Frage an Harald Weinberg von Andreas M. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Weinberg,
letzte Woche, am 23. Oktober 2019, haben Sie als Mitglied im Gesundheitsausschuss an einer Expertenanhörung zum Masernschutzgesetz teilgenommen. Ich habe die Anhörung über die Bundestags-Mediathek mitverfolgt. [1]
Laut Sachverständigenliste sollte ein Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) anwesend sein. [2] Leider habe ich kein Mitglied von der DEGAM gesehen bzw. gehört. Können Sie mir diesbezüglich nähere Informationen geben? Die DEGAM lehnt ja bekanntlich eine Impfpflicht ab. [3]
Welche Konsequenzen werden Sie und Ihr Ausschuss nach der Anhörung ziehen, speziell zur Frage der Impfpflicht? Weiterhin haben sich ja auch andere Verbände, nämlich die BAGFW [4], der BVÖGD [5], die Einzelsachverständige Prof. Dr. Cornelia Betsch [6] sowie der Deutsche Ethikrat [7] aus verschiedenen Gründen gegen eine Impfpflicht positioniert.
Werden Sie im Hinblick darauf trotzdem eine Impfpflicht empfehlen?
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass neben dem Rechtsgutachten von Prof. Dr. Rixen zur Verfassungsmäßigkeit [8] nun auch bald ein epidemiologisches Gutachten von Prof. Dr. Kekulé vorliegen wird, dass zu folgendem Ergebnis kommt:
"Aus epidemiologischer Sicht besteht keine Notwendigkeit, die Quote der Zweitimpfungen im Kindesalter von derzeit 92,8 % auf 95 % zu steigern. Stattdessen wird empfohlen, die Vorschläge der WHO und nationaler Fachgremien zur Ver-besserung der Surveillanceund zu ergänzenden Impfprogrammen für Risikogruppen umzusetzen." [9]
Was sagen Sie zu diesen Gutachten?
Mit freundlichen Grüßen
A. M.
[1] https://dbtg.tv/cvid/7394265
[2] https://tinyurl.com/y39nwmn5
[3] https://tinyurl.com/y4njeaa5
[4] https://tinyurl.com/y3uuju8t
[5] https://tinyurl.com/yxrrs2je
[6] https://tinyurl.com/y488tmrj
[7] https://tinyurl.com/y2hgoo5t
[8] https://tinyurl.com/y4pq993p
[9] https://tinyurl.com/y23vxkvu
Sehr geehrter Herr M.,
vielen Dank für Ihre Fragen vom 29. Oktober 2019! Jede Fraktion im Bundestag kann Expert/innen bzw. Sachverständige für die jeweilige Anhörung benennen, die Fraktionen einigen sich dann auf die Expert/innen, die eingeladen werden. Im Vorlauf der Anhörung haben wir als Fraktion DIE LINKE im Bundestag als Vorschlag die DEGAM eingebracht. Leider hat die DEGAM selbst abgesagt, was der Grund ist, weshalb bei der Anhörung zum Maserschutzgesetz entsprechend kein(e) Vertreter/in anwesend war.
Zum jetzigen Stand gibt es noch keine abschließende Fraktionsposition zum Impfpflicht-Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Fachpolitiker*innen der Fraktion sind jedoch nach wie vor der Meinung, dass eine Impfpflicht der falsche Weg ist. Natürlich gibt es auch bei der LINKEN - wie in den meisten Parteien - unterschiedliche Positionen. So haben sich auch bereits mehrere Landesverbände der LINKEN für eine - wie auch immer geartete - Impfpflicht ausgesprochen. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE hingegen hatte sich vor 4 Jahren nach längerer Aussprache auf ein Papier mit dem Titel "Impfen fördern, nicht erzwingen" verständigt (https://www.linksfraktion.de/themen/positionspapiere/detail/impfen-foerdern-nicht-erzwingen/). Die Fachpolitiker*innen der AG Gesundheit & Pflege setzen sich auch weiterhin explizit gegen einen Impfzwang ein.
Gerne möchte ich Sie auf die Rede meiner Fraktionskollegin Susanne Ferschl zum Thema aufmerksam machen: https://www.youtube.com/watch?v=Kr7wRPE9AxA Ob unsere Kritik allerdings auf offene Ohren stoßen wird, so dass dieser Gesetzentwurf in der vorgelegten Form fallengelassen wird, muss ich allerdings leider bezweifeln, so wie ich Jens Spahn, aber auch Karl Lauterbach von der SPD bislang kennengelernt habe.
