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Hans-Martin Haller
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Frage von Harald J. •

Frage an Hans-Martin Haller von Harald J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Hallo Herr Haller,
wie ist ihr Standpunkt zur Streichung der sogenannten "Bagatellklausel" aus dem Regierungsentwurf für die Urheberrechtsnovelle auf Drängen der Unterhaltungsindustrie?
Wie kann es sein, dass ein Industriezweig die Macht hat Gesetze nach ihrem Wunsch durchdrücken zu können, die ganz klar nicht im Interesse der Bevölkerung sind? Wie kann es sein, dass wir Bürger für etwas kriminalisiert werden wofür anscheinend mehrheitlich kein Unrechtsempfinden besteht? Müsste man solche Dinge nicht anders angehen (Kulturflatrate zB.)?
Was den Vogel dann letztendlich abschiesst ist die Einführung eines zivilrechtlichen Auskunftanspruchs gegenüber Internet-Providern. Diese müssten dann die Identität von Verdächtigen etwa anhand aufgezeichneter IP-Adressen gegenüber Rechtehaltern preisgeben. Dieser Vorschlag ist ganz klar verfassungsfeindlich. Wie kann es sein, dass solch ein Vorschlag überhaupt in einen Entwurf kommen kann?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr John,

vielen Dank für Ihre Frage, die mich auf ein mir zugegebenermaßen weniger vertrautes Terrain führt.

Ohne Expertenwissen vorschützen zu können, will ich einige ganz persönliche Überlegungen und Meinungen voranstellen, ehe ich auf die einzelnen konkreten Punkte in Ihrer Anfrage eingehe:

Unabhängig von der aktuellen Debatte habe ich oft den Eindruck, dass das Urheberrecht weniger den Urhebern dient als den Verwertern und Vermarktern von Rechten an geistigem Eigentum. Ich bin der Meinung, dass Pauschalabgabenmodellen die Zukunft gehört: Besser und v. a. praktikabler als zu weit gehende Kriminalisierungsversuche ist es, beim Erwerb entsprechender Geräte oder Anschlüsse Pauschalgebühren zu erheben, mit denen der Käufer ein „Recht“ auf private Vervielfältigung erwirbt, und die dann an die Urheber verteilt werden. Mir ist klar, dass hier der Teufel im Detail steckt, dass Geräte und Anschlüsse dadurch nicht gerade billiger würden. Dennoch erscheinen mir die geltenden Regelungen bezüglich solcher Modelle zu halbherzig.

Nun zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen im einzelnen:

Bundesjustizministerin Zypries, die meiner Partei angehört, wollte die Bagatellgrenze: Rechtswidrige Vervielfältigungen sollten straffrei bleiben, wenn sie nur in geringer Zahl und für den eigenen privaten Gebrauch hergestellt werden. Union, FDP und Linkspartei waren gegen diesen Gesetzesvorbehalt.

Aus meiner Sicht spricht für die Bagatellgrenze nicht zuletzt, dass Staatsanwaltschaften sich ausdrücklich für eine solche Regelung ausgesprochen haben, weil sie sich andernfalls bei der Verfolgung schwerwiegender Straftaten behindert sehen.

Der gestern vom Bundeskabinett verabschiedete Entwurf zum Urheberrecht verzichtet auf die Bagatellgrenze, was ich bedauere. Der Verzicht ist den Mehrheitsverhältnissen im Bundestag geschuldet, die der Justizministerin nicht die Durchsetzung ihrer Position erlaubt haben.

Zur „Ehrenrettung“ der Justizministerin will ich anfügen, dass der jetzt getroffene Kabinettsbeschluss keineswegs auf ganzer Linie mächtigen Lobbys entgegenkommt: Wo kein Kopierschutz geknackt wird, darf man weiterhin privat kopieren – und zwar analog wie digital. Es gab meines Wissens starke Lobbytätigkeit, zumindest bei digitalen Medien der Privatkopie gänzlich den Garaus zu machen – diesem Lobbydruck hat die Bundesregierung nicht nachgegeben. Das Verbot des „Kopierschutz-Knackens“ ist nach Auffassung des Bundesjustizministeriums übrigens durch EU-Recht zwingend vorgegeben.

Hinweisen möchte ich zudem darauf, dass trotz des – m. E. falschen – Verzichts auf die Bagatellgrenze Staatsanwaltschaften weiter die Möglichkeit haben, entsprechende Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Aufgrund der Arbeitsbelastung durch Wichtigeres (s. o.) werden die Staatsanwaltschaften davon m. E. auch Gebrauch machen.

Zum zivilrechtlichen Auskunftsanspruch gegen Internet-Provider will ich folgendes anmerken:

Eine entsprechende Regelung ist nicht Gegenstand der gestern vom Bundeskabinett verabschiedeten Urheberrechtsnovelle. Sie wird vielmehr im Zusammenhang mit der „Richtlinie zur Durchsetzung Geistigen Eigentums“ diskutiert.

Grundsätzlich halte ich es für fragwürdig, anders als bisher nicht mehr nur der Staatsanwaltschaft sondern Time Warner, Universal & Co. das Recht einzuräumen, bei Providern den Namen von „Sündern“ zu erfragen. Aus meiner Sicht besteht kein entsprechender Handlungsbedarf, weil die Gerichte schon auf Basis des geltenden Rechts zu vernünftigen Ergebnissen kommen.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Martin Haller