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Helge Lindh
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Frage von Daniel F. •

Hallo Helge, ich wüsste gerne wie du am 23.06. im BT bei der Ablehnung des Antrages der Grünen zum Gruppenverfahren zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte (BT/9274) abgestimmt hast.1000Dank& VG Daniel F

Leider finde ich da keine konkreten Daten auf den Bundestagsseiten, außer deiner erhellenden Rede.
VLG aus dem Tal
D. F.

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Sehr geehrter Herr F.,

vielen herzlichen Dank für Ihre Frage bezüglich der Abstimmung zum Antrag der Grünen auf die Bundestagsdrucksache 19/9274! Der Antrag wurde nicht namentlich abgestimmt, daher hatte ich keine Gelegenheit, persönlich eine Stimme dazu abzugeben. Gemäß der Vereinbarung im Koalitionsvertrag haben die Regierungskoalitionen den Antrag der Opposition abgelehnt, wie mit jedem solchen Antrag geschieht. In der 19. Legislaturperiode gab es im Bundestag keine Mehrheit für eine gemeinsame Zustimmung mit z.B. der grünen Fraktion, auch wenn wir bei vielen Fragen, gerade im Migrationsbereich, übereinstimmende Positionen vertreten.

In diesem Fall hielt ich die Zustimmung zu diesem Antrag aber nicht für sinnvoll und ich möchte erläutern, warum. Der Antrag der Grünen enthielt technische Verbesserungsvorschläge, wie etwa eine Beweislastumkehr bei der Gefährdungsanalyse sowie Gruppenverfahren. Diese an sich sinnvollen Maßnahmen kamen aber viel zu spät, sie konnten an der Situation im (Früh-)Sommer 2021 leider nichts mehr ändern. Wie ich eingangs geschrieben habe, bedeutet eine mögliche Unterstützung seitens der SPD eine grundlegende Vertragsverletzung und käme eines Koalitionsbruchs gleich. Dieser enorm schwerwiegende Schritt wäre auch dann trotzdem erfolglos geblieben, denn die Stimmen der SPD, Grüne und evtl. Linken reichen nicht aus, um diesen Antrag anzunehmen.

Stattdessen haben wir alles versucht, um in Verhandlungen mit dem Koalitionspartner sowie mit den zuständigen Ministerien die Verfahren für die Aufnahme von Ortskräften aus Afghanistan zu erleichtern. Und dies nicht seit Juni 2021, sondern bereits länger als ein Jahr zuvor. Wir haben substantielle Verbesserungen erreicht, z.B. mithilfe von Fristverlängerungen, Vereinfachung im Verfahren aber auch durch die Einrichtung von Sondervisastellen, sodass allein im Frühjahr 2021 mehr als 2000 Ortskräfte und ihre Familienmitgliedern nach Deutschland reisen konnten. Die SPD-Bundestagfraktion hat lange darauf gedrängt, schnell Charterflüge nach Afghanistan sowie Visa on Arrival für die Ortskräfte zu ermöglichen. Dies konnten wir leider nicht durchsetzen, sodass alle Anstrengungen am Ende doch nicht genug waren. Insgesamt haben wir alle die Situation falsch eingeschätzt, sowohl die Geschwindigkeit unserer Evakuierungsaktionen, als auch den Widerstand der afghanischen Streitkräfte.

