Frage an Hans-Joachim Otto von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Otto,
Kriegspropaganda und Meinungsunterdrückung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen - sind wir dagegen machtlos?
Bei den einseitigen Kommentaren in den ARD-Tagesthemen zum Afghanistankrieg sind ARD-Sender mitveranwortlch. Deshalb wandte ich mich am 22.9.08 mit einer Programmbeschwerde an den Rundfunkrat von Radio Bremen.
Der Text:
"Es geht um die Nchtbeachtung der Pluralität von Meinungen
zum Afghanistankrieg bei der Auswahl von Kommentatoren für die TAGESTHEMEN.
Es werden nur Kommentatoren berücksichtigt, die die Notwendigkeit der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg nicht bezweifeln.
Die Aussperrung von Kriegsgegnern ist unverständlich, weil eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung - darunter Helmut Schmidt sowie die CDU-Bundestagsabgeordneten Börnsen und Wimmer - mit respektablen Gründen den Afghanistankrieg ablehnt.
Nach § 8 Radio-Bremen-Gesetz trägt der Rundfunkrat der Vielfalt der Meinungen in der Bevölkerung Rechnung.
Mein Antrag: Bei der Auswahl der Tagesthemenkommentatoren zum Afghanistankrieg müssen die Grundsätze der Meinungsvielfalt und der Ausgewogenheit beachtet werden."
Muß ich befürchten, daß die Mehrheit im Rundfunkrat aus politischen Gründen die zu Lasten der Demokratie und der Kriegsgegner gehende Meinungsunterdrückung billigt?
Gibt es Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen zur Meinungsvielfalt im öffentlich-rechtlichen Fernsehen?
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
vielen Dank für Ihre Frage vom 01.10.08 und die Übersendung des Wortlauts Ihrer Programmbeschwerde an den Rundfunkrat von Radio Bremen.
Der Rundfunkrat ist in der Tat der richtige Ansprechpartner für ein solches Anliegen. Es wird Ihnen wohl auch nichts anderes übrig bleiben als die Antwort des Gremiums abzuwarten. Von Seiten der Politik ist - richtigerweise - kein Einfluß auf die Programmplanung und -gestaltung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu übernehmen.
Daß Sie mir Ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit und die Politik herantreten, ist natürlich völlig legitim. In diesem Zusammenhang beobachte auch ich eine gewisse Frustration vieler Bürgern hinsichtlich der Wirksamkeit der Binnenkontrolle bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Ich persönlich glaube - und der Fall "Emig" hat es eindrucksvoll demonstriert -, daß die Rundfunkräte, die am Informationstropf der Anstalten selbst hängen, gar nicht die Möglichkeit bekommen, unabhängige und transparente Entscheidungen zu treffen. Daher fordere ich schon seit langem die Einrichtung einer einheitlichen, professionellen und unabhängigen Medienaufsicht, die auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zuständig ist.
Was Ihre konkreten Vorwürfe angeht, teile ich jedoch nicht völlig Ihre Meinung. Es mag sein, daß die Kommentare in den "Tagesthemen" ein einseitiges Bild ergeben - ich kann das so nicht abschließen beurteilen. Allerdings muß die Verpflichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, "die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Angebote und Programme" sicherzustellen (Artikel 11 Absatz 3 Rundfunkstaatsvertrag), vor dem Hintergrund des gesamten Programms gesehen werden.
Gerade im Hinblick auf das Engagement Deutschlands in Afghanistan höre und sehe ich auch bei ARD und ZDF kritische Stimmen. Selbst wenn diese nicht in den Tagesthemen auftauchen, sollten Sie überlegen, woher Ihnen zum Beispiel die Argumente Helmut Schmidts bekannt sind: wahrscheinlich doch aus seinen nun wahrlich nicht seltenen Auftritten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk - etwa bei "Beckmann" oder bei seiner Buchvorstellung mit Claus Kleber bei Phoenix.
Vor diesem Hintergrund finde ich die Vorwürfe der "Kriegspropaganda" oder der "Meinungsunterdrückung" übertrieben. Insofern ist m.E. auch Ihre Vermutung, der Rundfunkrat würde möglicherweise "zu Lasten der Demokratie und der Kriegsgegner Meinungsunterdrückung billigen", bei aller berechtigten strukturellen Kritik nicht zutreffend.
Nichtsdestotrotz bin ich auf die Reaktion des Rundunkrates gespannt. Sollten Sie in diesem Zusammenhang weitere Kritik oder Fragen haben, können Sie diese gerne erneut an mich herantragen.
Im übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, daß das deutsche Rundfunkrecht erheblich von Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes geprägt wurde. Selbstverständlich setzen sich diese Urteile auch mit dem Thema "Meinungsvielfalt" auseinander, da sie einen wesentlichen Faktor für die Existenzberechtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks darstellt. Sie können alle Entscheidungen und Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts auf der Homepage http:www.bverfg.de einsehen. Als Einstieg empfehle ich Ihnen die sehr interessante und aussagekräftige Entscheidung vom 11.09.07, die Bezug auf sämtliche relevanten verfassungsrechtlichen Aussagen zum Rundfunk nimmt und die Sie hier finden:
http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20070911_1bvr227005.html
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Otto