Frage an Hansjörg Durz von Birgit W.
Sehr geehrter Herr Durz,
ich beschäftige mich u.a.auch als freiwillige Helferin mit der Betreuung afghanischer Flüchtlinge. Der vorläufige Abschiebestopp ist zu begrüßen (hat aber leider nur organisatorische keine rechtlichen oder ethischen Hintergründe). Fraglich ist für mich, wie lange das "vorläufig" dauern wird, d.h. wie lange ein Land mit einer christlich sozialen "Leitkultur" wie die Bundesrepublik nur organisatorische Schwierigkeiten für Abschiebungsstopps gelten lässt. Grundsätzlich kann ich die Argumentation der Bundesregierung hinsichtlich des geltenden Asylrechts jedenfalls nachvollziehen, nicht jedoch im Hinblick auf die restriktive Auslegung bei der Behandlung von afghanischen Flüchtlingen. Die vielfältigen Dokumentationen (zuletzt SZ vom 17./18.6.17) von der Kriegslage in Afghanistan und der persönlichen Gefährdung von Rückkehrern muss ich sicher nicht im Einzelnen nennen. Daher meine Frage an Sie: Wie stehen Sie zu dem Asylrecht, der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, dem subsidiären Schutz und Abschiebungsverboten im Hinblick auf afghanische Flüchtlinge angesichts der offensichtlichen Gefährdung in ihrem Heimatland und unter Berücksichtigung der Intentionen der Genfer Flüchtlingskonvention?
Mit bestem Dank für eine Antwort und mit freundlichen Grüßen
Birgit Wimmer
Sehr geehrte Frau Wimmer,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage auf meinem Profil bei abgeordnetenwatch.de. Hierzu möchte ich auf eine aktuelle Einigung verweisen, die zwischen dem Bundesminister des Auswärtigen und dem Bundesminister des Innern getroffen wurde und die von den Koalitionsparteien zustimmend zur Kenntnis genommen wurde. Demnach wurde in Folge des fürchterlichen Terroranschlags in unmittelbarer Nähe der deutschen Botschaft in Kabul, durch den Bundesminister des Auswärtigen entschieden, eine neue Bewertung der Sicherheitslage in Afghanistan vorzunehmen. Nach dem aktuellen Lagebild des Auswärtigen Amtes über die Situation in Afghanistan sind bislang Rückführungen möglich. Dies war insoweit bislang auch maßgebend für die bisherigen Maßnahmen.
Aufbauend auf der Expertise des Auswärtigen Amtes ist eine Bewertung der Lage dringend erforderlich. Ich sehe keine andere Möglichkeit, als mich auf die dortige Einschätzung der Fachleute - so wie bislang auch - zu stützen. Im Jahr 2016 haben sich im Rahmen des Bund-Länderprogramms gut 3.300 Afghanen entschieden, freiwillig in ihr Heimatland zurückzukehren. Darüber hinaus wurden 2016 insgesamt 67 ausreisepflichtige Personen nach Afghanistan zwangsweise zurückgeführt. Bis zur Vorlage einer neuen Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes und bis zur vollen Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul bleibt es nur noch bei der Förderung der Freiwilligen Rückkehr sowie der Abschiebung von Straftätern und Gefährdern auf der Basis einer Einzelfallprüfung. Dies gilt auch für diejenigen Ausreisepflichtigen, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern. Der Zeitraum bis zur Vorlage einer neuen Lagebeurteilung hängt vor allem von der vollen Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul ab. Es wird angestrebt, bis spätestens Juli die neue Beurteilung vorzulegen.
Dieser Beurteilung möchte ich nicht vorgreifen. Sie ist für den weiteren Umgang mit afghanischen Flüchtlingen sowie zur Beantwortung der von Ihnen aufgeworfenen Fragen unverzichtbar.
Abschließend möchte ich noch auf folgenden Aspekt hinweisen: Die Schutzquote für afghanische Asylbewerber lag in Deutschland bislang mit 55,8 Prozent fast doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt (32 Prozent). Vor diesem Hintergrund ist die Zahl der jährlichen Rückführungen afghanischer Staatsangehöriger aus Deutschland damit vergleichsweise gering. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und eine gefestigte Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte haben bis dato mehrfach bestätigt, dass Rückführungen nach Afghanistan im Einzelfall möglich sind. Hiervon macht Deutschland nur sehr behutsam Gebrauch. Bislang werden etwa nur alleinstehende Männer zurückgeführt (67 im letzten Jahr - siehe oben). Andere EU-Mitgliedstaaten – wie die Niederlande, Großbritannien, Schweden, Dänemark und Norwegen – führen Personen in deutlich höherem Umfang nach Afghanistan zurück. Aus Norwegen waren es im letzten Jahr allein 410 Personen, darunter auch Frauen und Kinder.
Mit freundlichen Grüßen
Hansjörg Durz, MdB