Helmut Scholz
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Frage von Simon K. •

Frage an Helmut Scholz von Simon K. bezüglich Naturschutz

Sehr geehrter Herr Scholz,
angesichts der dramatischen Umstände in Brasilien, sehe ich Handlungsbedarf. Ein Despot, der Brandrodung des Beantmungsgerätes der Welt (Amazonas) zulässt und durch Kürzung von Geldern fördert, muss die EU handeln. Was kann getan werden? Gerade durch das Mercosur-Abkommen kann die EU Druck aufbauen. Angesichts der Lage empfinde ich nur noch Weltschmerz.
Ist eine Blauhelm Mission notwendig?

Helmut Scholz
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Klanke,

herzlichen Dank für Ihre Nachfrage.

Ich stimme Ihnen zu, angesichts der andauernden und sogar noch zunehmenden Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes besteht dringender Handlungsbedarf. Von August 2019 bis Juli 2020 wurden nach vorläufiger Berechnung 34 Prozent mehr Fläche des Regenwaldes in der brasilianischen Amazonas-Region vernichtet als im selben Zeitraum 2018/19. Und dies war bereits eines der traurigen Rekordjahre. Der Lebensraum zahlreicher Tier- und Pflanzenarten sowie die Heimat für viele Menschen der indigenen Völker wird unwiderruflich zerstört. Damit setzt sich ein Prozess fort, der lange vor der gegenwärtigen Regierung des Präsidenten Bolsonaro begonnen wurde und mindestens bis in die dunkelsten Stunden der faschistisch-militaristischen Militärjunta, auf deren Erbe sich Bolsonaro heute beruft, reicht.

Angesichts des wichtigen Platzes, den das größte Land Südamerikas Brasiliens in der Weltwirtschaft einnimmt, stellt sich die Frage, wie Umweltschutz, wirtschaftliche Entwicklung und eine Fortsetzung des Kampfes gegen Armut auch durch internationale Partner des Landes wie die EU unterstützt werden können. Und damit der Abholzung Einhalt geboten werden kann. Das auch von der Bundesregierung immer wieder genutzte Argument, dass das Handelsabkommen EU-Mercosur Druck aufbauen wird, ist nicht nur fadenscheinig, sondern falsch. Denn dieses “Freihandelsabkommen”, das in ein Assoziierungsabkommen mit weitreichenden politischen Zusammenarbeitsstrukturen eingebettet ist, hat zwar ein gut geschriebenes Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung und erfasst damit die wichtigen Erfordernisse von Umweltschutz, Bekenntnis zum Pariser Klimaprotokoll, Menschenrechts- und Sozialstandards sowie beschäftigungspolitische Kriterien, enthält jedoch keine Vereinbarungen über Durchsetzungsinstrumente, inkl. eines auch von vielen Europa-Abgeordneten geforderten Sanktionsmechanismus. Damit wird eine Regierung wie die von Bolsonaro nicht an der weiteren Abholzung gehindert und führt damit auch nicht zu mehr Klimaschutz.
Ganz im Gegenteil wird ein Abkommen in dieser Form die Vernichtung des Regenwaldes noch weiter anheizen, zu Gunsten der weiteren land-/wirtschaftlichen Erschließung dieser Flächen. Denn das EU-Mercosur Abkommen zielt unter anderem darauf ab, den gegenseitigen Zugang zu den Märkten zollfrei zu machen, wirtschaftliche Entwicklung und Arbeitsplätze der Partnerstaaten zu sichern. Die Mercosur Staaten, insbesondere Brasilien und Argentinien, sehen im Export von Agrargütern eine Chance, dem Import von industriellen Gütern und Dienstleistungen aus der EU in ihre Volkswirtschaften etwas entgegensetzen zu können. Soja-Futtermittel, Bioethanol und auch Rindfleisch sind hier die Stichworte. Dafür, sowie für den steigenden Bedarf an Soja weltweit angesichts demographischer Entwicklungen und der Durchdringung globaler Märkte im Interesse der brasilianischen und anderen südamerikanischen Agrarmultis will die brasilianische Wirtschafts- und Politikelite zwangsläufig mehr Flächen.

Das jetzt im Prinzip vorliegende Abkommen ist sicherlich nicht der richtige Weg, eine Umdrehung dieser Entwicklungen und grundlegende Veränderungen einer auf weitere Liberalisierung der Märkte ausgerichtete Logik zu ermöglichen. Deswegen hinterfragt die Linksfraktion im Europaparlament das Abkommen und wird sich entschieden gegen seine Unterzeichnung durch den EU-Rat und eine Ratifizierung durch das Europäische Parlament stellen.

Doch vorerst sind die Mitgliedstaaten am Zug. Ende des Jahres soll der übersetzte Text vorliegen. Erste Staaten wie Irland, Niederlande oder Frankreich haben bereits ernsthafte Bedenken angekündigt. Innerhalb der deutschen Bundesregierung und auch im Bundestag bei den Koalitionsparteien und in Teilen der Opposition gibt es jedoch noch sehr unterschiedliche Sichten und keine Einigung, ob am Abkommen festgehalten werden soll. Bauen Sie gerne Druck gegenüber der Bundesregierung auf, sich gegen das Abkommen zu stellen, damit das Abkommen keine Mehrheit im Rat erhält. Denn wenn sich der Rat gegen Mercosur stellt, wird die EU-Kommission dieses nicht auf den Weg bringen können.
Stattdessen muss auf Dialog insbesondere mit der brasilianischen Regierung gesetzt werden, um Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen. Auch ein umfassendes Lieferkettengesetz auf EU-Ebene aber ebenso auf deutscher Ebene kann dabei helfen, die Einfuhr von klimaschädlich hergestellten Produkten zu verhindern, nur noch entwaldungsfreie Produkte zuzulassen und die Unternehmen dazu zu bewegen, ihre Lieferketten auf Nachhaltigkeit auszurichten. Das Europaparlament hat dazu gerade eine wegweisende Position angenommen. Auch hier stellt sich die deutsche Bundesregierung derzeit noch auf beiden Ebenen gegen die Umsetzung.

Doch wenn wir die massive Abholzung verhindern und tatsächlich bis 2050 klimaneutral werden wollen, müssen wir endlich ganz konkret aktiv werden und den entsprechenden verbindlich rechtlichen Rahmen schaffen! Und das ist nicht durch Waffen zu schaffen, sondern durch solidarische Unterstützung für all jene engagierten Bürger*innen in Brasilien, die sich der Zerstörung der Natur zugunsten privater Profite einiger weniger entgegenstellen und für die Durchsetzung der Menschenrechte in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens kämpfen.

Mit besten Grüßen

Helmut Scholz