Frage an Heiko Thomas von Lisa E. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
ich bin Hebamme und arbeite im Geburtshaus Charlottenburg. Ich bin selbstständig und betreue werdende Mütter bei Geburtshaus- und Hausgeburten. Ich erlebe, wie ungestört und selbstbestimmt Kinder zur Welt kommen können. Ich unterstütze Frauen und ihre ureigensten Kräfte, Kinder zu gebären. Aber meine Arbeit ist existentiell bedroht. Aus gegebenen Anlass frage ich Sie: Wie wollen Sie das Recht auf Wahlfreiheit des Geburtsortes mit der sich immer mer zuspitzenden Haftpflichtproblematik vereinbaren? Was sind Ihre konkreten Pläne?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Lisa Etzold
Sehr geehrte Frau Etzold,
vielen Dank für Ihr Schreiben zur Problematik der Berufshaftpflichtversicherung der freiberuflichen Hebammen, das ich zwar etwas verspätet, aber gerne beantworte. Die Absicherung der Hebammentätigkeit liegt mir am Herzen. Es ist wichtig, dass die Wahlfreiheit für werdende Eltern, wie und wo sie ihr Kind bekommen möchten, bestehen bleibt. Darum nehme ich die massiv steigenden Haftpflichtprämien für Hebammen und Geburtshelfer mit großer Sorge zur Kenntnis.
Schon im August 2012 habe ich dazu einen Antrag ins Berliner Parlament eingebracht, in dem der Berliner Senat dazu aufgefordert wird gemeinsam mit den anderen Bundesländern und dem Bund eine Lösung für die sich zuspitzende Haftpflichtproblematik für Hebammen und Entbindungspfleger zu finden. Der Antrag, den Sie unter http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/DruckSachen/d17-0478.pdf herunterladen können, wurde im Parlament angenommen, woraus einige Prüfaufträge für den Senat folgten, die im Folgenden aufgelistet sind:
1. Wie kann in Abstimmung mit den anderen Bundesländern die Problematik der Prämien in der Berufshaftpflicht für Hebammen und Entbindungspfleger einer Lösung zugeführt werden?
2. Wie können die im Hebammen-Gutachten des IGES-Instituts festgestellten Probleme und Mängel - ggf. in Kooperation mit den anderen Bundesländern - behoben werden?
3. Kann ein zentrales Informationsportal als Service zur Vermittlung von Hebammen und Entbindungshelfern für werdende Eltern eingerichtet werden?
Der Senat wurde ferner gebeten darzulegen, ob und wie eine mit den anderen Bundesländern abgestimmte landesweite Statistik dauerhaft erstellt und ausgewertet werden kann, in der alle Hebammen und deren regionale Einsatzgebiete, die Leistungsspektren sowie die abgerechneten Leistungen auch freiberuflicher Hebammen erfasst sind.
Da es auf Landesebene wenig Instrumente gibt, die Berufshaftpflichtproblematik zu lösen, habe ich außerdem meine Kollegin im Bundestag um ihre Einschätzung gebeten. Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat immer wieder auf die bestehende Problematik der Finanzierung der Haftpflichtversicherung hingewiesen (z.B. in einem Antrag aus dem März 2014, in dem die Bundesregierung dazu aufgefordert wird, schnell eine Lösung zu finden, BT-Drs. 18/850).
Bundesgesundheitsminister Herrmann Gröhe hat im April 2014 Gespräche mit dem GKV-SV und der Versicherungswirtschaft geführt, in denen er einen weiteren Vergütungszuschlag aushandeln und einige Versicherungen dazu bewegen konnte, nach dem Ausstieg der Nürnberger Versicherung die Lücke im Konsortium, das den Gruppenvertrag mit der DHV schließt, bis 2016 auszufüllen - allerdings gekoppelt an eine 20%tige Prämienerhöhung ab dem 1. Juli 2015. Und für 2016 wird eine Steigerung in ähnlicher Größenordnung erwartet.
Ende April 2014 wurden zusammen mit dem Abschlussbericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe „Hebammenhilfe“ weitere Lösungsvorschläge zur Haftpflichtproblematik veröffentlicht: Prüfung eines Regressverzichts im Kranken- und Pflegebereich und Einführung eines „dauerhaften Sicherstellungszuschlags“ für Hebammen mit wenigen Geburten, der an bestimmte Qualitätsnachweise gebunden sein soll.
Die Neuregelungen zu Qualität und Vergütungen wurden per Änderungsantrag an das GKV-FQWG angehängt, das bereits in Kraft getreten ist. Die Grünen-Fraktion im Bundestag hat sich bei diesem Änderungsantrag enthalten, da er immerhin für einige Hebammen eine Verbesserung bedeuten wird. Aber bis jetzt ist beim Sicherstellungszuschlag, den es ab dem 1. Juli 2015 geben soll, vieles ungeklärt.
