Heinrich Stürtz
DIE LINKE
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Frage von Tatjana Miriam H. •

Frage an Heinrich Stürtz von Tatjana Miriam H. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Stürtz,

3/4 der Bevölkerung finden die sozialen Unterschiede ungerecht, der Wahlkampf zeigt, dass die Parteien das verstanden haben, sie reden von sozialer Gerechtigkeit.

Wir wissen (z.B. von Michael Hartmann, Soziologe, TU Darmstadt http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/einmal-arm-immer-arm/-/id=660374/nid=660374/did=11414504/1ifilth/ ) aber, dass die entscheidenden Eliten (höchste PolitikerInnen, BeamtInnen, Militärs, ManagerInnen und UnternehmerInnen) kein Interesse haben an freien, gleichen, allgemeinen, demokratischen, rechtsstaatlichen Zugängen zu den Ressourcen dieses Landes, nicht mal an einer zu steuern_den Rückverteilung der Umverteilung der letzten 20 Jahre von Oben nach Unten.

Welche Wahl habe ich da eigentlich?

Und, wenn ich denn den Sinn von Wahlen noch nicht verneinen möchte, wie kann ich diejenigen MittelschichtlerInnen, die sich Elite und intellektuell aufgeklärt (DIE ZEIT, SPIEGEL, FAZ, SZ ... ARD, ZDF ...) und fortschrittlich (SPD- und GRÜNE-WählerInnen) wähnen, davon überzeugen DIE LINKE zu wählen?

Vielen Dank! Viel Erfolg!

Tatjana Hasse

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Hasse,

besten Dank für Ihr Interesse.

Gerne beantworte ich Ihnen diese sehr begründete und dennoch relativ schwer zu beantwortende Frage.

Mal vorneweg:   ich persönliche halte Wahlen nach wie vor für wichtig, weil letztlich nur hier der einzelne Wähler, aber in Summe eben auch die gesamte Wählerschaft                           die Möglichkeit hat, den PolitikerInnen eine Rechnung bzw. Abrechnung vorzulegen.                           Und zwar für Regierung und Opposition gleichermassen. Zufiredenheit ebenso wie Unzufriedenheit.
                          Und das alles mit nur einer Stimme! Das ist praktisch nicht möglich.Deshalb wird der Wähler am Ende entscheiden müssen, je nach Zufriedenheit oder                           Unzufriedenheit:   ja für die Regierenden oder brauchen die (wenigstens!) einen Denkzettel, dann eben ja für eine Partei aus dem                           Nichtregierungslager. An dieser Stelle braucht man dann auch den Mut, seine bisherigen Überzeugungen mal über Bord zu werfen. Und die Frage,                                 wer aus diesem Lager em ehesten meine eigenen politischen Wünsche bedient, die kann dann wirklich schwer                           fallen. Im Moment hat man es allerdings leicht: den einzigen echten Unterschied in allen existenziellen Themenbereichen macht allein Die LINKE.
                          Sie können das im Einzelnen über deren homepage recherchieren, über die gestellten Anträge und sonstigen Aktivitäten im Bundestag sowie die                           unterschiedlichen Themen-Newsletter.

  Noch viel schwieriger Ihre zweite Frage: einerseits muß man leider akzeptieren, daß die grosse Masse der von Ihnen Genannten politisch eben die mainstream-Linie ich möchte sagen verinnerlicht, also gewissermassen eine Mauer im Kopf hat.
Und diese Mauer verhindert die Erkenntnis, daß viele der zur Mittelschicht Gehörenden bewußt und unbewußt nach oben orientiert sind und dabei nicht merken, daß ihre Schicht schon längst zu den Systemverlierern gehört. Denen oben gelingt bspw. Steuervermeidung am ehesten, die Gruppe der Nichtsteuerzahler wird immer grösser, und wer bleibt dann noch? Die schimpfen also nach unten, weil sie ja oben gerne dazugehören würden. Soziologischen Studien zufolge schaffen allerdings max. 8% den "Aufstieg" auch nur in die untere Oberschicht. In den USA und England ist die Verarmung der Mittelschicht schon viel weiter fortgeschritten, man könnte dort sozusagen Unterricht nehmen.  Diese Zielgruppe zu erreichen ist besonders schwer, denn ihr fehlt der politische Wille zur vorgenannten Erkenntnis.

Wir sehen es gerade deshalb als unsere Aufgabe, Angehörigen der Mittelschicht und des Mittelstandes anhand der von ihnen genannten Probleme darzulegen, daß gerade sie insbesondere von einer breiten Massenkaufkraft und davon abhängig sind, daß grosse Bevölkerungsteile erheblich mehr Geld zum Konsumieren haben, aber auch in finanziell gesicherter Situation leben müssen, damit das Geld auch ausgegeben und nicht für zu erwartende regelmässig wiederkehrende Notzeiten zurückgelegt wird.  

Und deshalb bleibt, wenn auch mit Bedauern, nicht anderes übrieg als:
-  dennoch DIE LINKE wählen
-  immer wieder daran arbeiten, daß deren Programm immer mehr Menschen erklärt werden kann
-  dem Weg vertrauen, den man eben mit kleinen Schritten gehen muß  (im Leben gings ja auch nicht anders los; wie oft fällt man hin als Laufen lernendes Kind? und     heute?  Sehen Sie. Aber was wäre geworden, man hätte das Laufen lernen eingestellt, nur weil man ein paar mal hingefallen ist?  

Trotz der Notwendigkeit von sofortigen tiefgreifenden sozialen Änderungen in unserer Gesellschaft  muß man mE. dann eben doch die Partei wählen, deren Programm diese Veränderungen am ehesten hergeben.

Ich möchte nicht dramatisieren, heroisieren das Eine mit dem Anderen gleichstellen. Aber:

wie viele Frauenrechtlerinnen haben die Einführung des Wahlrechts nicht mehr selbst erlebt?

Auch Martin L. King hat die formelle Gleichberechtigung der Schwarzen in den USA nicht mehr erleben dürfen.

  Also:    leben Sie mit diesen Widerständen oder gar Enttäuschungen, es geht nicht anders.

Mit besten Grüssen und einem Wahlausgang in Ihrem Sinne
 
Heinrich L. Stürtz