Frage an Harald Terpe von Iris W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Stimmt es, dass mit dem Fiskalpakt das Haushaltsrecht des Bundestages eingeschränkt wird? Und wenn ja, werden Sie persönlich dieser Selbstentmachtung als gewählter Volksvertreter zustimmen?
Freundliche Grüße
Iris Wiesner
Sehr geehrte Frau Wiesner,
herzlichen Dank für Ihre Frage. Ich muss Ihnen widersprechen. Der Fiskalvertrag wird das Haushaltsrecht des Bundestages im Gegensatz zum Status quo nicht einschränken. Er fügt den bereits jetzt bestehenden verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Bindungen des Bundes und der Länder keine wesentlichen neuen hinzu. Insbesondere verpflichtet der Fiskalpakt Deutschland nicht zu strengeren Schuldengrenzen als den bereits ohnehin vorhandenen.
Der Vertrag hat zum Ziel, mit einer höheren Rechtsverbindlichkeit als bisher, die Länder der Europäischen Union/Eurozone zu verpflichten, in Zukunft nationale Haushalte mit begrenzter Neuverschuldung zu verwirklichen.
Das Grundgesetz und das Europarecht enthalten bereits jetzt wesentliche Vorgaben, die der deutsche Haushaltsgesetzgeber beachten muss. Die Europäischen Verträge verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Im deutschen Grundgesetz ist diesbezüglich eine sogenannte Schuldenbremse festgelegt, die strenger ist als die europäischen Verpflichtungen (Art. 109 Absatz 2 GG).
Nach geltendem Europarecht liegt ein übermäßiges Defizit vor, wenn die jährliche Neuverschuldung eines Mitgliedstaates 3 % des Bruttoinlandsprodukts überschreitet oder ein über 60 % liegender Gesamtschuldenstand nicht hinreichend zurückgeführt wird (durchschnittlich 1/20 pro Jahr). Zudem müssen sich die Mitgliedstaaten der EU, deren Währung der Euro ist, ein mittelfristiges Haushaltsziel setzen, das konjunkturbereinigt höchstens 1 % des Bruttoinlandsproduktes als zulässige Neuverschuldung vorsieht. Auch eine erhebliche Abweichung von dem mittelfristigen Haushaltsziel kann europarechtlich sanktioniert werden.
Die mit der zweiten Stufe der Förderalismusreform 2009 in Deutschland eingeführte Schuldenbremse des Grundgesetzes sieht noch weitergehende Grenzen für die deutschen Haushaltsgesetzgeber vor. Grundsätzlich sind die Haushalte von Bund und Ländern ohne die Aufnahme von Krediten auszugleichen. Für die Länder bedeutet dies, dass sie gänzlich ohne Neuverschuldung auskommen müssen, allerdings erst nach einer Übergangsphase für das Haushaltsjahr 2020. Für den Bund gilt im Normalfall eine Grenze von 0,35 % des Bruttoinlandsproduktes für die Neuverschuldung.
Insofern sehe ich in meiner Zustimmung zu ESM und Fiskalpakt auch keine Selbstentmachtung des Parlamentes.
Es ist darüber hinaus das Ziel meiner Fraktion, dass die Informations- und Beteiligungsrechte des Parlamentes geschützt und ausgebaut werden. So hat die Bundesregierung dem Bundestag immer wieder wichtige Dokumente verwehrt, mit der Begründung, dass es sich nicht um Angelegenheiten der Europäischen Union handele und somit die Rechte aus Art. 23 GG nicht greifen würden. Das sehen wir anders. Wir haben die Rechtsauffassung, dass auch der Fiskalvertrag und der ESM (auch wenn sie auf einer völkerrechtlichen Grundlage basieren) Angelegenheiten der EU im Sinne des Art. 23 GG sind und dementsprechend auch hier eine umfassende und frühzeitige Mitwirkung des Bundestages gewährleistet werden muss. Aus diesem Grund haben wir GRÜNEN im Juli 2011 Klage beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Das Gericht hat uns am 19. Juni 2012 vollumfänglich Recht gegeben. Auf dieser klaren Grundlage muss nun künftig die Parlamentsbeteiligung ausgestaltet und sichergestellt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe