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Hans-Joachim Otto
FDP
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Frage von Achim W. •

Frage an Hans-Joachim Otto von Achim W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Ich hätte da einmal eine Frage, sie ist ernst gemeint und nicht polemisch. Im derzeitigen Bundestag sitzen ungefähr 23% Juristen. Also Menschen deren Ausbildung es nötig macht, sich mit den Gesetzen auszukennen. Außerdem müssen sie tiefgehende Kenntnisse über das Grundgesetz nachweisen. Vor diesem Hintergrund verstehe ich nicht, dass alleine in der ablaufenden Legislaturperiode zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erkennen lassen, dass der Bundestag nicht in der Lage ist, verfassungskonforme Gesetze zu beschließen. So kann ich im Urteil des Lissabonvertrags nicht wirklich etwas Positives sehen- immerhin haben die Richter den Bundestag beauftragt, ein Gesetz nachzubessern. Besonders erschreckt es mich, dass der Bundestag eigene Rechte und Kompetenzen einfach so abgibt. Auch zum Thema Onlinedurchsuchungen wurde non chalant in die Bürgerrechte eingegriffen und grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien nicht bedacht. Herr Otto, wie alles im Leben haben alle Dinge mehrere Perspektiven und man kann und soll durch seine politische Tätigkeit die Gesellschaft mitgestalten. Das ist in Ordnung so, deshalb gibt es ja unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Programmen. Aber ist es denn zuviel verlangt, rechtlich saubere Gesetze zu gestalten?

Freundliche Grüße

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Waldek,

vielen Dank für Ihre Frage. Diese berührt mehrere Themen, ich werde versuchen, im folgenden meine Positionen dazu zu skizzieren.

1) Um "gute" Gesetze zu machen, müssen Abgeordnete nicht unbedingt Juristen sein. Viele meiner Kollegen, die an diversen Gesetzgebungsverfahren mitwirken, haben nicht Rechtswissenschaft studiert, leisten aber trotzdem hervorragende Gesetzgebungsarbeit. Umgekehrt ist nicht jeder ausgebildete Jurist automatisch auch ein "guter" Gesetzgeber...

2) In der Politik geht es vor allem um Rechtssetzung, nicht um Rechtssprechung bzw. -auslegung. Der Abgeordnete wägt Meinungen und unterschiedliche materielle und regionale Interessen ab, setzt sich für bestimmte Ziele ein, argumentiert, sucht bzw. findet Mehrheiten und schließt - häufig schwierige, komplexe, gelegentlich leider auch "faule" - Kompromisse. Das ist etwas anderes, als z.B. "im stillen Kämmerlein" ein rechtswissenschaftliches Gutachten zu erstellen.

3) Gerade auch in der Rechtssprechung gibt es viele unterschiedliche Meinungen. Nicht umsonst existieren Rechtsmittel wie Berufung und Revision. Auch das Bundesverfassungsgericht fällt seine Entscheidungen häufig nicht einstimmig. Hier gibt es ebenfalls subjektive Abwägungen und Auslegungen. Und auch hier sind die Ergebnisse nicht immer so eindeutig, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. So hat das Bundesverfassungsgericht z.B. den von Ihnen angesprochenen Lissabon-Vertrag nicht pauschal verworfen, sondern bestimmte Kriterien für die Umsetzung und zukünftige Verfahren aufgestellt. Einen Überblick zur Entscheidung über den Lissabon-Vertrag finden Sie hier:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg09-072

Ein Beispiel für unterschiedliche Haltungen auch innerhalb des Bundesverfassungsgerichtes ist die auch in der Öffentlichkeit debattierte Entscheidung zu den sogenannten "Mehrfachnamen" bzw. der Beschränkung von Nachnamen auf Doppelnamen vom 05.05.09. Diese erging mit fünf zu drei Stimmen:

http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20090505_1bvr115503.html

4) Dennoch kommen - da haben Sie Recht - gelegentlich Gesetze zustande, die auch aus meiner Sicht verfassungsrechtlich bedenklich sind. Als jüngstes Beispiel sei auf das noch junge Gesetz zu den sogenannten Internet-Sperren genannt. Allerdings führe ich die von mir in früheren Antworten bereits vorgebrachten Mängel des "Zugangserschwerungsgesetzes“ nicht auf mangelnde juristische Kenntnisse der betreibenden Politiker, insbesondere von Bundesministerin von der Leyen zurück, sondern auf politische Absichten, die offenkundig auf die bevorstehende Bundestagswahl zielen. Hier wird sich noch zeigen, wie das Bundesverfassungsgericht den Fall bewertet. Hierzu habe ich eine sehr klare (juristische) Vermutung….

5) Ihre Kritik an den "Online-Durchsungen" teilt die FDP. Die ausführliche Position finden Sie hier:

http://www.fdp-fraktion.de/webcom/show_libargs_neu.php?wc_c=540&wc_id=103&bis=

In der Hoffnung, hiermit alle Ihre Fragen hinreichend beantwortet zu haben, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Otto