Frage an Hans-Peter Bartels von Thorsten L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Bartels,
ich gehöre zu den zahlreichen Bürgern, die sich sehr über das Internetsperren-Gesetz ärgern und die Petition gegen das Gesetz zur erfolgreichsten Petition in der Geschichte der Bundesrepublik gemacht haben. Da Sie allerdings kein Fachpolitiker für dieses Gesetz sind, bitte ich Sie - nicht - um Auskunft zum konkreten Gesetzesvorhaben, sondern um eine Antwort zu etwas grundsätzlicheren Fragen zur Positionierung der SPD in Bürgerrechtsfragen.
Mit den Stimmen der SPD-Bundestagsfraktion wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Gesetze verabschiedet, die Freiheiten stark einschränken und unbescholtene Bürger unter Überwachung stellen (z.B. Vorratsdatenspeicherung). Zum Teil habe sich diese Gesetze anschließend als verfassungswidrig herausgestellt. Dadurch ist es für mich, als ehemaligen SPD-Wähler, mittlerweile unvorstellbar geworden, der SPD meine Stimme zu geben. In meinem Bekanntenkreis kann ich beobachten, dass es vielen ähnlich geht. Wer für eine solidarische UND freiheitliche Gesellschaft eintritt, wählt dort mittlerweile grün.
Mein persönlicher Eindruck ist, dass die SPD mit ihrer derzeitigen innenpolitischen Ausrichtung nur verlieren kann. Anhänger eines Präventionsstaates mit umfassender Überwachung und weitreichenden polizeilichen Befugnissen wählen doch ohnehin lieber das Original, d.h. CDU und CSU. Eine SPD, die diesen nacheifert, verliert allerdings jeden Rückhalt im nicht zu unterschätzenden bürgerrechtsbewegten Teil der Gesellschaft.
Daran anknüpfend meine Fragen:
1. Gibt es angesichts der massiven Wählerverluste der Vergangenheit eine innerparteiliche Debatte, ob die SPD sich stärker für Bürgerrechte und Freiheit - insbesondere im Zusammenhang mit den neuen Medien - einsetzen soll?
2. Glauben Sie persönlich, dass sich die SPD in Bürgerrechtsfragen strategisch richtig positioniert hat?
Mit freundlichen Grüßen
Thorsten Lang
Sehr geehrter Herr Lang,
Dank für Ihre Frage zur Bürgerrechtsdebatte.
Die SPD hat in den vergangenen vier Jahren in der Großen Koalition die Bürgerrechte - dazu gehört auch Sicherheit - gestärkt. Bei der von Ihnen angesprochenen Vorratsdatenspeicherung (bei Telekommunikationsanbietern vorhandene Daten müssen dort ein halbes Jahr gespeichert bleiben) haben wir unter anderem dafür Sorge getragen, dass gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag das Recht Dritter auf Dateneinsicht radikal eingeschränkt wurde. Nachdem die SPD im Bundesrat Bedenken gegen das BKA-Gesetz angemeldet hatte, haben wir im Vermittlungsausschuss durchgesetzt, dass die Online-Durchsuchung grundsätzlich einer richterlichen Anordnung bedarf (wie Hausdurchsuchungen) und auch die Verwendung der so gewonnenen Daten der richterlichen Entscheidung unterliegt. In der Debatte um das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen haben wir uns erfolgreich dafür eingesetzt, dass der Grundsatz "Löschen vor Sperren" gilt, dass die Sperrliste regelmäßig von einem unabhängigen Gremium überprüft wird, dass keine personenbezogenen Daten gespeichert werden (es geht um Prävention) und dass das Gesetz zunächst befristet (bis zum 31.12.2012) gilt.
So haben wir dazu beigetragen, dass bereits bekannte Rechtskonzepte - Urheberschutz, Durchsuchung als Teil der Ermittlungsarbeit, die Bekämpfung von Kindesmissbrauch - in das digitale Zeitalter fortentwickelt wurden. Die SPD stand nie auf Seiten derer, die das Internet als rechtsfreien Raum begreifen.
Die SPD ist die Partei der Freiheit - allerdings mit einem Freiheitsbegriff, der die Grenzen dort setzt, wo die Freiheit anderer beeinträchtigt wird. Um auf Ihre zweite Frage zu antworten: Ich halte unsere Positionierung nicht nur für "strategisch" richtig - sondern für richtig.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Peter Bartels