Frage an Heide Rühle von Klaus H. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Rühle
Die EU hat ihren Mitgliedern die Umsetzung des internationalen Haftbefehles zur Pflicht gemacht.
Dies ist soweit ich weiß in allen Ländern umgesetzt worden.
Der Eingriff des Ungarischen Staates in die Unabhängigkeit der Justiz stellt für diesen Automatismus doch sicherlich ein großes Problem dar.
Ist dieses Abkommen für Ungarn ausgesetzt worden, bzw kann es überhaupt ausgesetzt werden ?
Welche sonstigen Maßnahmen ergreift die EU um hier einen Mißbrauch zu verhindern ?
mit freundlichen Grüßen
K. Hering
Sehr geehrter Herr Hering,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich Ihnen gerne beantworte. In der Tat, der "Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren in den Europäischen Mitgliedstaaten" ist 2002 beschlossen worden und gilt für alle Mitgliedstaaten und damit auch für Ungarn.
Der Europäische Haftbefehl soll - wie auch die Europäische Ermittlungsanordnung - die Rechtshilfeabkommen ablösen und die justizielle Zusammenarbeit in der EU harmonisieren. Die Auslieferung von Straftätern und Straftäterinnen soll damit vereinfacht werden, indem das ausliefernde Land auf eine juristische Prüfung der Tatbestände verzichtet (Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung).
Eine gründliche Evaluierung dieses Instrument steht bislang leider aus, sie könnte eine wichtige Informationsquelle für den zunehmenden Prozess der Harmonisierung sein. Tatsächlich sind die Erfahrungen mit dem Europäischen Haftbefehl nicht immer gut, wenn man sich beispielsweise die Haftbedingungen in einigen Mitgliedstaaten ansieht.
Es ist grundsätzlich möglich, Ungarn von der gegenseitigen Anerkennung und damit der Anwendung des Europäischen Haftbefehls auszuschließen. Die GRÜNEN im Europäischen Parlament fordern, gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 einzuleiten. Dabei wird geprüft, ob ein Land gegen Europäische Grundwerte verstößt. In dem Fall, dass das Ergebnis dieses Vertragsverletzungsverfahrens ergibt, dass die ungarische Justiz nachweislich gegen Europäische Standards verstößt, könnte Ungarn auch von der Anwendung des Europäischen Haftbefehls ausgeschlossen werden. Die Hürden für diesen Nachweis sind jedoch hoch.
Um auch die Rechte von mutmaßlichen Straftätern zu verbessern, setzen wir uns in den laufenden Verhandlungen über eine Europäische Ermittlungsanordnung und das Recht auf Zugang zum Rechtsbeistand für hohe rechtliche Mindeststandards ein. Die bereits im Dezember 2011 vom Europäischen Parlament beschlossene Richtlinie zum Recht auf Information für Beschuldigte und Verdächtigte im Strafverfahren ("Europäischer Rechtebrief") soll im Fall einer Festnahme in leicht verständlicher Sprache über Rechte wie Zugang zum Anwalt und das Recht zu Schweigen aufklären. Die Richtlinie ist ein richtiger Schritt hin zu verbindlichen hohen Mindeststandards.
Ich hoffe, ich konnte Ihre Fragen beantworten und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Heide Rühle