Frage an Heinrich Kolb von Wilfried S. bezüglich Familie
Richter Borchers, sehr geehrter Herr Dr. Kolb, wird wg. des Elterngeldes, das Kinder reicher Eltern gegünstige, eine GG-Klage einreichen, erklärte der HR am vergangenen Donnerstag früh.
Wenn Herr Borchers mit seiner Beobachtung recht hat, ist das ein weiteres Indiz dafür, daß zumindest ein Teil der gewählten Volksvertreter sich nicht als Vertreter des ganzen Volkes wahrnimmt, sondern den Wert des Individuums und möglichen Wählers am Einkommen mißt, sich damit vom Gerechtigkeitsempfinden des Volkes in seiner Gesamtheit zunehmend entfernt und Klientel bedient.
Frage: Wie haben Sie, aus welchem Grunde, in Sachen Elterngeld abgestimmt?
Hochachtungsvoll
Wilfried Steinicke
Sehr geehrter Herr Steinicke,
vielen Dank für Ihre e-mail vom 08. Januar 2007 und die Übermittlung Ihrer Frage zum Elterngeld.
Der Bundestag hat die Einführung des Elterngelds zum 1. Januar 2007 beschlossen. Die FDP lehnt diesen Gesetzentwurf ab und hält ihn sogar für verfassungswidrig. Auch der Bundesrechnungshof macht grundsätzliche Bedenken bei diesem Gesetzentwurf geltend, der teilweise unvereinbar mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung ist.
1. Mit den Stimmen der Regierungskoalition hat der Deutsche Bundestag am 29. September 2006 den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Elterngeldes“ verabschiedet. Im ersten Jahr eines Neugeborenen soll der betreuende Elternteil einen Einkommensersatzanspruch von 67 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens der letzten zwölf Monate erhalten.
2. Die FDP hat sich grundsätzlich für die Weiterentwicklung des Erziehungsgeldes zu einem Einkommens- bzw. Lohnersatz ausgesprochen, nicht jedoch in dieser Form. Beim Elterngeld wird es Gewinner und Verlierer geben. Laut Angaben des Familienministeriums werden 155.000 Familien mit einem Einkommen unter 30.000 € brutto durch die Einführung eines Elterngeldes schlechter gestellt. Alleinerziehende, die für ihren Lebensunterhalt mehr als 30 Stunden arbeiten oder aufgrund ihrer Selbstständigkeit arbeiten müssen, sind vom Elterngeld ausgeschlossen. Eine zukunftsorientierte Familienpolitik muss alle Familien gleichermaßen im Blick haben. Familien brauchen die Wahlfreiheit, ihre Lebensentwürfe nach eigenen Vorstellungen verwirklichen zu können.
3. Es fehlt an einer ausreichenden Anschlussbetreuung nach Auslaufen des Elterngeldes nach 12 bzw. 14 Monaten. Auch wenn ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz (Halbtagsplatz für Kinder von drei bis sechs Jahren) besteht und offiziell von einer Verdoppelung der Platz-Kind-Relation bei den unter Dreijährigen gesprochen wird, so liegt diese bundesweit bei nur 13,7 %. Die Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern sind noch immer groß – die Versorgung in den neuen Bundesländern bei den unter Dreijährigen ist viermal höher als im Westen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung in ihrem Antrag „Flexible Konzepte für die Familie – Kinderbetreuung und frühkindliche Bildung zukunftsfähig machen“ (Drs. 16/1168) aufgefordert, einen Kinderbetreuungsgipfel einzuberufen, um mit Ländern und Kommunen ein Konzept für eine flexiblere und umfassendere Kinderbetreuung zu finden.
4. Die verschiedenen Zielsetzungen der Familien-, Bevölkerungs-, Gleichstellungs-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik führen zu komplizierten Regelungen und systematischen Brüchen. Dies spiegeln auch die unterschiedlichen Berechnungsarten des Elterngeldes wider:
a. Grundsätzlich wird ab 1.1.2007 Elterngeld in Höhe von 67 % des Nettoeinkommens des letzten Jahres vor der Geburt des Kindes (Obergrenze 2.700) bis zu 1.800 € im Monat gewährt werden. Das Mutterschaftsgeld (acht Wochen nach der Geburt) wird angerechnet. Zusätzliche Erwerbstätigkeit während des Elterngeldbezugs wird zu 2/3 angerechnet.
b. Bei Mehrlingsgeburten werden 300 € für jedes weitere Kind gezahlt.
c. Lebt die berechtigte Person mit zwei Kindern, die das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, oder mit drei oder mehr Kindern, die das sechste Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in einem Haushalt, erhöht sich das Elterngeld im Rahmen eines Geschwisterbonusses um 10 %, mindestens um 75 €.
d. Bei Einkommen unter 1.000 € gilt eine verfehlte, bürokratische Geringverdiener-Regelung, wonach sich der Prozentsatz von 67 % um 0,1 Prozentpunkte für je zwei Euro, um die das maßgebliche Einkommen den Betrag von 1.000 € unterschreitet, auf bis zu 100 % des Nettoeinkommens erhöht.
e. Nichterwerbstätige, ALG II-Empfängerinnen und –Empfänger, und Hausfrauen bzw. –männer erhalten – ohne Anrechnung auf schon bestehende Leistungen - ein Mindestelterngeld von 300 €
f. Stichtag ist der 1.1.2007.