Zum Beispiel ist unklar, wie der Sicherstellungszuschlag ausgestaltet werden soll, an welche Kriterien er geknüpft werden soll und inwieweit er den Hebammen mit wenigen Geburten hilft. Die Einzelheiten sind nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben, sondern die Verhandlungspartner, d.h. der GKV-Spitzenverband und die maßgeblichen Hebammenverbände sollen diese aushandeln. Der GKV-Spitzenverband möchte z.B. eine Mindestanzahl an Geburten pro Jahr - was die Hebammen strikt ablehnen. Als neues Problem sind die nicht evidenzbasierten Ausschlusskriterien für Hausgeburten hinzugekommen, bei deren Vorliegen der GKV-Spitzenverband nicht mehr zahlen will, ohne eine individuelle Abwägung überhaupt in Betracht zu ziehen.
Zudem löst der Sicherstellungszuschlag das Problem der steigenden Haftpflichtprämien nicht grundsätzlich - Mitte 2016 (für die im BfHD zusammengeschlossenen freiberuflichen Hebammen bereits Mitte 2015) wird sich erneut die Frage stellen: Gibt es noch Versicherungsunternehmen, die Gruppenhaftpflichtversicherungen für Hebammen anbieten? Diese Regelungen haben also nur aufschiebenden Charakter und lösen das ursächliche Problem nicht .
Im Versorgungsstärkungsgesetz, das im März in 1. Lesung im Bundestag beraten wurde, und zu dem am 25. März eine Anhörung im Gesundheitsausschuss stattfand, soll auch der im April des letzten Jahres angekündigte Regressverzicht umgesetzt werden. Das bedeutet, dass Kranken- und Pflegekassen die Kosten, die ihnen durch Behandlung und Pflege von bei der Geburt geschädigten Kindern entstehen, nicht mehr von der Hebamme bzw. ihrer Haftpflichtversicherung zurückfordern können wie es zur Zeit der Fall ist. Das könnte die Kosten für die Haftpflichtversicherer senken und zugleich kalkulierbarer machen.
Wir halten von diesem Vorschlag wenig. Zum einen, weil er nur auf freiberufliche Hebammen beschränkt ist. Das lässt sich kaum begründen, da auch festangestellte Hebammen sich wegen mangelnder Versicherungshöhe der Kliniken oftmals noch zusätzlich versichern müssen, ganz zu schweigen von denjenigen Kliniken, die gar keine Versicherungen haben. Wir halten auch eine Beschränkung auf Hebammen allgemein für fragwürdig, denn auch andere Gesundheitsberufe leiden massiv unter steigenden Haftpflichtprämien.
Auf Dauer kann die Haftpflichtproblematik nicht gesondert für die Hebammen gelöst werden. Alle Gesundheitsberufe leiden unter steigenden Haftpflichtprämien. Darum sollte langfristig auch eine Lösung für alle Gesundheitsberufe gefunden werden.
Bündnisgrüne Position ist daher, dass die steigenden Prämien natürlich vergütet werden müssen, aber das das allein nicht ausreicht. Es muss endlich etwas passieren, das die Prämien senkt. Ein Regressverzicht für alle Geburtsschäden oder ein Haftungsfonds könnten schnell umgesetzt werden. Aber diese Maßnahmen müssten befristet sein, nur für einen Übergangszeitraum gelten, bis eine Lösung für alle Gesundheitsberufe gefunden ist. Würden die Prämien gesenkt, wäre wertvolle Zeit gewonnen, um langfristige Lösungen für die Haftpflichtversicherung aller Gesundheitsberufe zu finden.
Denkbar wäre hier etwa die Übertragung der Regelung der Unfallversicherung auf eine Berufshaftpflichtversicherung für Gesundheitsberufe. Diese Möglichkeit soll geprüft werden, denn sie scheint für alle medizinischen Berufe vielversprechend. Da die Prinzipien der Unfallversicherung, wie bspw. nicht gewinnorientierte Prämien, Versicherungspflicht und Stärkung der Patientensicherheit mit den Anforderungen an eine Berufshaftpflicht für Gesundheitsberufe vereinbar sind, könnte dies eine grundlegende Lösung sein.
Darum ist eine der zentralen Forderungen der Grünen-Fraktion im Bundestag, im Rahmen einer grundlegenden Neuordnung der Haftpflichtversicherung für Gesundheitsberufe diese Möglichkeit zu prüfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Heiko Thomas