Frage an Hans-Joachim Otto von Jörg M. bezüglich Kultur
Lieber Herr Otto,
ich habe Sie auf der Rückseite einer Kunstzeitung in Denkenpose mit der Forderung abgebildet gesehen, Kultur als Staatsziel in der Verfassung zu verankern.
Graf Lambsdorff hat vor Jahren ein Vorwort zu v. Hayeks "Wege zur Knechtschaft" geschrieben, was mich zur der Vermutung veranlasst hat, dass Hayeks Gedankengut, eben auch zu Inhalten einer Verfassung, in der FDP eine Rolle spielen könnten.
Ein Staatsziel mit Verfassungsrang öffnet dem entsprechenden Klientel ein Schlaraffenland von Möglichketen staatlicher Alimentierung. Ich war der Meinung, dass die FDP für eine andere Auffassung von Staat steht.
Wie ist es möglich, dass ein FDP Politiker dennoch eine solche Forderung vertritt?
Sehr geehrter Herr Müller,
vielen Dank für Ihre Frage zum Staatsziel Kultur. Ich freue mich sehr, daß die Anzeige in der Zeitschrift "Art" sowie die FDP-Kulturpolitik auf Ihr Interesse gestoßen sind. Ich möchte nun zunächst auf Ihre Hinweise auf F. A. von Hayek und die "Auffassung von Staat" der FDP eingehen, bevor ich Ihnen meine Position zur Verankerung der Kultur im Grundgesetz darstelle.
In der Tat steht die FDP für einen "schlanken" Staat. Dieser muß klare und zeitgemäße Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer sich Individuum und Gesellschaft möglichst frei entfalten können. Die grundsätzliche Notwendigkeit eines politischen Rahmens wird demnach von der FDP nicht angezweifelt, die politischen Debatten drehen sich eher darum, was genau und in welcher Form vom Staat vorgegeben werden muß und was nicht. Es geht also eher um das "Wie" als das "Ob". Damit steht sie übrigens durchaus in der Tradition der auch mit Hayek verbundenen "Freiburger Schule". Eine prägnante Aussage im von Ihnen genannten Werk "Der Weg zur Knechtschaft" etwa lautet: "Kein vernünftiger Mensch kann sich ein Wirtschaftssystem vorstellen, in dem der Staat ganz untätig ist" (v. Hayek, Der Weg zu Knechtschaft, 1952; S. 62). Ich denke, daß diese Aussage von der ganz überwiegenden Mehrheit meiner FDP-Kollegen geteilt wird.
Der wichtigste und prominenteste staatliche Rahmen in Deutschland ist das Grundgesetz - vulgo: die Verfassung. In dieser sind die grundlegenden Strukturen des gesellschaftlichen und menschlichen Miteinanders sowie des Verhältnisses vom Staat zu den Bürgern festgelegt.
Die Grundlage des Miteinanders ist - ausgehend von einem sehr breiten Kulturverständnis - die Kultur. Sie bildet die ideelle Lebensgrundlage der Menschen und das zentrale Identifikationsmoment unserer Gesellschaft. Demnach kann ich Ihrer Aussage, "dem entsprechenden Klientel [werde] ein Schlaraffenland von Möglichkeiten staatlicher Alimentierung" geschaffen, in keiner Weise zustimmen. Denn es existiert kein "entsprechendes Klientel" jenseits jedes einzelnen Individuums sowie der Gesellschaft insgesamt. Es geht hier nicht um eine bestimmte Form der Kultur, bestimmte Werke oder bestimmte Künstler. "Kultur" in seiner breiten Bedeutung umfaßt die Gesamtheit des kulturellen Erbes und des kulturellen Schaffens in der vollen historisch gewachsenen Breite und Vielfalt.
Übrigens ist die Formulierung aus dem Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion zur Aufnahme des Staatsziels Kultur, "Der Staat schützt und fördert die Kultur", das Resultat der intensiven Abstimmung mit namhaften Staatsrechtlern. In ihr manifestiert sich ein ständiger Appell an den Staat, kulturelle Erfordernisse zu berücksichtigen, ohne daß eine Verpflichtung zu ganz bestimmten Umsetzungsmaßnahmen oder gar partikularen Förderungen bestehe.
(Nicht nur) aus meiner Sicht bildet die Kultur in allen ihren Erscheinungsformen die Grundlage für die geistigen und ideellen Dimensionen menschlichen Daseins. Die Ergänzung des Grundgesetzes um das Staatsziel Kultur ist ein wichtiges rechtliches und politisches Signal dafür, welchen besonderen Stellenwert der Staat der Kultur - ähnlich dem bereits vorhandenen Tier- und Naturschutz - einräumt.
Denn während momentan bei der Umwelt die natürlichen Grundlagen des menschlichen Daseins als Staatsziel unter einem besondern Schutz stehen, bleiben die geistigen Grundlagen unerwähnt. Daher ist eine Ergänzung sinnvoll und notwendig.
Übrigens trifft nicht zu, daß mit meiner Person "ein FDP-Politiker" eine solche Forderung vertritt. Der angesprochene Gesetzentwurf, den ich Ihnen als Anlage beigefügt habe, wird von der gesamten FDP-Bundestagsfraktion getragen. Darüber hinaus hat die FDP auf ihrem 58. Parteitag dem Antrag "Kultur braucht Freiheit" mit großer Mehrheit zugestimmt. Wesentlicher Bestandteil des Antrages war die Forderung nach einem Staatsziel Kultur.
Abschließend sei noch darauf hingewiesen, daß sich nicht nur die FDP für das Staatsziel Kultur einsetzt. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags "Kultur in Deutschland", welcher Vertreter aller im Bundestag vertretenen Parteien angehörten, hat sich einstimmig für die Verankerung der Kultur im Grundgesetz ausgesprochen. Ich hoffe sehr, daß sich die entsprechenden Fraktionen der Forderung der Enquete-Kommission und der FDP noch anschließen. Den Abschlußbericht der Kommission finden Sie übrigens auf meiner Homepage http://www.hansjoachimotto.de
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Otto