Frage an Hans-Joachim Otto von Martin K. bezüglich Kultur
Guten Tag.
Als Vorsitzenden des Ausschusses für Kultur und Medien möchte ich sie um eine Stellungnahme zu aktuellen Entwicklungen im Bereich des Urheberrechts bitten: Derzeit gibt es auf EU-Ebene Bestrebungen, das "französische Modell" für die Verfolgung von Tauschbörsen-Benutzern durchzusetzen, welche urheberrechtlich geschütztes Material verbreiten.
Dieses Modell sieht vor, dass die Unterhaltungsindustrie über die Provider eine Verwarnung der Benutzer und letztlich auch Sperrung deren Internetzugänge erwirken kann. Darüber hinaus soll durch ein zentrales Register die Wiedererlangung eines neuen Zugangs bei einem anderen Provider verhindert werden.
Ich halte dies für einen unglaublichen Vorgang, der alle rechtsstaatlichen und datenschutzrechtlichen Grundsätze untergräbt. Selbst das "abgemilderte" "deutsche Modell", das neben Verwarnungen "nur" eine Bandbreitendrosselung vorsieht, steht dem in keinem Aspekt nach. Hier tritt massivste Lobby-Hörigkeit (oder gar Korruption? Anders kann ich mir derartige Bestrebungen nicht erklären.) zutage, welche der Politikverdrossenheit in diesem Lande erheblichen Vorschub leisten wird. Bei der ersten Abstimmung im EU-Parlament erlitt der Antrag eine Niederlage, es wird aber weiter an einer solchen Gesetzgebung gearbeitet.
Ihre Partei hat sich zu den Themen der Vorratsdatenspeicherung und des Datenschutzes immer als Partei der Bürgerrechte positioniert, was sich auch im Abstimmungsverhalten widergespiegelt hat. Um so sprachloser war ich, dass eben diese Partei vehemment dieses Modelle auf EU-Ebene und auch hierzulande bei der x-ten Novelle des Urheberrechts unterstützt und dem Antrag zugestimmt hat!
Sollte dies die offizielle Position des FDP sein, wäre sie für mich bis auf weiteres unwählbar.
Wie sehen Sie diese Entwicklungen und welche Position vertritt Ihre Partei offiziell hierzu?
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Kartumovic,
vielen Dank für Ihre Frage vom 03.09.08. Lassen Sie mich vorweg bitte folgende Anmerkung machen: Politik in einer Demokratie bedeutet ganz überwiegend, mehrheitsfähige Kompromisse zu finden und umzusetzen. Das mag sich trivial anhören, muß aber gerade in einer sehr emotionsgeladenen Debatte wie der über das Urheberrecht immer wieder betont werden. Die auch von Ihnen vorgebrachte "Politikverdrossenheit" dient mittlerweile so ziemlich jedem - Bürger wie auch Politiker -, um auf ihm unliebsame Entscheidungen loszugehen. Ich halte das weder für zielführend noch für demokratieförderlich.
Kompromisse zu schließen - das ständige Geschäft von Politikern, aber letztendlich auch von jedem Bürger in seinem alltäglichen Leben - bringt mit sich, daß es Menschen gibt, die weniger vom Ergebnis angetan sind, und andere, bei denen positivere Reaktionen ausgelöst werden. Hundertprozentige Zustimmung oder Ablehnung - das wissen wir alle - gibt es leider nicht. Vor diesem Hintergrund empfinde ich es als sehr kurz gedacht, unfair und sogar gefährlich, daß jede mit demokratischer Mehrheit getroffene Entscheidung, die dem einen oder anderen nun einmal nicht gefallen mag, in einen Zusammenhang mit "Lobby-Hörigkeit" oder "Korruption" gebracht wird. So (einfach!) ist es nun einmal nicht, auch wenn es immer wieder herbeigeredet wird. Wir sollten tunlichst mit dieser gefährlichen Scharfmacherei aufhören.
Zu Ihrer Frage: im Urheberrecht existiert eine kaum überschaubare Fülle von verschiedenen Interessen. Die Politik versucht seit vielen Jahren, möglichst für alle Beteiligten tragfähige Kompromisse zu erarbeiten, was sich leider als nahezu unmöglich darstellt. Trotzdem können wir natürlich nicht die Hände in die Hosentaschen stecken und resignieren.
Der Kern des Urheberrechts ist der Schutz des geistigen Eigentums. Wir brauchen intellektuelle und kreative Leistungen, denn diese sind die Grundlage für wirtschaftliche Wertschöpfung sowie den Bestand und die Entwicklung unserer Kulturlandschaft. Wie bei ganz "normalem" dinglichem Eigentum gehört das geistige Eigentum seinem Urheber, und auch der Staat muß dafür Sorge tragen, daß dieses geistige Eigentumsrecht geschützt bleibt.