5. Verwaltungsmehraufwand und Bürokratiekosten
Die Berechnung des Elterngeldes mit der Vielfalt der Berechnungsmodalitäten werden zu mehr Bürokratie führen. Die Bearbeitungszeiten pro Fall werden sich im Vergleich zum bisherigen Bundeserziehungsgeld erhöhen, dies führt zu einem erheblichen Anstieg der Personalkosten der Kommunen um 50 %.
6. Systematik
• Die Anknüpfung an das Nettoeinkommen vor der Geburt des Kindes wird dazu führen, dass man – ausgehend von einem Bruttogehalt von 2.000 € - bei der Steuerklasse V gegenüber der Steuerklasse III ein bis zu 390 € geringeres Elterngeld monatlich erhält. Dies ist eine eklatante Ungleichbehandlung.
• Kinder werden bei Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II bereits im Rahmen der Bedarfsgemeinschaft mit 60 % des Regelsatzes bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres und in Höhe von 80 % des Regelsatzes bis zur Volljährigkeit berücksichtigt. Lohnersatzfunktion oder soziale Aspekte können die Gewährung von Mindestelterngeld nicht rechtfertigen. Im Gegensatz dazu sind Alleinerziehende und insbesondere Selbstständige, die mehr als 30 Stunden in der Woche arbeiten, von der Sozialleistung Mindestelterngeld auch bei geringem Verdienst ausgeschlossen.
• Ob dieses Elterngeld gerade junge Erwachsene erreicht, ist zweifelhaft. Berufsanfänger werden die Geburt des ersten Kindes auf einen Zeitpunkt mit höherem Einkommen verschieben, um ein höheres Elterngeld zu erhalten.
• Die Anknüpfung an das alleinige Sorgerecht und den Begriff der „Gefährdung des Kindeswohls“ für die Gewährung von 14 Monaten Elterngeld werfen mit Blick auf die Zielsetzungen und eine einheitliche Auslegung und Anwendung im Familien- und Sozialrecht Fragen auf.
7. Verfassungsrechtliche Bedenken
Die Vermischung von einkommensunabhängiger Sozialleistung, nämlich dem Mindestelterngeld in Höhe von 300,-€, das allen Eltern in Anerkennung ihrer Erziehungsleistungen anrechnungsfrei gezahlt werden soll, und der gleichfalls aus Steuermitteln gewährten Einkommensersatzleistung, dem eigentlichen Elterngeld i.H.v. 67 % des letzten über einen Zeitraum von 12 Monaten erzielten Einkommens, ist besonders auffällig. Artikel 74 Abs.1 Nr.7 GG ist die Grundlage für das Mindestelterngeld als einkommensunabhängige Sozialleistung nach Bedürftigkeit. Als Grundlage für die Gewährung als Einkommensersatzleistung reicht das nicht. Die verfassungsrechtlich saubere Lösung wäre eine beitragsfinanzierte Leistung, wie es sie in Schweden gibt. Einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot nach Artikel 3 GG hat der Bundesrechnungshof aufgezeigt. Die Bezieher von ALG I werden sehr wohl 300,-€ Mindestelterngeld erhalten, nicht jedoch die Berechtigten, die zuvor gearbeitet haben; sie erhalten lediglich 67 % ihres bemessungserheblichen Einkommens als Entgeltersatzleistung. Insoweit sind diejenigen, die zuvor gearbeitet haben, unter Umständen schlechter gestellt als zuvor arbeitslose Bezieher von Elterngeld. Bezüglich des Leistungsbezugs werden also zuvor Arbeitslose völlig ungerechtfertigt besser gestellt als diejenigen, die bis zur Geburt des Kindes gearbeitet haben.
8. Die FDP fordert daher
a. eine echte Lohnersatzleistung und eine entsprechende Leistung für Selbstständige, bei der das Bruttolohnprinzip angewendet wird. Die Interessen von Selbstständigen sind stärker zu berücksichtigen. Entsprechend der zahlreichen Arbeitszeitmodelle sollte eine unbürokratische, auch wochen- oder tageweise Regelung möglich sein Die Lohnersatzleistung ist als Budget zu gewähren, Übergangsregelungen sind nötig, um unbillige Härten für den Einzelnen aus Gründen des Vertrauensschutzes zu vermeiden.
b. ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine umfassende Familienförderung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres eines Kindes, das insbesondere die Existenzsicherung von Kindern und die Förderung von kinderreichen Familien berücksichtigt;
c. die Einberufung eines Kinderbetreuungsgipfels mit Ländern und Kommunen, um flexible Modelle der Kinderbetreuung und deren Finanzierung für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr zu erarbeiten;
d. die steuerliche Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten in vollem Umfang bis 12.000 €;
e. die Einführung eines Baby-BAföG für eine bessere Unterstützung von Auszubildenden und Studierenden nach der Geburt des Kindes bei Fortsetzung der Ausbildung;
f. die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung, weil sie gerade Familien über Gebühr belastet.
Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen
Grüßen
Dr. Heinrich L. Kolb