Eine Impfpflicht gegen Masern ist aus meiner Sicht der falsche Weg:
* Alle Menschen bzw. deren gesetzliche Vertreter*innen sollen sich grundsätzlich frei für oder gegen jegliche medizinischen Maßnahmen entscheiden dürfen. Nur durch eine solche Freiwilligkeit können Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und auch das Vertrauen in die Patientenorientierung der Medizin erhalten bleiben. Dies betrifft auch Impfungen, die einen medizinischen Eingriff darstellen und ohne Zustimmung grundsätzlich den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen würden.
* Expert*innen wie zum Beispiel Professor Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts, gehen davon aus, dass eine Impfpflicht sogar kontraproduktiv wirken und die Impfbereitschaft sinken könnte sowie die Überzeugungskraft der Argumente pro Impfung abnimmt (vgl. https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/infektionskrankheiten/masern/article/943821/eher-kontraproduktiv-impfpflicht-wuerde-masernproblem-nicht-loesen.html). Eine Reihe von Ländern erreicht die von der WHO angestrebte Durchimpfungsrate von 95% übrigens ohne jegliche Verpflichtung zur Impfung.
* Eine Impfpflicht für Klein- und Schulkinder ist zudem nicht gerechtfertigt und nicht verhältnismäßig. Die Entwicklung der Zahlen an Erkrankungsfällen der letzten Jahre gibt zumindest keinen Anlass für die erzeugte Hysterie; die Fallzahlen zeigen alle paar Jahre ein Auf und Ab, wobei größere Ausbrüche schon länger zurückliegen, wie Zahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) belegen: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Praevention/elimination_04_01.html;jsessionid=8EB3069AA12BAB3D75EA8DD4EA0F4799.2_cid290.
Die Zahlen an übermittelten Masernfällen bewegten sich in den vergangenen Jahren durchweg auf dem unteren Niveau der letzten 20 Jahre; der letzte verzeichnete hohe Peak 2015 lässt sich ggf. durch die hohe Zahl an Geflüchteten erklären, die häufig ohne Impfschutz und ohne ausreichendem Zugang zur Gesundheitsversorgung nach Deutschland kamen.
* Laut RKI ist die Zahl der an Masern erkrankten Kinder (bis 14 Jahre) in Deutschland geringer als die Zahl der erkrankten Jugendlichen (ab 15 Jahre) und Erwachsenen, weshalb bei der Bekämpfung von Masern auch insb. diese Altersgruppen beachtet werden müssen.
* Impflücken bestehen vor allem bei Erwachsenen und nicht bei Kleinkindern. Hier würde ein Impfzwang mit Sanktionen bei Kita- und Schulbesuch aber nichts bewirken. Zumindest für die 1. Impfung gegen Masern ist die Impf-Rate mit 97,1% im Bundesdurchschnitt sehr hoch (https://www.rki.de/DE/Content/Service/Presse/Pressemitteilungen/2019/05_2019.html), was zeigt, dass es sich bei den später nicht ausreichend Immunisierten nicht um eine generelle Ablehnung von Impfungen handelt, sondern dass die Zweitimpfung aus unterschiedlichen Gründen unterlassen wurde.
* Der Ausschluss nicht-geimpfter Kinder aus der Schule (wie von einigen Impfpflicht-Befürworter*innen gefordert) ist mit der allgemeinen Schulpflicht schlecht zu vereinbaren. Die Androhung finanzieller Sanktionen – wie von Jens Spahn vorgesehen – würde eine soziale Spaltung erzeugen, da Wohlhabendere es sich leichter leisten könnten, gegen das Gesetz zu verstoßen.
* Ein monovalenter Impfstoff nur gegen Masern wird derzeit in Deutschland gar nicht vertrieben, so dass Mehrfach-Impfstoffe zur Anwendung kommen. Eine Impfpflicht gegen Masern würde dadurch gleichzeitig eine Impfung gegen andere Erkrankungen umfassen, für die die WHO jedoch keinen Plan zur Ausrottung hat und daher bei diesen Impfungen die Argumentation mit der gesamtgesellschaftlichen Verpflichtung und der so genannten Herden-Immunität nicht greift.
* Auch das für Impfungen zuständige Robert Koch-Institut sowie der Deutsche Ethikrat lehnen Zwangsimpfungen für Kinder mit ähnlichen Argumenten ab.
Darum unterm Strich: Impfen fördern – nicht erzwingen!
Mit freundlichen Grüßen
Harald Weinberg