Ich als Medien- und Kulturpolitiker befinde mich dort in einer Zwickmühle, das gebe ich auch offen zu. Mir liegen die Freiheit und das individualistische Wesen des Internet genauso am Herzen wie der Schutz kreativer Kulturschaffender auf der einen und die möglichst ungestörte Geschäftstätigkeit der Telekommunikationsindustrie auf der anderen Seite. Schon in diesem Dilemma ist angelegt, daß es auch für mich persönlich immer nur die Möglichkeit von Kompromissen geht.
Um eines klar zu sagen: ein Verfahren - so wie es aus Frankreich kolportiert wird -, in dem letztendlich der Internet-Service-Provider (ISP) zum Sheriff ernannt wird, der auf Bitte der Rechteinhaber hin dem Internet-Nutzer den Saft abdreht, lehne ich ab. Mir geht es dabei vor allem um das Fehlen eines klaren rechtsstaatlichen Verfahrens. Es gibt allerdings durchaus Vorschläge aus verschiedenen Kreisen, die das Problem der massiven Rechtsverletzungen im Internet ernstnehmen und trotzdem mit ihren Vorschlägen innerhalb eines rechtsstaatlich einwandfreien und verhältnismäßigen Verfahrens bleiben. Über diese müssen wir diskutieren. So zum Beispiel halte ich die Idee automatischer und anonymisierter "Warnhinweise" durch die ISP - die diesem Vorschlag freilich zustimmen müßten - für gar nicht so abwegig und allemal für besser als massenhafte Abmahnungen "ins Blaue".
Sie sehen, das Urheberrecht wird auch weiterhin geprägt sein von komplexen und zeitintensiven Suchen nach Kompromissen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle eine weitere Stimme aus den Reihen der FDP übermitteln, die Ihnen unsere Position unter Umständen verdeutlichen kann. Sie kommt von der rechtspolitischen Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Obwohl wir beide manchmal unterschiedliche Schwerpunkte beim Urheberrecht gesetzt haben, ziehen wir am gleichen Strang, nämlich der Verbesserung des Schutzes kreativer Leistungen mit verhältnismäßigen und gesellschaftlich breit akzeptierten Maßnahmen. Ich darf Ihnen ihr Schreiben zu diesem Themenkomplex zitieren und darauf hinweisen, daß ich ihre Meinung ausdrücklich teile:
"Für die FDP steht außer Frage, dass ein wirksamer Schutz durch das Urheberrecht eine wesentliche Voraussetzung für kreative Tätigkeit und für Investitionen in deren wirtschaftliche Verwertung ist. Auch in der digitalen Welt brauchen wir ein möglichst hohes Schutzniveau. Wegen der wachsenden Bedeutung der Kultur- und Medienwirtschaft und angesichts der fortschreitenden technischen Entwicklung wird die Modernisierung des Urheberrechts auf absehbare Zeit eine Daueraufgabe für den Gesetzgeber bleiben. Angesichts seiner großen und weiter wachsenden kulturellen und volkswirtschaftlichen Bedeutung muss das Urheberrecht konsequent weiterentwickelt werden.
Im Zentrum der urheberrechtlichen Debatte steht heute das Internet. Als dominierendes Kommunikationsmittel der digitalisierten Gesellschaft ist es nicht nur Plattform für neue Geschäftsmodelle zur Vermarktung urheberrechtlich geschützter Inhalte. Das Internet ist zugleich auch zu einem Umschlagplatz für illegale Kopien geworden. Dass im Internet massenhaft Urheberrechtsverletzungen stattfinden, ist unbestritten. Ebenso ist offenkundig, dass es äußerst schwierig ist, diese Rechtsverletzungen wirksam zu bekämpfen. Die Gründe hierfür liegen vor allem in der rasanten technischen Entwicklung, die es Rechtsverletzern heute erlaubt, weitgehend unerkannt zu bleiben. Die Identifizierung der Rechtsverletzer scheitert oftmals an der fehlenden Datengrundlage, weil die dynamischen IP-Adressen kaum noch gespeichert werden. Auch der neue Auskunftsanspruch gegen Provider, der zum 1. September 2008 Kraft tritt, wird voraussichtlich kein wirksames Mittel sein. Wenn wir vor den Rechtsverletzern nicht kapitulieren wollen, dann brauchen wir deshalb zeitgemäße und wirksame Instrumente, die die Verteidigung von Rechten auch im digitalen Kontext sicherstellen.
