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Frage von Kurt F. •

Frage an Harald Koch von Kurt F. bezüglich Umwelt

Sehr geehrter Herr Koch,

ist Ihnen bekannt, daß in der nächsten Sitzungswoche (24./25.2.2011) über den "Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Baugesetzbuchs - Beschränkung der Massentierhaltung im Außenbereich" (Drucksache 17/1582) abgestimmt wird? Durch diese Änderung soll in § 35 Absatz 1 BauGB klargestellt werden, dass Tierhaltung nur im Zusammenhang mit einem landwirtschaftlichen Betrieb genehmigt werden darf und damit die gewerbliche Tierhaltung nicht zu den im Außenbereich privilegierten Vorhaben gehören kann.
Ist Ihnen weiterhin bekannt, daß eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung gegen industrielle Massentierhaltung ist? Werden Sie sich mit Ihrer Abstimmung nach der übergroßen Mehrheit richten?
Wenn nein, welche Gründe haben Sie dafür?

Mit freundlichen Grüßen
K. Filipiak

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Sehr geehrter Herr Filipiak,

haben Sie Dank für Ihre Frage. Am Donnerstag, dem 24.02.11, hat der Bundestag den „Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Baugesetzbuches – Beschränkung der Massentierhaltung im Außenbereich“ (Bundestagsdrucksache 17/01582) beraten und darüber in Namentlicher Abstimmung beschlossen. Die von den Grünen geforderte Namentliche Abstimmung zeigte die populistische Intention des Gesetzentwurfs und schadete der Ernsthaftigkeit der Debatte. Die aber ist vonnöten: Vielerorts gibt es Bürgerinitiativen gegen Bauvorhaben landwirtschaftlicher Betriebe. Insofern ist das Thema sehr sensibel und wird in vielen ländlichen Regionen ernsthaft wahrgenommen.

Das Ergebnis: 65 Abgeordnete stimmten dafür, 291 dagegen, 178 enthielten sich, damit wurde der Antrag der Grünen abgelehnt. Von der Bundestagsfraktion DIE LINKE stimmten zwei Abgeordnete für den Gesetzentwurf, 60 enthielten sich.

Der Gesetzentwurf der Grünen zielte auf vielerorts nicht mehr akzeptierte Bauvorhaben für Stallanlagen im Außenbereich. „Außenbereich“ ist ein Begriff im deutschen Bauplanungsrecht. Neben dem Außenbereich gibt es den mittels Bebauungsplänen überplanten Bereich und den Innenbereich. Unter den Außenbereich fallen alle Grundstücke, die nicht im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans liegen und die auch nicht zu einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil (unbeplanter Innenbereich) gehören.

Die Zulässigkeit von Bauvorhaben im Außenbereich richtet sich nach § 35 Baugesetzbuch (BauGB). Zu unterscheiden sind grundsätzlich zwei Arten von Außenbereichsvorhaben: privilegierte und sonstige Vorhaben. Privilegierte Vorhaben, darunter insbesondere Bauvorhaben von land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, sind im Außenbereich grundsätzlich zulässig, es sei denn, öffentliche Belange stehen ihnen entgegen. Der Gesetzgeber hat sie gewissermaßen planmäßig dem Außenbereich zugewiesen. Andererseits ist es Zielsetzung des Gesetzes, den Außenbereich grundsätzlich von nicht-privilegierter Bebauung freizuhalten und damit eine Zersiedelung zu vermeiden. Sonstige Vorhaben sind daher schon dann unzulässig, wenn öffentliche Belange beeinträchtigt werden.

Die Grünen kritisieren nicht zu Unrecht, dass sich industrielle Fleischproduktionsbetriebe das Privileg (§ 35 Absatz 1 Satz 1), das für landwirtschaftliche Betriebe gelten soll, zunutze machen. Es wird argumentiert, dass in Absatz 1 Satz 1 eine Begrenzung der Tierproduktion formuliert sei, da in landwirtschaftlicher Tierhaltung zumindest ein Teil des Futters auf betrieblichen Flächen erzeugt werde. Dies sei bei bodenunabhängiger, industrieller Produktion nicht der Fall. Ziel sei es, mit Änderung des Baugesetzbuchs nicht nur ungeliebte Stallanlagen für landwirtschaftliche Nutztiere zu verhindern. Der Antrag wird vielmehr noch als Kunstgriff verstanden, um eine ungewollte Agrarstrukturentwicklung insgesamt stoppen zu können.

Das aber kann eine Korrektur des Baurechts allein nicht leisten. In der Antragsbegründung der Grünen selbst heißt es, der Gesetzentwurf führe mitnichten zu einem Verbot von Massentierhaltung. Massentierhaltung könne auch in Zukunft insbesondere dort zulässig sein, „wo die Gemeinden entsprechende bauleitplanerische Entscheidungen treffen“.

DIE LINKE lehnt in vielen Fällen Bau- und Investitionsanlagen für industriell dimensionierte Nutztierhaltung ab. Es hat sich auch gezeigt, dass die Möglichkeiten, solche vor Ort nicht gewünschte Anlagen zu verhindern, sehr begrenzt, wenn nicht unzureichend sind. Daher sind auch wir wie die Grünen der Überzeugung, dass Verbesserungen im Planungsrecht und in der Beteiligung Betroffener notwendig sind. Der einfach gestrickte Antrag der Grünen hilft dabei aber nicht wirklich weiter, da er über eine pauschale gesetzliche Regelung Bauvorhaben verhindern oder erschweren will. Aber nicht nur industrielle „Massentierhalter“, auch „normale“ landwirtschaftliche Betriebe haben oftmals Probleme in der Akzeptanz von neuen Anlagen im Außenbereich. Akzeptanzprobleme lassen sich aber generell nicht über den § 35 Baugesetzbuch lösen.

