Frage an Hans-Ulrich Krüger von Jens M. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Krüger,
ihrem Profiel entnehme ich, dass Sie Richter a.D. sind. Daher können Sie mir vieleicht eine Grundsatzfrage beantworten.
Wieso meint die Bundesregierung immer mehr Gesetze vorschalgen zu müssen, deren Verfassungsmäßigkeit höchst umstritten ist (um es mal vorsichtig zu formulieren)?
Als Beispiel sei an dieser Stelle z.B. das Vorhaben zur verdachtsunabhängigen Speicherung der Telefondaten zu nennen. Ich bin nun kein Jurist, aber wenn diese Daten erhoben werden, die ja dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, ohne Verdacht erhoben werden soll, dann muss ich mich fragen wo bleibt die unschuldsvermutung und wie ist dieses Projekt mit Art 19 GG vereinbar. (Mir ist bewusst, dass es sich hierbei um die Umsetzung einer EU Richtline handelt - oder Verordnung? - dies ändert aber nichts daran, dass die Umsetzung mit dem GG vereinbar sein muss. M.E. könnte an dieser Stelle SoLange I und SoLange II kippen)
Als anderes Beispiel seien die Vorhaben des Bundesinnenministers genannt, der mit regelmäßiger Sicherheit Gesetze vorschlägt, die nicht Grundgesetzkonform sind (Bundeswehr im inneren oder die neuen schäuble-Kataloge).
Also Nochmal die Frage oder besser die Fragen:
Welches Problem hat die Bundesregierung, wenn das GG nur als Einengung verstanden wird (z.B. Herr Schäuble)?
Wieso werden Gesetze vorbereitet, bei denen selbst Juristische Laien erkennen können, dass diese Grundgesetzwidrig werden?
Vielen Danke für ihr Bemühen um eine Antwort bereits an dieser Stelle
Mit freundlichen Grüßen
Jens Meier
Sehr geehrter Herr Meier,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage über "abgeordnetenwatch.de" vom 5. April 2007.
Lassen Sie mich der Einfachheit halber sagen, dass manche in den Medien und von einigen Politikern - wie in Ihrem Falle Herr Wolfgang Schäuble - aufgeworfene Diskussionen und eventuelle Vorhaben, wie zum Beispiel eine Beweislastumkehr im Strafverfahren in besonderen Fällen oder eine Bundeswehr im Inneren, mit der SPD-Bundestagsfraktion nicht realisierbar sind.
Dass es immer mal wieder - durch die Mehrheit der Mitglieder des Bundestages beschlossene - Gesetze gibt, die durch das Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungsmäßig angesehen werden, liegt in der Natur unterschiedlicher Meinungen, da gewisse komplexe Rechtsauslegungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.
Sicherlich gibt es Diskussionen über eventuelle Gesetzesvorhaben, die auf den ersten Blick mit der Verfassung nicht vereinbar sind; diese dienen meines Erachtens aber nicht als Wille zu einer gesetzlichen Formulierung, sondern als Anstoß zu einer politischen Diskussion.
Im Falle der Umsetzung der europäischen Richtlinie zur so genannten Vorratsdatenspeicherung lassen Sie mich folgendes anmerken:
Die grundsätzlich bis Herbst 2007 umzusetzende Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten und damit auch Deutschland zur Einführung von Speicherungspflichten für bestimmte Telefon- und Internetdaten zu Zwecken der Terror- und Verbrechensbekämpfung für eine Dauer von mindestens sechs und höchstens 24 Monaten.
Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt sowohl ihre Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung als auch ihre Verpflichtung für Bürgerrechte ernst. Sie hat ihren Vorbehalt gegen die EU-Regelung zur „Vorratsdatenspeicherung“ erst aufgegeben, nachdem die Bundesregierung in Brüssel einen zufrieden stellenden Kompromiss erzielt hat, dem letztlich auch das Europäische Parlament zustimmte. Der deutschen Regierung ist es auf europäischer Ebene gelungen, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf das zu reduzieren, was zur Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität tatsächlich erforderlich und angemessen ist.
