Frage an Hans-Joachim Otto von Stefan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Otto,
Könnten Sie bitte Stellung nehmen zum Fall Sarrazin? Bitte gehen Sie hierbei insbesondere auf folgende Themen ein:
- Bitte kommentieren Sie die politische (Vor-)Verurteilung Herrn Sarrazins ohne inhaltliche Außeinandersetzung mit den von ihm grundsätzlich aufgezeigten Missständen und Problemen. Wie ist dies mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit und den Grundregeln politischer Diskussion vereinbar?
- Bitte kommentieren Sie die Einflussnahme der Politik auf Personalentscheidungen der Deutschen Bundesbank
- Bitte erläutern Sie, wie Sie dazu beitragen wollen, eine ideologiefreie und faktenbasierte politische Aufarbeitung und Überprüfung der bisherigen Einwanderungs- und Integrationspolitik anzustoßen und gegebenenfalls Änderungen gegenüber der bisherigen Praxis umzusetzen
- Bitte erläutern Sie, wie Sie eine Neubesetzung des nach einer eventuellen Entlassung Herrn Sarrazins vakanten Vorstandspostens bei der Deutschen Bundesbank allein aufgrund objektiver fachlicher Kompetenz und nicht aufgrund (partei)politischer Kriterien sicherstellen wollen
Vielen Dank,
Stefan Moosmann
Sehr geehrter Herr Moosmann,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 3. September, in der Sie mich nach meiner Meinung zu den Thesen und Äußerungen von Thilo Sarrazin fragen. Integration ist eine zweiseitige Aufgabe: Es ist an der Gesellschaft, integrationswilligen Menschen eine helfende Hand zu reichen; zugleich müssen wir erwarten dürfen, dass sich Migranten integrieren wollen und zu eigenen Anstrengungen bereit sind. Wer in Deutschland leben will, aber die hier vorherrschenden Werte und Gepflogenheiten rundheraus ablehnt, hat sich wohl für den falschen Aufenthaltsort entschieden.
Die öffentliche Debatte über die Thesen von Herrn Sarrazin ist von Hysterie und aufgeregten Wortmeldungen gekennzeichnet. Das Thema Integration ist jedoch zu bedeutsam, als es dabei belassen zu können. Gerne möchte ich Ihnen daher differenziert antworten.
Es gibt viele eindrucksvolle Beispiele für gelungene Integration. Viele Personen mit Migrationshintergrund steigen mittlerweile ganz selbstverständlich in Führungspositionen in Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur auf. Das ist erfreulich und bezeugt die Offenheit der deutschen Gesellschaft.
Allerdings hat Thilo Sarrazin einige Probleme durchaus zutreffend beschrieben: Es gibt noch zu viele Beispiele von unvollendeter oder gar misslungener Integration. Die Gründe sind hierfür genauso vielfältig wie die Menschen, die das betrifft: Gesellschaftliche Diskriminierung, mangelnde Sprachkompetenz, gefühlte Fremdheit in der deutschen Gesellschaft, Abschottung aus Angst vor dem Verlust der eigenen kulturellen oder religiöser Identität, Misserfolg im deutschen Bildungssystem, überkommene Rollenmuster, langanhaltende Arbeitslosigkeit sind wichtige Stichworte.
Integration ist eine Daueraufgabe für alle Beteiligten. Wir werden die zahlreichen bestehenden Probleme nicht kurzfristig lösen können. Wir müssen uns vielmehr auf einen langen Prozess einstellen, der von Versuch und Irrtum, von Erfolgen und Misserfolgen gekennzeichnet sein wird. Mir ist dabei vor allem wichtig, dass wir respektvoll handeln und immer den Einzelnen und dessen Chancen in den Mittelpunkt aller Bemühungen stellen. Respekt im Miteinander erwarte ich dabei auch von Migranten - Respekt auch vor den zahlreichen Integrationsofferten und den Chancen, die in Deutschland geboten werden.
Für mich verbieten sich dabei Rückgriffe auf biologistische oder genetische Argumentationen. Mit Kollektivverurteilungen lässt sich mit Sicherheit keine vernünftige Politik betreiben. Dass Thilo Sarrazin in Teilen auf solche Argumente zurückgreift, halte ich für falsch. Das schadet einer notwendigen, sachorientierten Debatte, die Probleme auch lösen und nicht nur überdramatisch oder verletzend formulieren möchte.
Nun noch zum Thema Bundesbank: Thilo Sarrazin hat mittlerweile bei Bundespräsident Wulff um seine Entlassung aus dem Bundesbankvorstand gebeten. Der Bundespräsident hat angekündigt, dieser Bitte zu entsprechen. In der Frage, ob Herr Sarrazin im Bundesbankvorstand gut aufgehoben war, ging es im Kern nicht darum, ob die Thesen und Forderungen von ihm richtig oder falsch sind. Vielmehr ging es um die Frage, ob Herr Sarrazin mit seinen Äußerungen der Institution Bundesbank, ihrem internationalen Ansehen und auch dem Betriebsfrieden im Inneren - zahlreiche Bundesbank-Mitarbeiter haben ja einen Migrationshintergrund - schadet. Die Entscheidung von Herrn Sarrazin, um seine Entlassung zu bitten, begrüße ich, da damit die Bundesbank in ihrem Ansehen geschützt wird.
Ich war übrigens von vornherein nicht davon überzeugt, dass Herr Sarrazin die bestmögliche Besetzung für den Bundesbankvorstand war - er war schon früher ein Provokateur. Aber Herr Wowereit und die SPD meinten, Herrn Sarrazin gegen berechtigte Einwände durchsetzen zu müssen. Den Schaden haben jetzt alle - nicht zuletzt die SPD mit ihrem möglichen Parteiausschlussverfahren.
Bei der Neubesetzung des Bundesbankvorstands bin ich sicher, dass die fachliche und charakterliche Eignung den Ausschlag geben werden. Und das ist gut so.
Mit freundlichen Grüßen
Hans-Joachim Otto