Die Grünen binden mit ihrem Gesetzentwurf die Bestimmung des Begriffs Massentierhaltung an § 35 Satz 1 Nummer 1 des Baugesetzbuches. Massentierhaltung wäre in der Logik des Gesetzentwurfs der Grünen demnach ausgeschlossen, wenn es sich bei dem Betrieb um einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb handelt. Sie verwechseln gewerbliche Tierhaltung mit Massentierhaltung und unterstellen, dass landwirtschaftliche Tierhaltung eben keine Massentierhaltung sei.
Das entspricht nicht der Realität: Natürlich kann es auch in landwirtschaftlichen Betrieben „Massentierhaltung“ geben Und andererseits gibt es landwirtschaftliche Betriebe, die als starke Direktvermarkter mit Hofläden als Gewerbebetrieb definiert sein können, ohne Massentierhaltung zu haben (so z.B. auch Pferdebetriebe). Außerdem könnte der Außenbereich mir nichts dir nichts in Gewerbegebiet umgewidmet werden - dort könnte dann gewerbliche Tierzucht stattfinden.

Der Antrag zur Baugesetzänderung wurde als Schlag gegen die „Massentierhaltung“ beworben. Doch die Grünen definieren den Gegenstand Ihres Missfallens nicht: Sie verraten uns nicht, was Sie unter Massentierhaltung verstehen. Das aber muss geklärt werden, bevor diesbezüglich etwas verboten, verhindert oder verändert werden kann. Massentierhaltung können wir definieren, regeln oder verbieten über deren Emissionen, über die Haltungs- und über die Arbeitsbedingungen. Massentierhaltung, industrielle Tierhaltung ist in erster Linie keine Frage des Baugesetzes, sondern des Bundesimmissionsschutzgesetzes, des Tier- und Naturschutzrechts. Massentierhaltung ist soziale, ökonomische Realität: Die Produktionskosten werden auf das absolute Minimum gedrückt. Die Arbeitsbedingungen werden verschlechtert. Kosten wie Umweltzerstörung, Krankheiten beim Menschen und das Leiden der Tiere werden systematisch ignoriert oder nach außen verlagert.

Massentierhaltung ist zugleich Geisteshaltung: Niemand will den Megastall vor der Haustür – aber fast alle wollen billiges Fleisch kaufen können. Die Produkte aus industrieller Tierhaltung werden allerdings unattraktiv, wenn die Kaufkraft steigt. Dies will DIE LINKE u.a. durch die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns und einer armutsfesten, sanktionsfreien sozialen Grundsicherung (Regelsatz von 500 Euro, Kindergrundsicherung etc.) erreichen. Die Schere zwischen Arm und Reich darf sich nicht weiter öffnen.

Gleichzeitig muss sich ein Bewusstseinswandel bezüglich unserer Ernährung und unserer Nahrungsmittelproduktion vollziehen. In den öffentlichen Debatten, die diesen Bewusstseinswandel begleiten, müssen viele Fragen geklärt werden, zum Beispiel diese: Ist ein Ökobetrieb mit 30 000 Legehennen in einer Stallanlage nicht auch schon ein Massentierhalter – aber ein von den Grünen akzeptierter? In vielen Regionen (Münsterland, Schwaben, Emsland) gibt es viele nach heutigen Maßstäben landwirtschaftliche Betriebe mit intensiver Tierhaltung in kleinerer Dimension. Ein Dorf in Westfalen mit 10 Betrieben mit jeweils 2000 Mastschweinen hat dann ebenfalls 20 000 Mastschweine, ebenso wie anderenorts ein einziger Betrieb auf gleicher Fläche. Handelt es sich in beiden Fällen um Massentierhaltung? In dem Bestseller „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer konnten wir im letzten Jahr lesen: „Jahrtausendelang orientierten die Landwirte sich an den Zyklen der Natur. In der Massentierhaltung gilt die Natur als etwas zu Überwindendes.“

Die LINKE und auch ich möchten eine Agrarwirtschaft im Einklang mit der Natur. Die Kriterien für eine akzeptable Tierhaltung können weder an der Zahl gehaltener Tiere gemessen werden noch daran, wo im Dorf die Ställe stehen. Tierhaltung, Futterversorgung, Düngerverwertung - also die sozial-ökologischen Auswirkungen der Tierhaltung sind aus Sicht der LINKEN wesentliche Kriterien für die Genehmigungsfähigkeit von Neubauprojekten. Das Genehmigungsrecht für das Bauen im Außenbereich zu ändern, bleibt eine dringende politische Aufgabe. Hier ist der Antrag der Grünen ein wichtiger Impuls. Er ist aber nicht geeignet, industrielle Tierhaltung zu verhindern.

In der Abstimmung hat sich DIE LINKE daher mehrheitlich enthalten, ich mich ebenfalls. Das detaillierte Abstimmungsergebnis finden Sie unter http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/abstimmung/20110224_baugb.pdf .

Ich hoffe, dass Sie unsere Standpunkte nachvollziehen können und danke Ihnen herzlich für Ihr Interesse an meiner und unserer Arbeit.

Mit freundlichen Grüßen
Harald Koch, MdB