Dabei hatten die Initiatoren der „Vorratsdatenspeicherung“ auf EU-Ebene mit den anfänglichen Entwürfen Weitergehendes vorgesehen:
So sollte die Mindestspeicherfrist zwölf Monate betragen. Durch lange und intensive Verhandlung ist erreicht worden, dass es jetzt nur noch sechs Monate sind. In der Praxis bedeutet das, dass die Unternehmen, die die relevanten Daten heute bereits für erhebliche Zeiträume zu geschäftlichen Zwecken aufbewahren, keine wesentlich längeren Speicherungen vornehmen müssen als bisher.
Ursprünglich sollten auch so genannte „erfolglose Anrufversuche“ gespeichert werden. Damit konnten wir nicht einverstanden sein. Es gibt keinen Bedarf für die Speicherung einer solchen Flut von Daten. Auch dieses Thema ist vom Tisch: „erfolglose Anrufversuche“ müssen grundsätzlich nicht gespeichert werden.
Ebenfalls gespeichert werden sollten Standortdaten am Ende von Mobilfunkverbindungen. Der Vorschlag wurde gekippt und somit verhindert, dass durch das Anlegen von engmaschigen Bewegungsprofilen in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird.
Beim Internet wird schließlich lediglich gespeichert, dass sich der Nutzer online befindet. Es werden ebenfalls Daten zur Internet-Telefonie und bezüglich der E-Mail-Dienste gespeichert. Inhalte, wie immer behauptet wird, also auch Informationen, welche Websites benutzt werden, werden auch hier nicht gespeichert. Denn Daten, die Aufschluss über den Inhalt einer Kommunikation (z. B. E-Mail oder Telefongespräch oder Seiten, die ein Nutzer aufgerufen hat) geben, dürfen nach der Richtlinie nicht gespeichert werden.
Die Richtlinie enthält Vorgaben für Regelungen zum Datenschutz und zur Datensicherheit, die mit Sanktionen bewehrt werden müssen. Die Sanktionen sollen insbesondere einen unbefugten Zugriff oder Umgang mit den Daten verhindern und die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen sichern.
Keine Alternative zur „Vorratsdatenspeicherung“ ist das so genannte „quick freeze“-Verfahren. So können mit diesem Verfahren etwa „Phishing-Mail“-Fälle zumeist nicht verfolgt werden. Phishing-Mails sind fingierte E-Mails, welche als vermeintliche Absender zum Beispiel "Deutsche Bank", "Commerzbank" und "Raiffeisen-Volksbank" ausweisen. Mit diesen E-Mails wird nach den persönlichen Daten wie PIN und TAN gefragt. Darauf fallen Leute rein. Die Täter sind nicht identifizierbar, weil sie dynamische IP-Adressen und Pauschaltarife benutzen, bei denen die wichtigen Verkehrsdaten heute nicht gespeichert werden dürfen.
Richtig ist, dass die Frage strittig war und ist, ob die Richtlinie oder ein Rahmenbeschluss das richtige Rechtsinstrument zur Regelung der „Vorratsdatenspeicherung“ ist. Richtig ist auch, dass wir Bedenken hatten, die „Vorratsdatenspeicherung“ auf eine Richtlinie zu stützen. Rechtsgutachten der Kommission und des Rates sprachen jedoch für eine Richtlinie.
Irland hält die Richtlinie nicht für die richtige Grundlage und hat beim Europäischen Gerichtshof Klage erhoben. Die Slowakei teilt wohl die Auffassung Irlands, hat sich der Klage allerdings bislang nicht angeschlossen. Ob die Klageerhebung zum Schutz von Bürgerrechten erfolgte, darf bezweifelt werden: Irland hat derzeit bereits eine Vorratsdatenspeicherfrist von 36 Monaten.
Wie schon auf europäischer Ebene haben wir auch auf nationaler Ebene bei der Umsetzung der Richtlinie den sachgerechten Interessenausgleich zwischen den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung im Blick behalten und für eine Speicherung mit Augenmaß gesorgt.
Meines Erachtens ist in der Umsetzung dieser Richtlinie daher kein Verfassungsverstoß zu erkennen.
In der Hoffnung, Ihnen mit den Äußerungen ein wenig die Position der SPD-Bundestagsfraktion näher gebracht zu haben, verbleibe ich
mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Ulrich Krüger, MdB