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Heide Rühle
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Frage von Thorsten J. •

Frage an Heide Rühle von Thorsten J. bezüglich Verbraucherschutz

Sehr geehrte Frau Rühle,

ich habe zwei Fragen zum Vertrag von Lissabon, dem Sie zugestimmt haben.

Der Vertrag von Lissabon enthält ein Protokoll, durch das Bedienstete und Beamte der EU im Unterschied zu ihren nationalen Kollegen in den Mitgliedsstaaten vor Strafverfolgung geschützt sind. Art. 11 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union entlässt EU-Beamte aus der Gerichtsbarkeit bezüglich ihrer Amtshandlungen einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen. Das gilt auch nach Beendigung der Amtstätigkeit. Dieses Protokoll stammt aus dem Jahre 1965 und hat – bis auf sprachliche Anpassungen – unverändert Eingang in den Vertrag von Lissabon gefunden. Lediglich bei Streitigkeiten zwischen der Union und ihren Bediensteten sowie bei der Haftung gegenüber der Union kann dieses Prinzip durchbrochen werden, nicht aber im Verhältnis zu den Bürgern der Union.

Straffreiheit der EU-Beamten für Korruption erhält damit quasi Verfassungsrang. Ich habe deshalb zwei Fragen an Sie:

1. Ist korruptes Verhalten von EU-Beamten aus Ihrer Sicht so belanglos, dass es strafrechtlich nicht sanktioniert werden sollte und diese Straffreiheit zudem quasi Verfassungsrang erhält?
2. Wenn korruptes Verhalten von EU-Beamten aus Ihrer Sicht doch strafrechtlich sanktioniert werden sollte, wieso haben Sie dann dem Vertrag von Lissabon zugestimmt und nicht darauf bestanden haben, dass dieses Protokoll vor Ihrer Zustimmung aus dem Vertrag entfernt wird?

Mit freundlichen Grüßen
Thorsten

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Lieber Herr Jakubowski,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich kann Ihre Sorge verstehen. Deswegen möchte ich etwas ausführlicher auf das von Ihnen zitierte Protokoll eingehen und hier noch einmal den Originaltext des von Ihnen genannten Artikels 11 aus dem Zusatzprotokoll über "Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union" wiedergeben. Dort ist zu lesen:

"Den Beamten und sonstigen Bediensteten der Union stehen im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit folgende Vorrechte und Befreiungen zu:

a) Befreiung von der Gerichtsbarkeit bezüglich der von ihnen in amtlicher Eigenschaft vorgenommenen Handlungen, einschließlich ihrer mündlichen und schriftlichen Äußerungen, jedoch vorbehaltlich der Anwendung der Bestimmungen der Verträge über die Vorschriften betreffend die Haftung der Beamten und sonstigen Bediensteten gegenüber der Union und über die Zuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Union für Streitsachen zwischen der Union und ihren Beamten sowie sonstigen Bediensteten. Diese Befreiung gilt auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit" (Hier finden Sie den Originaltext:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2008:115:0201:032
8:DE:PDF )

Die Beamten erhalten keinesfalls Immunität. Das Protokoll spricht von der "Gerichtsbarkeit" und meint nicht die Strafverfolgung. Außerdem bezieht sich die Ausnahme von der Gerichtsbarkeit lediglich auf "in amtlicher Eigenschaft vorgenommene Handlungen". Das bedeutet, dass ein Beamter nicht vor Gericht gestellt werden kann, wenn er lediglich seine Arbeit gemacht hat, ohne sich etwas zu Schulden kommen zu lassen. Begeht ein Beamter eine Straftat, kann er natürlich belangt werden, wie jeder andere auch. Korruption ist eine Straftat, keinesfalls eine Handlung, die "in amtlicher Eigenschaft" vorgenommen wird.

Das Protokoll ist nicht neu, sondern wird auch derzeit angewendet und ist voll gültig. Es ist wortgleich mit Artikel 12 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften vom 8.4. 1965 in der überarbeiteten Fassung vom 7.2. 1992; lediglich das Wort "Gemeinschaften" wurde durch das Wort "Union" ersetzt. Trotzdem wird und wurde Korruption unter EU-Beamten verfolgt und bestraft.

Die EU ermittelt auch in den eignen Reihen gegen Betrug und Korruption. Dazu wurde vor zehn Jahren das "Europäische Amt für Betrugsbekämpfung" (OLAF) eingerichtet. Aufgabe ist die Bekämpfung von Betrug, Korruption und allen anderen rechtswidrigen Handlungen, durch welche die finanziellen Interessen der EU geschädigt werden. Das Amt ermittelt inner- und außerhalb der europäischen Behörden; es unterstützt, koordiniert und beobachtet die Arbeit nationaler Behörden in seinem Aufgabenbereich und konzipiert die Betrugsbekämpfung der Europäischen Union.

Drüber hinaus garantiert die Grundrechtecharta der Europäischen Union mit Artikel 41 das "Recht auf gute Verwaltung". Die Grundrechtecharta ist Bestandteil der Vertragsreform und wird mit dieser rechtswirksam. In Artikel 41 ist zu lesen: "Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden." Und: "Jede Person hat Anspruch darauf, dass die Gemeinschaft den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ersetzt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind."

Ich habe für den Vertrag von Lissabon gestimmt, weil er wichtig für die Zukunft der EU ist. Die Europäische Union braucht Reformen, die den Grundrechtsschutz stärken, für effiziente Institutionen und transparente Verfahren sorgen und die demokratische Legitimation der EU erhöhen.

Mit freundlichen Grüßen

Heide Rühle, MdEP