Frage an Harald Terpe von Gunnar D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Terpe,
ich habe nur eine recht kurze, auf den ersten Blick trivial erscheinende Frage:
Wie stehen Sie zur von Sigmar Gabriel so gepriesenen Vorratsdatenspeicherung? Worin sehen sie mögliche Vorteile? Stehen Sie hinter diesem Vorhaben und wenn ja, warum? Falls ja, was halten Sie vom Urteil des Bundesverfassungsgericht und worauf stützt sich Ihre Entscheidung?
Vielen Dank und mit freundlichen Grüßen,
Gunnar Dammann
Sehr geehrter Herr Dammann,
vielen Dank für Ihre E-Mail. Gerne erläutere ich Ihnen meine Position zur Vorratsdatenspeicherung.
Die Vorratsdatenspeicherung, also die anlasslose und massenhafte Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürgern auf Vorrat, ist seit Jahren die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik. Nicht ohne Grund hatte bereits das Bundesverfassungsgericht die Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht mit unserer Verfassung für nicht vereinbar erklärt und vor einem diffusen Gefühl des Beobachtetseins gewarnt, das mit der anlasslosen Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung einhergeht. Auch wir hatten gegen das letzte - ebenfalls von einer Großen Koalition vorgelegte - Gesetz geklagt und haben seitdem immer wieder Initiativen gegen die Vorratsdatenspeicherung im Deutschen Bundestag vorgelegt.
Das Bundesverfassungsgericht stellte in seinem Urteil deutlich heraus, dass die Streubreite der Maßnahme extrem weit sei und die Vorratsdatenspeicherung tief in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreife. Das Gericht mahnte zudem eine „Überwachungsgesamtrechnung“ an und gab den Gesetzgeber die Hausaufgabe auf, eine solche bei ähnlichen Datenspeicherungen zwingend zu berücksichtigen. Das war alles noch vor den seit nunmehr zwei Jahren andauernden Enthüllungen Edward Snowdens über eine offenbar massenhafte anlasslose Überwachung der Kommunikation ganzer Länder. Zwischenzeitlich hat der Europäische Gerichtshof, das höchste Europäische Gericht, die bisherige EU-Richtlinie, die bislang von den Befürwortern einer anlasslosen Vorratsdatenspeicherung für die Notwendigkeit einer Neuauflage in Deutschland stets ins Feld geführt wurde, als nicht vereinbar mit geltendem EU-Grundrecht und damit für nichtig erklärt.
Die Vorratsdatenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unseren europäischen Rechtsordnungen unbekannten Generalverdacht. Seit langem verweisen die Gegner der Vorratsdatenspeicherung darauf, dass durch die Speicherung sämtlicher, sehr aussagekräftiger Kommunikationsverbindungsdaten aller Menschen auf staatliche Anweisung höchst risikobehaftete Datenberge angehäuft werden. Gerade nach den jüngsten Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden steht die Rechtmäßigkeit eines solches Vorgehens der anlasslosen Massenüberwachung massiv in Frage. Die Haltung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung ist somit der Lackmustest für den Umgang mit unseren Bürger- und Grundrechten. Die grüne Bundestagsfraktion sagt klar: Die Vorratsdatenspeicherung war falsch, ist falsch und bleibt falsch. Aus diesem Grund haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder, zuletzt im Zuge der Debatte um das IT-Sicherheitsgesetz der Bundesregierung, vehement gegen das Instrument der anlasslosen Massenüberwachung ausgesprochen.
Die Bundesregierung haben wir in den vergangenen Jahren immer und immer wieder aufgefordert, von diesem bürgerrechtsfeindlichen Vorhaben endlich Abstand zu nehmen. Das jüngste Urteil des Europäischen Gerichtshofs war zweifellos auch eine Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung, die von diesem höchst fragwürdigem Instrument aus der Mottenkiste der Sicherheitspolitik nicht lassen will. Dass konservative und sozialdemokratische Hardliner bis heute an diesem höchst umstrittenen Instrument festhalten, ist uns unverständlich. Letztlich wird den Strafverfolgungsbehörden so ein Bärendienst erwiesen. Statt sich für eine verbesserte personelle und technische Ausstattung der Polizeiarbeit und einer zielgerichteten Arbeit in Zeiten terroristischer Bedrohungen einzusetzen, wird den Strafverfolgungsbehörden ein Instrument an die Hand gereicht, dessen sicherheitspolitischer Nutzen – empirisch nachweisbar – hart gegen Null geht. So erhöht man keine Sicherheit, gefährdet jedoch gleichzeitig massiv Grund- und Freiheitsrechte.