Wenn wir diskutieren wollen, wie wir diese Instrumente schaffen können, dann müssen wir zwei wichtige Fragen in diese Diskussion von Anfang an einbeziehen: Wie können wir ein hohes Datenschutzniveau und die legitime Privatsphäre im Internet erhalten? Und welche Rolle spielen die übrigen Marktteilnehmer, die das Internet überhaupt erst nutzbar machen? Wir haben auf diese Fragen in der politischen Debatte bislang noch keine befriedigenden Antworten gefunden. Das liegt auch daran, dass die Bundesregierung bislang offensichtlich nicht bereit ist, dieses wichtige Thema auf die rechtspolitische Agenda zu setzen. Stattdessen verharrt die Bundesregierung auch hier weitgehend in Untätigkeit.
Wir müssen verhindern, dass das Internet auf Dauer zu einem faktisch rechtsfreien Raum wird. Eine solche Entwicklung wäre langfristig für niemanden akzeptabel. Dass das Internet als Infrastruktur für gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse funktioniert, setzt Vertrauen und Rechtssicherheit voraus. Massenhafte Rechtsverletzungen gefährden dieses Vertrauen und zerstören überdies die notwendigen Grundlagen für die Verwertung urheberrechtlich geschützter Werke. Vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen müssen wir deshalb auch über neue und unkonventionelle Ansätze nachdenken, wie wir dem Urheberrecht im Internet zur besseren Durchsetzung verhelfen können. Derartige Ansätze können z. B. auch anonymisierte technische Verfahren sein, wie sie in anderen Ländern bereits in Vorbereitung sind.
Zu Recht weisen Sie darauf hin, dass solche Ansätze unter verschiedenen Gesichtspunkten verfassungsrechtlich sehr sensibel sind, auch weil sie die Telekommunikationsunternehmen als Infrastruktur- und Zugangsanbieter – und damit vordergründig als Unbeteiligte – in die Pflicht nehmen. Eine Preisgabe verfassungsrechtlicher Grundsätze oder gar unverhältnismäßige Eingriffe in Grundrechte von Betroffenen kommen für die FDP auch in diesem Zusammenhang nicht in Betracht. Das gilt insbesondere für die mit diesen technischen Lösungen verbundenen datenschutzrechtlichen Aspekte. Auch alle Lösungen zur Sicherung des Urheberrechts im Internet müssen angemessen und verhältnismäßig sein. Es ist vor diesem Hintergrund unklar, ob die aus Frankreich und Großbritannien bekannten Initiativen eins zu eins auch ein Modell für Deutschland sein könnten. Das Grundkonzept eines Kooperationsmodells, bei dem Urheberrechtsverstöße durch ein Zusammenwirken von Rechteinhabern und Providern verhindert oder zumindest eingedämmt werden, ist aber ein Ansatz, der auch in Deutschland ernsthaft diskutiert werden sollte. Unter der Voraussetzung, dass die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Belange aller Betroffenen – etwa durch den Einsatz wirksamer Anonymisierungs- und Verschlüsselungstechnologien – gewahrt bleiben, könnte ein "abgestuftes Verfahren", bei dem der Rechtsverletzer zunächst lediglich einen Warnhinweis erhält, durchaus einen Beitrag zur Stärkung des Urheberrechts und zur Verbesserung des Unrechtsbewusstseins in der Bevölkerung leisten. Die Erfahrung zeigt auch, dass ein erheblicher Teil derjenigen, die rechtswidrige geschützte Werke in sog. "Tauschbörsen" anbieten oder dort herunterladen, diese Rechtsverletzungen beenden, sobald sie einmal aufgefallen sind.
Obwohl das Thema inzwischen auch auf europäischer Ebene diskutiert wird, bleibt die Bundesregierung in dieser Sache bei ihrer passiven Haltung. Die FDP ist aber der Auffassung, dass über die Frage, wie der Schutz des geistigen Eigentums im Internet über die bisherigen rechtlichen Instrumente hinaus weiter verbessert werden kann, aber auch in Deutschland eine breite politische Debatte dringend erforderlich ist. Nur wenn wir die Lösung des Problems unter Einbeziehung aller Beteiligten suchen, können wir die verfassungs- und datenschutzrechtlichen Grenzen des Urheberrechtsschutzes im Internet ausloten und ein Ergebnis erzielen, dass den Rechtsschutz nachhaltig verbessert und zugleich eine möglichst breite gesellschaftliche Akzeptanz findet."
Ich hoffe, diese doch recht ausführliche Antwort ist in Ihrem Sinne.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Otto