Frage an Heinrich Kolb von Manfred B. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Herr Kolb!
Der Punkt ist, worauf Sie sich mit Ihrer Forderung "Wir brauchen einen funktionsfähigen Niedriglohnsektor" nur beziehen können. Ein Niedriglohnsektor kann ganz offensichtlichlich nicht für den Einzelnen "funktionsfähig" sein, er kann höchstens für "die Wirtschaft" "funktionsfähig" gemacht werden. Was aber ist die Funktion eines Niedriglohnsektors für die Wirtschaft? Lohnsenkung!
Dummerweise ist Lohnsenkung im betriebswirtschaftlichen Sinne durchaus sinnvoll für jedes einzelne Unternehmen, weil es sich um eine Kostensenkung handelt. Dummerweise deswegen, weil die Rationalitätenfalle zuschlägt: Wenn in einem vollbesetzten Kino ein einziger Zuschauer aufsteht, kann er seine Situation verbessern, weil er mehr sieht. Wenn daraufhin aber alle aufstehen, verbessern sie sich offensichtlich nicht, sondern verschlechtern sogar ihre Lage, weil ihnen bald die Füße weh tun.
Wenn alle Unternehmen auf diese Weise versuchen, ihre Kosten zu senken, rutscht die bundesdeutsche Kaufkraft in den Keller - und genau das geschieht zuzeit bekanntlich! Die Wochenarbeitszeit wird verlängert: Lohnsenkung! Die Lebensarbeitszeit wird verlängert: Lohnsenkung! Vollzeitjobs werden durch Minijobs ersetzt: Lohnsenkung! Private Kapitalrentenversicherung wird möglicherweise verpflichtend eingeführt: Lohnsenkung! Arbeitgeberbeiträge (Lohnnebenkosten) werden zurückgefahren/gedeckelt: Lohnsenkung! Pendlerpauschale wird gekürzt: Lohnsenkung! Arbeitsplatzverlagerung wird steuerlich subventioniert: Lohnsenkung! Wir müssen also mit aller Kraft einen Niedriglohnsektor verhindern!
Meine Frage an Sie daher: Mit welchen Mitteln verhindern wir einen Niedriglohnsektor in der deutschen Wirtschaft? Welche Gesetzesvorlagen hat die FDP schon auf den Weg gebracht, um Lohnsenkungen zu verhindern, um Arbeitsplatzverlagerung zu verhindern, um Verlustüberträge ausländischer Töchter deutscher Konzerne zu unterbinden, um Mindestlöhne einzuführen und um einen Niedriglohnsektor effektiv zu verhindern?
Sehr geehrter Herr Bartl,
vielen Dank für Ihre e-mail vom 01. März 2007 und die Übermittlung Ihrer Fragen. Gerne gehe ich im Folgenden darauf ein: Die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag lehnt die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ab. Im Zentrum liberaler Politik stehen die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen. Diese Ziele werden mit einem gesetzlichen Mindestlohn vereitelt. So werden gerade die Arbeitnehmer, die nur über eine geringe Produktivität - dies ist oft gleichbedeutend mit einer geringen Qualifikation – verfügen, aus dem ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Diese Menschen wären somit nicht etwa Begünstigte, sondern Opfer der Einführung von Mindestlöhnen. Gerade diesen dient die Forderung nach einem funktionsfähigen Niedriglohnsektor. So ist eine Teilhabe am Erwerbsleben auch für sie (wieder) möglich. Ein weiterer Vorschlag von unserer Seite: das Bürgergeld. Statt den Lohn per Gesetz nach oben zu definieren, ist ein Transfer zu gewähren, wenn der Bedarf durch eigenes Arbeitseinkommen nicht ausreichend gedeckt wird. Eine negative Einkommenssteuer, also eine Steuergutschrift, soll denen zugute kommen, die bereit sind, auch für einen geringen Stundenlohn zu arbeiten. Zu Ihrer weiteren Information habe ich Ihnen unseren Antrag „Gesetzliche Mindestlöhne ablehnen“ beigefügt. Für weitere Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Heinrich L. Kolb