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Heinrich Kolb
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Frage von Franziska S. •

Frage an Heinrich Kolb von Franziska S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Kolb,

der von Ihrer Partei mitunterzeichnete Koalitionsvertrag sieht auf Seite 7 und an weiteren Stellen "Bürokratieabbau" vor. Zugleich vereinbaren Sie unter dem Stichwort "Strukturreform SGB II" auf Seite 74 eine "verfassungsfeste Lösung" sowie die Verankerung der "getrennten Aufgabenwahrnehmung" - dies "ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Finanzbeziehungen".
Beides widerspricht sich: Wo heute Arbeitslosengeld II-Empfänger in der Mehrheit der Fälle zu einer Behörde, der ARGE, gehen, müssen sie künftig zu zwei Behörden, um im Ergebnis dieselben Leistungen - Regelleistung und Kosten für Unterkunft und Heizung - zu erhalten. Bitte erklären Sie mir, wie sich diese Haltung mit "Bürokratieabbau" vereinbaren lässt, wenn künftig zwei statt einer Behörde die Leistungen gewähren!
Des weiteren wollen Sie die Optionskommunen, die als vorübergehendes "Experimentiermodell" gedacht waren, ohne Verfassungsänderung als Dauerlösung installieren. Da bereits heute Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Optionskommunen laut werden, wüsste ich gerne, wie eine verfassungsfeste "Optionslösung" ohne Verfassungsänderung aussehen soll!
Darüber hinaus hat das BVerfG gerade die Mischverwaltung als unzulässig angesehen. Bitte erklären Sie mir, wie dieses Verbot der Mischverwaltung zu einem "Mustervertrag" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales steht! Was passiert eigentlich, wenn eine Kommune den Mustervertrag mit der BA nicht abschließen möchte? Ist dann nicht absehbar, dass im Falle der Kooperationsunwilligkeit jedenfalls mit einem enormen bürokratischen Aufwand zu rechnen ist, der eher zu einer Zunahme der streitigen Verfahren im SGB II-Bereich führt?
Bitte teilen Sie mir mit, welche Gründe dazu geführt haben, dass CDU, CSU und FDP eine so verheerende Lösung zur Umsetzung des BVerfG-Urteils gewählt haben!

Mit freundlichen Grüßen
Franziska Siebenschuh

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Frau Siebenschuh,

vielen Dank für Ihre Frage auf Abgeordnetenwatch.de.

Sie haben einige sehr wichtige Punkte in Ihrer Mail angesprochen. Deshalb freut es mich, Ihnen eine Lösung für das Problem der Neuorganisation der Leistungserbringung nach dem SGB II präsentieren zu können.

Wie Sie der Presse entnehmen konnten, haben wir uns in einer interfraktionellen Bund-Länder-Gruppe mit Vertretern der CDU/CSU, FDP und SPD auf einige Eckpunkte geeinigt. Die Spitzen der Parteien und Fraktionen haben den beschlossenen Lösungen zugestimmt.

Es war nicht selbstverständlich, die unterschiedlichen Positionen unter einen Hut zu bekommen. Deshalb freuen wir uns über die Kompromissbereitschaft und -fähigkeit aller Beteiligten.

Bei der Neuregelung der Aufgabenwahrnehmung im SGB II steht für die FDP-Bundestagsfraktion die schnelle und effiziente Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in ein neues Arbeitsverhältnis im Vordergrund.

Es wird bei der zukünftigen Organisation der Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende ein Regelmodell und ein Ausnahmemodell geben. Aus liberaler Sicht ist zunächst besonders wichtig, dass wir das primäre Ziel, die Leistungserbringung aus einer Hand, erreicht haben. Es wird in Zukunft überall gelten: Ein Bürger, eine Behörde, ein Bescheid.

Beim Regelmodell wirken Bund und Länder bzw. die nach Landesrecht zuständigen Gemeinden und Gemeindeverbände in einer gemeinsamen Einrichtung (Jobcenter) zusammen. Beim Ausnahmemodell nehmen Gemeinden oder Gemeindeverbände auf Antrag und nach Zulassung durch den Bund die Aufgabe vollumfänglich alleine wahr. Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung, wie bisher in 23 Kreisen praktiziert, ist nicht mehr zugelassen. Dieses Modell widerspricht der beabsichtigten Aufgabenwahrnehmung aus einer Hand und würde weitere Regelbestimmungen für eine dritte Variante erforderliche machen. Hier ist deshalb der Wechsel in das Regelmodell oder bei Antrag und Zulassung in das Ausnahmemodell möglich.

Daher werten wir es als besonderen Erfolg, dass die bereits bestehenden Optionskommunen entfristet werden, so dass die eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung der bisher 69 Kommunen unbefristet in eigener Regie fortgesetzt werden kann. Auch dass dieses Modell nun auf insgesamt 110 Kommunen ausgeweitet wurde, die zur Übernahme dieser Aufgabe bereit und in der Lage sind, erachten wir als großen Erfolg.

Neben der verfassungsrechtlichen Absicherung der Arbeitsgemeinschaften und Optionskommunen kam der Frage der Kontrolle über den Einsatz der aus Steuergeldern finanzierten Mittel besondere Bedeutung zu. Dabei galt es folgende Interessen in Einklang zu bringen: Zum einen muss auch aus Bundessicht ein Höchstmaß an Effizienz und Transparenz der eingesetzten Mittel sichergestellt werden. Zum anderen benötigen die Träger vor Ort hinreichend Spielraum, um ihre Arbeit effizient verrichten zu können.

Dem werden wir mit folgender Regelung gerecht:

Die Fachaufsicht über die Optionskommunen obliegt den Ländern. Die Rechtsaufsicht über die Länder obliegt dem Bund. Der Bund übt die Finanzkontrolle aus und kann nach den bisherigen Regelungen Rückforderungen geltend machen, wenn Mittel rechtswidrig eingesetzt werden. Das bisherige Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes bleibt unberührt.

Die FDP ist mit diesem Kompromiss sehr zufrieden. Wir haben weitestgehend unsere Forderungen durchgesetzt. Insbesondere die Entfristung und Ausweitung der Optionskommunen war uns ein besonderes Anliegen. Auch die Stärkung der gemeinsamen Einrichtungen durch die Stärkung der Position des Geschäftsführers und der Trägerversammlung ist ganz im Sinne liberaler Politik, die so viel Entscheidungsgewalt wie möglich vor Ort ansiedeln möchte.

Vor allem aber haben wir erreicht, dass die Leistungserbringung aus einer Hand gewahrt bleibt. Bürokratiemonster und zusätzliche Belastungen für den Bürger durch die getrennte Aufgabenwahrnehmung wird es künftig nicht mehr geben. Dadurch sind auch die Frage der Musterverträge und deren Umsetzbarkeit vom Tisch. Durch die Festschreibung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses haben wir auch eine verfassungsfeste Lösung für die Optionskommunen gefunden.

Wir hoffen, dass Sie mit diesen Ergebnissen so zufrieden sind wie wir.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Heinrich Kolb