Frage an Heinrich Stürtz von Irina K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Stürtz,
zunächst vielen Dank für die Beantwortung meiner letzten Frage.
Hier nun die nächste:
Wie stellen Sie bzw. Ihre Partei sich den Problemen, die in absehbarer Zeit aus der derzeit verharmlosten Schuldenkrise innerhalb der Euro-Währungsunion über uns hereinbrechen werden?
Wie unser Bundesfinanzminister selbst aussagte, kann eine Einlagensicherung nur so lange funktionieren, wie der Staat auch zahlungsfähig ist. Ist er das de facto im Bezug auf die Target-2-Salden überhaupt??
Wo und wie sehen Sie die Lösung oder zumindest einen Ansatz, um die Interessen und Ersparnisse der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu schützen?
Mit freundlichen Grüßen
Irina Kretschmer
Sehr geehrte Frau Kretschmer,
ich teile Ihre Einschätzung, daß die Schuldenkrise bzw. deren Ursachen ebenso wie die evtl. Folgen der bisher getroffenen Regelungen verharmlost wurden und werden; dies aus rein politischen Interessen der Finanzoligarchie und deren sog. markt-und neoliberalen politischen Kaste.
Sie werden wissen, daß DIE LINKE. von Beginn an gegen ESF und ESM opponiert, im Bundestag und durch Vorträge der Spitzenpolitiker im ganzen Land bis hin zum Eilantrag und der Verfassungsbeschwerde versucht hat, die zZ. gültigen Eurokrisen-Regelungen zu verhindern. Aus finanzpolitischen Gründen ebenso wie aus Gründen des Schutzes des Grundgesetzes und insbesondere der Aushöhlung der Rechte der Volksvertretung.
Über die Verfassungsbeschwerde ist noch nicht entschieden. Die mündliche Verhandlung vor dem BVerfG läßt nur einen kleinen Hoffnungsschimmer für die Antragsteller (zu denen ich selbst auch gehöre in der von Frau Däubler-Gmelin geführten Initiative von 14.000 Klägern).
DIE LINKE. wird weiterhin
1. die BürgerInnen über die Hintergründe und die möglichen Folgen aufzuklären versuchen
2. die wenn auch bescheidenen Möglichkeiten im Bundestag nutzen, die Thematik und Problematik öffentlich zu halten.
Hier sind aufgrund des Abstimmmungsverhaltens der anderen Parteien allerdings -noch?!- keine Erfolge zu erzielen.
3. DIE LINKE. wird weiterhin darauf drängen, daß es nicht zu Regelungen kommt wie in Zypern.
Wir wollen die Richtigen geschützt sehen, also die Menschen, die ihr Geld zur Alterssicherung oder Ähnlichem angelegt haben. Hier darf es ke i n e r l e i Mithaftung im Eu- und Merkel´schen Sinne geben im Sinne von "bis 100.000,-- sind die Guthaben geschützt". Wir werden deshalb entsprechende Gesetzesvorlagen erarbeiten in der Hoffnung, eine Mehrheit im BT zu erhalten.
4. Target sehe ich zunächst mal "nur" als Verrechnungssystem im Sinne eines Kontokorrentsystems zwischen den EU-Mitgliedsländern.
Ich sehe aber auch die Gefahr der schleichenden Mehrverschuldung der BRD und der dann irgendwann eintretenden Herabstufung bei der eigenen Kreditwürdigkeit. Noch ist das Verrechnungskonto der BRD auf der Habenseite. Deshalb sehe ich die BRD als zahlungsfähig an.Aber was wird sein, wenn die in diesem System vereinbarten Rückzahlungen nicht erfolgen? Darauf wird offiziell gar icht eingegangen und damit das eigentl. Problem verharmlost.
5. Wir halten es deshalb folgende Sofortmaßnahmen für unerläßlich: (zur Rettung anderer Länder u n d der langfristigen Zahlungsfähigkeit der BRD)
- erheblichen Schuldenerlaß der ärmsten EU-Länder
- sofortige Aufbaumaßnahmen im Sinne von Marhall-Plan, also:
- Ankurbelung der Wirtschaft dieser Länder, nicht Armut schaffen und verwalten. Nur dann können diese Länder ihre Schulden auch zurückzahlen.
- Sofortmaßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit insbesondere der jüngeren Generation. Auch dieser muß -mittelfristig abgesichert- Zugang zum Arbeitsmarkt
erhalten und eine eigene Lebensplanung ermöglicht werden.
6. Die politisch Verantwortlichen in der BRD scheinen nicht verstehen zu w o l l e n, daß wir unsere Kredite an halb Europa (und wer da noch alles dazukommen wird!!) n ur zurückerhalten können, wenn diese Länder selbst einen gewissen Wohlstand erreicht haben. Der Gedanke sollte eigentlioch selbstverständlich sein. Das heißt: die Unsummen, die bisher letztlich fast ausschließlich in die Hände der eigentlichen Schuldenmacher (Banken und ihre Oberschicht-Spekulanten) müssen direkt und kontrolliert (n i c h t von der Troika, die für mich eine Dreierbande des Finanzkapitals darstellt) in die ausgesuchten und erfolgversprechenden Projekte fliessen.
Ein hartes Stück Arbeit, denn die Widerstände sind und bleiben groß.
Wir werden uns aber mit allen Kräften und auf allen politischen Ebenen bis hin zur Kommune und in ausserparlamentarischer Arbeit weiterhin für eine solidarische Gesellschaft einsetzen.
Wenn ich jetzt ein wenig weiter ausgeholt habe als von Ihnen gewünscht, so bitte ich um Nachsicht und Verständnis.
Mit besten Grüssen
Heinrich L. Stürtz