Frage an Heide Rühle von Stephan R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Rühle,
eher per Zufall habe ich heute Details zu dem Verfahren des Acta-Abkommens in der Tageszeitung gelesen. Obwohl ich viel zum Thema Politik lese, ist mir dieses Thema erst heute richtig bewusst geworden. Dies liegt m. E. hauptsächlich daran, dass zwar die Industrie mit ins Boot für die Verhandlungen geholt wurde
(siehe http://keionline.org/blogs/2009/03/13/who-are-cleared-advisors ), aber die Bevölkerung und deren Vertreter zielgerichtet ausgeklammert werden.
Demokratie sieht anders aus.
Wie bereits bei vielen anderen Verhandlungen werden Lobbyisten und Industrievertreter zu Rate gezogen, um deren angeblichen Sachverstand zu nutzen. Als Ergebnis erhält man (das Volk) aber meist Gesetze und Regelungen, die für die Industrie maßgeschneidert sind und die Bedürfnisse der Bevölkerung oftmals vernachlässigen. Viele solcher Gesetze werden dann von Volksvertretern beschlossen, die im Prinzip keine Ahnung von der behandelten Materie haben.
Zu Acta: Ich halte diese Vereinbarungen für sehr unglücklich. Beispiel: Ich habe auf meinem MP3-Player viele selbstgerippte Songs von CDs, die ich mir im Laufe der letzten 25 Jahre gekauft habe. Es handelt sich also um legale Privatkopien meiner CDs. Werde ich z.B. im Ausland vom Zoll kontrolliert, soll ich nachweisen, dass alle Songs auf dem Player rechtmäßig erworben sind. Wie soll ich denn das bitte anstellen? Hier werden die Forderungen der Industrie erfüllt und ehe ich mich versehe bin ich kriminell...
Nach dem was ich erfahren habe, muss das Acta-Ergebnis auch in der EU bestätigt werden. Halten Sie dies aus heutiger Sicht für wahrscheinlich und wie sieht die Position der Grünen aus?
Mit freundlichen Grüßen
Stephan Reuter
Sehr geehrter Herr Reuter,
herzlichen Dank für Ihre E-Mail.
In Sachen Transparenz gebe ich Ihnen ausdrücklich recht. Gerade bei internationalen Verhandlungen, bei denen in der Regel die Europäische Kommission das Verhandlungsmandat für die EU besitzt, ein großes Problem. Die Grünen im Europäischen Parlament fordern deshalb, die Acta-Verhandlungen auszusetzen, bis der Entwurf auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
Die von Ihnen angesprochenen Grenzkontrollen für Patentverletzungen sind - nach monatelangem Druck - nun doch aus dem Text gestrichen worden. Allerdings sollen Urheberrechts-Verletzungen weiter kontrolliert werden. Im aktuellen Text ist "Strafbarkeit" nur bei einem "kommerziellem Ausmaß" vorgesehen - dies wird aber nicht weiter definiert...
Ob das Europäische Parlament dem Text tatsächlich zustimmen wird, hängt davon ab, wie der endgültige Text tatsächlich aussehen wird. In der EP-Resolution vom März, die mit einer breiten Mehrheit angenommen wurde, hat das EP klar die Beschränkung auf Produktfälschungen und die Ausklammerung von UrhR und Patenten gefordert.
Die ausführliche Position der Grünen Fraktion im Europäischen Parlament finden Sie hier: http://www.erikjosefsson.eu/sites/default/files/GreensEFA_calls_for_ACTA_transparency_20100707.pdf
Mit freundlichen Grüßen,
Heide Rühle