Während der militärischen Evakuierungsmission hat die Bundesregierung unter extrem gefährlichen Bedingungen seit dem 16. August 2021 über 5.300 Personen aus Kabul in Sicherheit fliegen können. Bei der Gruppe handelt es sich um über 530 deutsche Staatsangehörige sowie circa 4.400 Afghaninnen und Afghanen. Mit dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte aufgrund der sehr volatilen Sicherheitslage wurde die militärische Evakuierung abgeschlossen. Seitdem versuchen wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, die verbliebenen deutschen Bürger*innen und ihre Familien, Ortskräfte mit Familien sowie besonders gefährdete Personen, die sich für Demokratie, Frauen- und Menschenrechte, freie Medien und Meinungsfreiheit eingesetzt haben, Schutz zu bieten. Im Zuge dieser zivilen Evakuierung versucht das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium neben den Ortskräften auch weitere 2600 Afghaninnen und Afghanen aus Zivilgesellschaft, Medien, Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur, in Deutschland aufzunehmen. Eine solche humanitäre Aufnahme ist ein wichtiger und begrüßenswerter Schritt. Ich setze mich trotzdem dafür ein, dass diese Gruppe erweitert wird, denn noch sind die Kriterien hierfür sehr eng gefasst. Journalist*innen, Aktivist*innen oder Künstler*innen, die zwar keine direkte Verbindung zu Deutschland haben, trotzdem unsere Werte vertreten haben und deshalb gefährdet sind, brauchen auch unsere Unterstützung. Ebenso mache ich mich dafür stark, dass unter ihnen besonders engagierte Frauen sowie junge vulnerable Familien berücksichtigt werden. In den vergangenen Wochen haben mich hunderte Unterstützungsanfragen erreicht, für die ich mich gegenüber dem Auswärtigen Amt verwendet habe, darunter am prominentesten die jüngste Bürgermeisterin Afghanistans, Zarifa Ghafari.

Unsere Verantwortung denen gegenüber, die eine demokratische Zukunft in Afghanistan aufbauen wollten, bleibt. Deshalb setzen wir uns des Weiteren dafür ein, dass die bereits in Nachbarstaaten geflüchteten Personen unsere Unterstützung erhalten. Wir müssen für humane Aufnahme, Unterbringung und bestmögliche Versorgung in diesen Nachbarstaaten sorgen und diese bei der Integration der Menschen unterstützen. Auch wollen wir die Anrainerstaaten dazu bewegen, besonders schutzbedürftige Menschen aus Afghanistan zunächst aufzunehmen, die dann kurze Zeit später im Rahmen von Resettlement-Programmen nach Europa gebracht werden. Leider gestalten sich diese Verhandlungen als nicht sehr einfach, denn die Nachbarstaaten befürchten einen zu großen Andrang an ihren Grenzen. Auch konservative Kräfte in Deutschland und Europa wollen solche Aufnahmen verhindern oder möglichst nur sehr begrenzt gestatten.

Ich persönlich werde mich außerdem weiterhin für die Ermöglichung der Familienzusammenführung nach Deutschland einsetzen. Die Herstellung der Familieneinheit ist eine zentrale Voraussetzung für ein erfülltes Leben hier in Deutschland, also auch für die gelungene Integration.

Zu guter Letzt wurde vereinbart, dass die Vereinten Nationen mehr als 1 Mrd. Euro der neuen Regierung zur Verfügung stellen, um die drohende Hungerkatastrophe zu verhindern. Auch Deutschland beteiligt sich mit mehr als 100 Mio. Euro an diesem Projekt. Wir  bemühen uns mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, den Menschen in Afghanistan zu helfen und dabei eine humanitäre Krise abzuwenden. Deshalb werden wir nach Kräften die Verteilung der Mittel überwachen und den politischen Druck hochhalten, Frauen- und Menschenrechte zu wahren.

Heute ist es zu früh, um eine abschließende Beurteilung des Afghanistan-Einsatzes vorzunehmen. Bei der Komplexität und langen Geschichte des Engagements geht es darum, die Geschehnisse und die Ereignisse angemessen aufzuarbeiten. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion in einem im Juni verabschiedeten Positionspapier deswegen eine Gesamtevaluierung des zivilen, polizeilichen und militärischen Engagements in Afghanistan gefordert. Um unser Handeln zu bewerten und Lehren für die Zukunft zu ziehen, fordern wir die Einsetzung einer Enquête-Kommission des Deutschen Bundes-tages in der kommenden Legislaturperiode.

Mit freundlichen Grüßen

Helge Lindh, MdB

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