Frage an Heinrich Stürtz von Alexius H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Stürtz,
mich interessiert, warum Mitglieder Ihrer Partei im Bundestag für die Beschneidung von Jungen gestimmt haben?
Warum ist Ihre Fraktion vor der Religionslobby eingebrochen? Oder wollte Frau Merkel das Thema einfach vom Tisch haben?
Ist das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht höher zu werten?
Religionsfreiheit besteht m.E. nicht, wenn er Staat die christl. Kirchen mitfinanziert bzw. pensionierten Kirchenleuten ihre Pensionen bezahlt, Religionsfreiheit besteht m.E. nicht, wenn man ungefragt Kinder tauft und sie in den Schulen mit Religionsunterricht zwangsunterrichtet.
Können Sie verstehen, dass ich unter Religionsfreiheit etwas anderes verstehe- nämlich wirkliche Unabhängigkeit? Wie ist eine solche gegeben, wenn man z.B. in kirchlichen Einrichtungen, die der Staat mitfinanziert, nur mit einer Mitgliedschaft in der Kirche einen Job bekommt und bei Scheidungen den Job ggf. verliert?
Ist eine Trennung von Staat und Kirche gegeben, wenn wir von Parteien regiert werden, die das "C" in ihrem Namen haben? Man stelle sich mal vor, in den Bundestag würde eine Partei einziehen, die sich" Islamische Demokratische Union" nennt.
In einem Buch der " Humanistsichen Union" ist davon die Rede, dass die zwei großen christlichen Kirchen, seit bestehen der BRD, über Kirchensteuer, Staatszuschüsse, über das Pensionsrecht ( auch der einzelnen Bundesländer) einen Billionenbetrag erhalten haben. Sind diese sehr hohen Schätzungen bzw. Angaben Ihrer Meinung nach richtig?
Mit freundlichen Grüßen
Alexius Holzner
Sehr geehrter Herr Holzner,
besten Dank für Ihre Interessante und politisch brisante Frage, die ich Ihnen gerne wie folgt beantworte:
Aus Ihrer Frage entnehme ich, daß Sie sich dezidiert mit der Frage der Unrechtmässigkeit der religiösen Beschneidung und der politischen Diskussion im letzten Jahr auseinandergesetzt haben. Die Thematik ist umfangreich und mit vielen Einzelfragen bestückt.
Also: DIE LINKE. ist nicht vor irgendeiner Religionslobby eingebrochen. Bei der LINKEN gab und gibt es unterschiedliche Positionen zu den einzelnen Fragen; in anderen Parteien insbesondere der Oppossitionsparteien auch.
DIE LINKE. hat ja immerhin (mit anderen) einen eigenen Gesetzentwurf gegen den der Regierungskoalition eingebracht.
Das die Kanzlerin das Thema weitgehend im Sinne der bestehenden Rechtslage vom Tisch haben wollte? das sehe ich wie Sie, das ist ja auch salopp gesagt ein "heißes Eisen" gerade mit den Aspekten Antisemitismus, Strafbarkeit usw.
Ich sehe (gerade auch als Jurist) allerdings die dringende Regelungsbedürftigkeit nach dem Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung erstmals unter Strafe gestellt hatte.
Ich sehe das Recht des Menschen und gerade des sich nicht wehren könnenden Kindes auf Unversehrtheit als höheres Rechtsgut als das der Relegionsfreiheit und hätte deshalb auch nicht für die jetzt gültige gesetzl. Regelung gestimmt.
Ich halte es zur Ausübung der Religionsfreiheit für ausreichend, wenn Kinder ab bestimmtem Alter selbst entscheiden, und zwar e r s t m a l s selbst entscheiden, ob und wenn ja welche Religion.
Das gilt selbstverständlich auch für die Rechtsregeln unsere christl. Religionen betreffend.
Zur Trennung von Kirche und Staat:
da rennen Sie bei mir offene Türen ein.
Ich bin selbst Vertreter einer rigorosen Trennung von Kirche und Staat, wie es ja letztlich das Grundgesetz auch fordert. Mit allen Konsequenzen: Beendigung der staatl. Finanzierung der Kirchen (seit 1804!!). Der Staat kann diese Milliarden selbst gut gebrauchen bzw. selbst für entsprechende sozialen Zwecke einsetzen.
Die Zahlen der Humanistischen Union habe ich nicht überprüfen können. Kommt ja sicher auch immer auf die Berechnungsgrundlage an.
Die Zahl ist sehr hoch, ich halte sie aber für möglich. 210 Jahre Zahlungen....das wären im Schnitt 5 Mrd.€ jährlich, immer umgerechnet auf frühere Währungen, uU. mit hochgerechnet Zinsen. Sehr gut möglich.Eher mehr.
Das Thema unter die Leute zu bringen wäre notwendig und für die Fortentwicklung einer aufgeklärten Gesellschaft unabdingbar.
Aber: das Internet bietet eine Vielzahl von Foren
Ich teile zu diesem Thema die Ansichten der Giordano-Bruno-Stiftung (werden Sie bestimmt kennen).
Das Thema "Trennung von Kirche und Staat" betrifft die gesellschaftliche Ordnung schwerwiegend und in allen Bereichen. Es wird aber thematisiert werden müssen, auch in regionalen kleinen Gruppen wäre zu Diskussionen und Mitmachen aufzurufen.
In der Partei DIE LINKE. sehe ich insoweit einen unbedingten Handlungsbedarf, obwohl es AG´s mit religiösen Themeninhalten gibt.
Also: auch mit einem solchen Thema, mit dem sich nur Wenige beschäftigen, am Ball bleiben.
Bei Ballspielen gibts ja zum Glück die Möglichkeit der Spielverlängerung.
Ich hoffe, daß Ihre Fragen befriedigend beantwortet sind. Wenn nicht, dürfen Sie mich einfach weiter "nerven".
Mit besten Grüssen wünsche ich Ihnen eine gute "Woche zur Wahl".
Heinrich L. Stürtz