Frage an Harald Terpe von Rainer L. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Terpe,
wie ist Ihre Meinung zum bedingungslosen Grundeinkommen?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Locke
Sehr geehrter Herr Locke,
Das bedingungslose Grundeinkommen ist sicher eine interessante Idee. Ich persönlich bin auch dafür, dass man Teilaspekte dieser Idee verwirklicht - beispielsweise bei einem Bildungsgeld. Mehr dazu finden Sie hier ( http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/207/207217.das_gruene_bildungsgeld.pdf ).
Ansonsten muss man der Ehrlichkeit wegen ja sagen, dass es DAS Grundeinkommen gar nicht gibt. Es gibt verschiedene Konzepte mit unterschiedlicher Zielrichtung. Die Ideen für ein grünes Grundeinkommen finden Sie beispielsweise hier ( http://gruene-berlin.de/grundsicherungswiki/index.php/Hauptseite ).
Nicht erst seit Hartz IV gibt es in Deutschland eine berechtigte Debatte darüber, wie der zunehmenden sozialen Spaltung entgegengewirkt werden kann und wie soziale Transferleistungen ausgestaltet werden müssen. Vor allem die zunehmende Gängelung von Menschen ohne Arbeit durch eine auf allen Ebenen immer repressiver auftretende Sozialpolitik macht eine grundlegende Debatte um Alternativen zu dieser Art Sozialpolitik notwendig.
Eine der möglichen Alternative ist das bedingungslose Grundeinkommen. Die Anhänger dieser Idee gehen einen radikalen Weg: Anstatt sich in aktuelle Verteilungskämpfe einzumischen, fordern sie einen kompletten Systemwechsel und die Abkehr von bisherigen Sozialstaatsprinzipien.
Alle Varianten des Grundeinkommens weisen drei konstante Eckpfeiler auf: 1. Auszahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung. 2. Keine Überprüfung der Arbeitsbereitschaft. 3. Ausreichende Höhe für ein Leben in Würde ohne weiteres Einkommen.
Ausgeblendet wird dabei, dass Arbeit für die meisten Menschen auch Unabhängigkeit, Selbstwertgefühl und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Arbeitslose wollen in erster Linie eine Arbeit und keine bedingungslose Auszahlung staatlicher Transferleistungen. Einem jungen arbeitslosen Menschen ohne Ausbildungsplatz verhilft auch die Gewissheit der lebenslangen Alimentation nicht zu gesellschaftlicher Anerkennung, zu Respekt und Einbindung in die Gesellschaft. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eindimensional auf die bloße Teilhabe am Konsum orientiert. Ansätze zur Förderung von Teilhabe fehlen völlig.
Eine komplette Aufhebung der Überprüfung der Arbeitsbereitschaft halte ich für unangemessen, auch wenn wir die rigiden Zumutbarkeitsregelungen der Hartz-Gesetze kritisieren. Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit, dass für den Empfang eines staatlichen Transfers eine Bereitschaft vorhanden sein muss, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Es muss zudem Aufgabe des Staates sein, Alternativen zum Transferbezug zu eröffnen und dadurch so genannte "Sozialhilfekarrieren" zu verhindern. Aktive Arbeitsmarktmaßnahmen müssen mit weitgehenden Wunsch- und Wahlmöglichkeiten der Arbeitslosen ausgestattet werden. Die wenigsten Menschen empfinden die Pflicht zur Teilnahme an Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit per se entwürdigend. Sie resignieren aber zu Recht über sinnlose verpflichtende Maßnahmen, auf deren Ausgestaltung sie keinen Einfluss haben.
Beim bedingungslosen Grundeinkommen soll auf die Prüfung individueller Bedarfe verzichtet und allen Bürgern eine gleiche Leistung gewährt werden. Es ist aber aus meiner Sicht keine Verletzung der menschlichen Würde, wenn die Notwendigkeit des Bezugs von gesellschaftlicher Hilfe belegt werden muss. Eine Überprüfung sichert zudem die Berücksichtigung von Mehrbedarfen (z.B. bei Krankheit oder Behinderung). Ein Einkommen, das allen Menschen ungeachtet ihres vielleicht höheren tatsächlichen Bedarfes die gleiche staatliche Leistung zuspricht, ist ungerecht. Wir brauchen weiterhin einen differenzierten Sozialstaat. Statt mit hohem finanziellem Aufwand Transfers mit dem Gießkannenprinzip auszuschütten, ist es sinnvoller, eine zielgerichtete Politik der Armuts- und Ausgrenzungsvermeidung zu betreiben. Soziale Zukunftsinvestitionen in Bildung können Armut verhindern und sind einer reinen Alimentierung vorzuziehen. Das bedingungslose Grundeinkommen würde aber sämtliche finanziellen Mittel für solche Zukunftsinvestitionen binden.
Eine reale Grundeinkommensdebatte kann sich auch nicht um die Frage der Finanzierung drücken. Ein individuelles Grundeinkommen von monatlich 600 Euro kostet 570 Mrd. Euro jährlich, obwohl es deutlich unter dem durchschnittlichen ALG II-Regelsatz von 662 Euro liegt. Selbst bei einer vollständigen Aufgabe der gesamten staatlichen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik könnten die erforderlichen Mittel nicht annähernd aufgebracht werden: Im Bundeshaushalt 2007 sind für sämtliche Aufgaben des Arbeits- und Sozialministeriums "gerade einmal" 124 Mrd. Euro vorgesehen.
Statt dem Heilsversprechen eines bedingungslosen Grundeinkommens zu folgen, plädiere ich für eine integrative Sozialpolitik. Ich setze dabei sowohl auf die Erhöhung der Transferleistungen zur Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums als auch auf die Stärkung von Wunsch- und Wahlrechten der Leistungsempfänger sowie auf eine weitgehende Individualisierung der Leistungen.
Bei allem Wohlwollen für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens lehne ich es daher dennoch ab.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Harald Terpe