In den vergangenen Monaten haben wir die Bundesregierung wiederholt aufgefordert, sich nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen eine etwaige Neuauflage einer entsprechenden Richtlinie in Brüssel einzusetzen. Bundesjustizminister Maas betonte stets, dass es mit ihm, so lange es keine neue Richtlinie gäbe, auch kein neues Gesetz auf nationaler Ebene geben werde. Was dieses Versprechen wert ist, sehen wir heute: Die von ihm Mitte April 2015 vorgelegten Leitlinien als Grundlage für ein neues Gesetz sind ein einziges Geschenk an den Koalitionspartner und seine sicherheitspolitischen Wünsche. Wenige Tage nach entsprechenden Zusagen des SPD-Vorsitzenden und Vizekanzlers Gabriel ist Heiko Maas umgekippt. Die von ihm vorgelegten, mit dem Bundesinnenministerium abgestimmten Leitlinien suggerieren nur eine verfassungskonforme Einhegung.
Der mehr als durchsichtige Versuch einer Umetikettierung der Vorratsdatenspeicherung in eine Mindest- oder Höchstspeicherfrist ist lächerlich und längst gescheitert, denn auch hier handelt es sich um nichts anderes als eine anlasslose Massenüberwachung der Telekommunikationsverkehrsdaten aller hier lebenden Menschen und damit um einen Angriff auf unsere Grundrechte. Ob die nun vorgelegten Leitlinien die hohen juristischen Hürden nehmen, die sowohl Bundesverfassungsgericht als auch Europäischer Gerichtshof aufgezeigt haben, bleiben äußerst zweifelhaft. Wie beispielsweise Berufsgeheimnisträger tatsächlich aus der Speicherung ausgenommen werden sollen, beantwortet die Bundesregierung weiterhin nicht.
Auch eine vom Bundesverfassungsgericht lange vor den Snowden-Enthüllungen angemahnte Berücksichtigung anderer Massenspeicherungen in einer „Überwachungsgesamtrechnung“ ignoriert sie geflissentlich. Sie berücksichtigt nicht, dass es sich bei der Vorratsdatenspeicherung um einen rechtspolitischen Dammbruch handelt. Daher ist es auch ein Trugschluss, wenn Bundesinnenminister de Maiziere nun mutmaßt, mit dem vorgelegten Kompromiss sei ein langjähriger Streit beendet. Die Auseinandersetzung um den Rechtsstaat und den Schutz unserer Bürgerrechte in der digitalen Welt ist mitnichten vorbei, sie hat vielmehr gerade erst begonnen.
Wir haben bereits das letzte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall gebracht. Als Grüne Bundestagsfraktion behalten wir uns vor, auch diesmal wieder zu klagen, wenn das neue Gesetz hierzu Anlass gibt. Dies prüfen wir genau nach dessen Vorlage. Wer bereits heute, wie Herr Kubicki es tut, eine Klage ankündigt, ohne das Gesetz im Wortlaut zu kennen, handelt aus unserer Sicht populistisch und schadet der Sache mehr als dass er ihr nützt.
Ganz offenkundig sind Union und SPD weder fähig noch willens, aus den grundrechtlichen Realitäten die gebotenen rechtsstaatlichen Konsequenzen zu ziehen. Vielmehr wird der von Anfang an von der Großen Koalition verfolgte bürgerrechtsfeindliche Kurs konsequent fortgesetzt. In Richtung schwarz-roter Bundesregierung sagen wir auch weiterhin klar: Die Vorratsdatenspeicherung gehört nicht ins Gesetz, sondern ein für alle Mal auf die Müllhalde der Geschichte.
Gerade nach den Enthüllungen durch Edward Snowden müssen wir die Ideologie extensiver anlassloser Datenhortung endlich hinter uns lassen und uns tatsächlich effektiven Instrumenten der Kriminalitätsbekämpfung zuwenden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe