Frage an Hans-Martin Haller von Erik W. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Haller,
zunächst möchte ich Ihnen eine frohe Weihnacht wünschen.
Tja-vor einem guten Jahr war der Volksentscheid (VE) zu Stuttgart 21, der bekanntermaßen zuungunsten eines Ausstiegs des Landes Baden-Württembergs aus der Finanzierung von S21 ausgegangen ist. Auch bekannt ist, dass es in der Zwischenzeit nun Kostensteigerungen gegeben hat [1], die der Bundesrechnungshof zwar so schon abgesehen hat, aber insbesondere von den Befürwortern von S21 -auch von Ihnen- als haltlos bezeichnet wurden [2] . Besonders enttäuschend an der Sache ist, dass der Bahnchef nun sagt, dass er festgestellt hätte, dass die Verträge auf vollkommen ungenügender Preisbasis abgeschlossen wurden [3] und die McKinsey-Studie nun feststellt, dass die Einsparpotentiale aus 2009 keinen realistischen Hintergrund [1] gehabt haben.
Vor diesem Hintergrund ist mir mindestens eine Person (SPD-Stammwähler und beim VE S21-Befürworter) bekannt, die sich angesichts dieser Punkte mehr oder weniger angeschmiert vorkommt und -mit heutigem Kenntnisstand- das Projekt ablehnt.
Fragen:
Genießt S21 in der SPD-Landtagsfraktion den selben Rückhalt wie vor dem Volksentscheid oder nähert sich die Position dieser möglicherweise in der Zwischenzeit derjenigen der Grünen an, die das Projekt nach wie vor sehr kritisch sehen.
Denken Sie, dass Sie Ihre ganz persönliche Glaubwürdigkeit und diejenige der SPD gestärkt haben, indem Sie die Aussagen der Bahn unreflektiert wiedergegeben haben - die man jetzt wohl mit Fug und recht als "erstunken und erlogen" bezeichnen muss?
Denken Sie, dass Sie der SPD mit der vorbehaltlosen Unterstützung der DB beim VE einen strategischen Gefallen getan haben oder ist es nicht eher so, dass die CDU diesen zur Profilierung nutzte - anstatt die beste Lösung für das Land und die Allgemeinheit zu suchen [4]?
Mfg Erik Wille
[1] http://tinyurl.com/d7l9mqy
[2] http://tinyurl.com/c5ks6l7
[3] http://tinyurl.com/cjnfgqk
[4] http://tinyurl.com/c8rbw9x
Sehr geehrter Herr Wille,
ich danke Ihnen für Ihre Fragen, die Sie über abgeordnetenwatch.de an mich gerichtet haben. Diese möchte ich gerne beantworten, wünsche Ihnen aber für das Jahr 2013 zunächst alles Gute!
Ich stimme Ihnen darin zu, dass die von der DB prognostizierten Kostensteigerungen bei Stuttgart21 sehr ärgerlich sind. Dennoch bleibe ich ein Befürworter dieses Projekts und auch in der SPD-Landtagsfraktion ist der Rückhalt für einen Weiterbau gegeben, zumal die grün-rote Landesregierung deutlich gemacht hat, dass der in der Finanzierungsvereinbarung der Beteiligten festgelegte Kostendeckel von 4,5 Mrd. Euro bleibt und darüber hinaus gehende Mehrkosten (mit Ausnahme der Kosten für den Filderbahnhof) vom Land - übrigens auch der Stadt Stuttgart - nicht mitgetragen werden, sondern von der Bahn übernommen werden müssen. Konsequenterweise hat der Vorstand der DB AG beim Aufsichtsrat der DB AG beantragt, die aktuell definierten Mehrkosten allein durch die DB AG zu tragen.
Bezüglich Kostensteigerungen ist S 21 leider kein Einzelfall. Sowohl beim Straßenbau als auch beim Ausbau von S- Bahn Netzen treten stetig Kostensteigerungen auf, wie Sie dies der Antwort des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur auf einen Antrag der Landtagsfraktionen von SPD und Grünen im Landtag vom 9.5.2012 (Drucksache: 15/1683) entnehmen können. Erwähnt sei aktuell die Planung der S-Bahn von Freiburg nach Elzach, welche sich in kurzer Zeit von ca. 20 Millionen auf ca. 60 Millionen verteuert hat, oder die Stadtbahn Heilbronn (geplant mit 25,7 Mio. Euro, abgeschlossen mit 38,2 Mio. Euro) und die Strecke der S60 innerhalb des S-Bahn-Netzes Stuttgart (gestartet bei 80 Mio. Euro, gelandet bei 150 Mio. Euro). Der erste Planansatz der Schnellbahnstrecke Mannheim-Stuttgart belief sich im Jahr 1973 auf 900 Mio. DM, abgerechnet wurde 1991 die Fertigstellung mit 4,3 Mrd. DM. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Um nicht missverstanden zu werden: Diese Entwicklungen sind ärgerlich und eigentlich ist nicht nachzuvollziehen, warum deutsche Ingenieurskunst nicht ausreicht, um Projekte - egal ob privat
oder staatlich - verlässlich zu planen.
Trotzdem - und durchaus mit der Faust in der Tasche - können wir nicht jedes Mal bei unabdingbar notwendigen Projekten, wenn sich im zeitlichen Ablauf Verteuerungen einstellen, auf die Fortführung verzichten. Der Bahnknoten Stuttgart bedarf dringend der Sanierung. Eine Abkehr von der jetzigen Planung würde bedeuten, mit dem desolaten Zustand die nächsten ca. 10 Jahre zu leben, und niemand hat die Gewissheit, dass eine komplett neue, im Lauf der Jahre festgelegte Planung unumstritten wäre und sich nicht verteuern würde.
Ich hoffe Ihnen meine Position verständlich dargelegt zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Hans-Martin Haller MdL