Frage an Hans-Martin Haller von Erik W. bezüglich Verkehr
Sehr geehrter Herr Haller,
Sie haben auf die Frage meines Vorredners geantwortet, dass Sie nach wie vor für Stuttgart 21 wären. Ich hätte zu dieser Antwort, die ja durchaus nach wie vor mit Ihrer Parteilinie übereinstimmt, folgende Fragen:
- Laut Stiftung Warentest ist Stuttgart mal wieder in der Spitzengruppe der Pünktlichkeit von Bahnhöfen.
http://www.test.de/themen/freizeit-reise/test/Unpuenktlichkeit-bei-der-Bahn-Fast-70-Prozent-zu-spaet-4200668-4200674/
Denken Sie nicht, dass die Deutsche Bahn andere Probleme hat, als sehr pünktliche Bahnhöfe über ein Jahrzehnt (wohl eher über zwei Jahrzehnte auf Grund des chronischen Geldmangels) durch sehr sehr teure Bahnhöfe, welche vielleicht ähnliche Pünktlichkeiten garantieren werden - wahrscheinlich aber nicht, wenn wir den neuen Bahnhof Berlin anschauen- zu ersetzen?
- Sie sind als Vorkämpfer für die Elektrifizierung der Zollernbahn bekannt. http://www.hansmartin-haller.de/index.php?nr=34634&menu=1
Diese wurde in den vergangenen Jahrzehnten nicht umgesetzt - wohl aus Geldmangel. Denken Sie, dass die Wahrscheinlichkeit steigt oder sinkt, wenn demnächst das Land, der Bund und die Bundesbahn fünf bis zehn Milliarden Euro ärmer sein werden?
- Mehrfach wurde angeführt, dass S21 die Bundesbahn zwingen würde, die Zollernbahn zu elektrifizieren.
http://www.schwaebische.de/region/sigmaringen-tuttlingen/sigmaringen_artikel,-%E2%80%9EDie-55-Minuten-waren-missverstaendlich%E2%80%9C-_arid,4186526.html
Was spricht aus Ihrer Sicht in Zeiten knapper Kassen dagegen, einfach den Passagier aus dem Zollern-Alb-Kreis in Tübingen umsteigen zu lassen und dort wieder einige (wohl eher mehrere Minuten...) einfach auf der Strecke zu lassen.
Mfg Erik Wille
Sehr geehrter Herr Wille,
vielen Dank für Ihre Frage.
Gestatten Sie vorab, dass ich Sie zur Frage „S 21“ vs. „K 21“ auf http://www.hansmartin-haller.de/index.php?nr=42242&menu=402 verweise - einen Text, mit dem ich bereits im Oktober ausführlicher mit Für und Wider auseinander gesetzt habe.
Nun zu Ihren Fragen im einzelnen:
Die Untersuchung der Stiftung Warentest basiert auf Fernverkehrszügen - ob Stuttgart gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen von Bahnpendlern aus dem Zollernalbkreis, die unsere Regionalzüge nutzen, bei einer entsprechend erweiterten Untersuchungsbasis immer noch zur Spitzengruppe zählen würde?
Die Infrastruktur des gesamten Bahnknotens von Feuerbach bis Untertürkheim - es geht bei K 21 wie S 21 um mehr als nur um den „Bahnhof Stuttgart“ im engeren Sinne - hat mit 100 Jahre alten Bauwerken die Grenze ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer erreicht.
Niemand, den ich kenne, auch nicht auf Seiten von „S 21“-Kritikern, plädiert deshalb fürs Nichtstun. Mindestens müsste der gesamte innerstädtische Gleisbereich - Schienen, mehrere Hundert Weichen, Fahrleitungsanlagen, Leit- und Sicherungstechnik sowie Ingenieursbauwerke -über 10 bis 15 Jahre hinweg unter laufendem Betrieb instandgesetzt werden. Selbst S 21-Gegner beziffern die entsprechenden Kosten auf 1,3 Milliarden Euro. Wohlgemerkt: allein für den Bestandserhalt, bei konsequentem Verzicht auf die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm und auf den Flughafen-Bahnhof! Ich gehe darauf unter o. g. Link ausführlicher ein.
Wie „S 21“ geht „K 21“ - zumindest in den mir geläufigen Ausarbeitungen - weit über diesen bloßen Bestandserhalt hinaus. Ich halte es deshalb für grob irreführend, wenn zwar vom Milliardenprojekt „S 21“ gesprochen - ohne zugleich einzugestehen, dass auch „K 21“ ein Milliardenprojekt ähnlicher Dimension wäre.
Ich verstehe die Sorge, dass Mittel für Stuttgart 21 an anderer Stelle fehlen könnten. Ich will an dieser Stelle auch nicht viel von formal getrennten Finanzierungstöpfen sprechen, die nicht einfach für anderes als für „S 21“ angezapft werden können. So viel steht m. E. aber fest: Stuttgart hat fast alle bei S 21 frei werdenden Flächen von der Bahn gekauft. Ein auch nur annähernd vergleichbares Engagement Stuttgarts ist bei Gegenvorschlägen zu „S 21“ ausgeschlossen.
Speziell zur Elektrifizierung der Zollernbahn möchte ich anmerken: Ich weiß, dass von anderer Seite die Position vertreten worden ist bzw. wird, „S 21“ zwinge zur Elektrifizierung. Ich habe diese Position nicht vertreten.
Sie finden unter http://www.landtag-bw.de/wp14/drucksachen/5000/14_5542_d.pdf eine u. a. von mir initiierte Anfrage zum Thema. Daraus ersichtlich ist auch, in welch frühen Planungsstadium die Elektrifizierung sich befinde - und welcher politischen Arbeit es bedarf, um Fortschritte zu erzielen.
Ja, „S 21“ erhöht die Dringlichkeit der Elektrifizierung - die aber unabhängig davon auch Gegenstand der RegionalStadtBahn-Konzeption des Regionalverbands Neckar-Alb ist und mit Blick auf die chronisch unzuverlässigen Neigetechnik-Triebwagen notwendig ist, die sicher keine Ewigkeit mehr auf der Zollernbahn eingesetzt werden können.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Martin Haller