden zur weiteren Verarmung Afrikas beitragen, weil sie von egoistischen Interessen Europas geleitet sind. Ich denke, daß diese Politik als unverantwortlich bezeichnet werden muß.

Mit freundlichen Grüßen
Henning Hintze