Frage an Heide Rühle von Heinz U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Rühle,
das Sie schreiben, dass sich v.a. mit allgemeinpolitischen Themen, die die Europäische Union betreffen beschäftigen, möchte ich Ihnen gerne diesbezüglich eine aktuelle Frage stellen.
Wie beurteilen Sie die "Umgehung" der Bürger durch fehlende Referenda beim Vertrag von Lissabon, in dessen Ratifizierungsprozess, Frankreich sogar seine Verfassung geändert hat, um nicht wieder in die prekäre Lage eines negativen Votums zu gelangen?
Wie stehen Sie zur Intransparenz des Reformvertrages, der mangelnden Aufklärung und Information durch die Medien und Politiker , und den Eindruck, das hier nur alter Wein in neuen Schläuchen vermarktet werden soll? Die Änderungen zur gescheiterten Verfassung sind ja marginal.
Warum wird eine historisch einmalige Sache wie die Europäische Einigung bewusst solchen Gefahren der Intransparenz und mangelnden Legitimation durch die Europäer ausgesetzt?
Vielen Dank und schöne Grüße
Heinz Ullmann
Sehr geehrte Herr Ullmann,
vielen Dank für Ihre Frage. Grundsätzlich halte ich es für falsch, dass es zum Vertrag von Lissabon kein EU-weites Referendum gibt. Die Europäischen Verträge bieten leider immer noch keine rechtliche Grundlage für eine europaweite Abstimmung, bei der alle EU-Bürger in freier, allgemeiner, direkter und geheimer Wahl über den Vertrag abstimmen könnten.
Volksabstimmungen über Europäische Verträge finden in nationalen Grenzen statt. Und so geraten die Debatten oftmals in den Sog nationaler Interessen. Das Verhalten bei den Abstimmungen spiegelt demnach nicht immer eine Entscheidung über die Sache wieder, sondern ist eben auch Ventil für nationale Befindlichkeiten. Daher haben die GRÜNEN immer eine gemeinsame, europaweite Abstimmung nach dem Prinzip "Ein Mensch, eine Stimme" gefordert. Dass der Vertragstext unlesbar und intransparent ist, haben die GRÜNEN immer kritisiert.
Sie haben recht, wenn sie feststellen, dass sich beim Vertrag von Lissabon im Vergleich zum Verfassungsvertrag nicht viel geändert hat. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass der Vertrag von Lissabon, wie bereits zuvor der Verfassungsvertrag, für die Handlungsfähigkeit der Europäischen Institutionen notwendig ist. Denken Sie nur an die Erweiterung der Rechte für das Europäische Parlament. Die bisherigen Verträge waren auf eine EU mit 15 Mitgliedstaaten ausgelegt. Mit der Osterweiterung umfasst die Europäische Union mittlerweile 27 Staaten. Bei der Anzahl von 27 Mitgliedsstaaten ist eine institutionelle Reform, die die Arbeitsweise der Union effizienter macht, ein notwendiger Schritt hin zu mehr Demokratie und Transparenz - auch wenn wir GRÜNEN nicht mit allen Punkten einverstanden sind. So hat die Europäische Verteidigungsagentur meiner Ansicht nach nichts in einem Vertragstext zu suchen. Auch hätten wir GRÜNEN uns einen transparenteren und vor allem lesbareren Vertragstext gewünscht.
Das EU-Themen in den Medien nicht die Beachtung finden, die sie verdienen, ist eine Klage, die oft aus EU-Kreisen zu hören ist. Wie wenig die meisten Bürger beispielsweise über die Kompetenzen des EU-Parlaments wissen, untermauern erschreckende Zahlen einer Eurobarometer-Umfrage vom März diesen Jahres ( http://de.wikipedia.org/wiki/Eurobarometer ). Ich kann nur hoffen, dass die kommenden Europawahlen die EU und ihre Themen stärker in den Blick der Medien und der Öffentlichkeit bringen werden. Spätestens dann werden Politiker verstärkt zum Vertrag von Lissabon Stellung beziehen und weiter aufklären müssen.
Ihre
Heide Rühle