Frage an Hans-Georg Faust von Anke N. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dr. Faust,
ab 1.1.2009 soll der gesetzliche Krankenkassensatz für alle 15,5 % betragen. Das finde ich vom Ansatz her gut, allerdings gibt es bei dieser Regelung nach wie vor fünf Haken:
1. Privatversicherung
Wie kann es sein, dass es Bundesbürger gibt, die NICHT gesetzlich sondern privat oder freiwillig versichert sind? Warum sind private Krankenversicherungen nicht Zusatzversicherungen, die zusätzlich zur gesetzlichen abgeschlossen werden können?
2. Höchstgrenze
Warum gilt 15,5 % für alle, wenn für Wohlhabende NICHT die 15,5 % gelten, da es Höchstgrenzen gibt? Warum ist es für Menschen mit einem hohen Einkommen nicht zumutbar, dass sie genauso ihren Anteil zahlen wie alle anderen auch?
3. Kosten für Arzneimittel
Warum gibt es keinen staatlichen Pharmakonzern, der Generika zum Selbstkostenpreis herstellt?
4. Patente
Die Pharmaindustrie darf astronomische Preise für ihre Produkte verlangen, weil sie in die Forschung investiert und ihre Forschungsergebnisse durch Patente sichert. Warum ist es zulässig, ein Patent für ein lebensrettendes Medikament anzumelden? Warum werden diese Forschungsbereiche nicht vom Patentrecht ausgeschlossen und global kooperativ finanziert?
5. Steuern
Krankenkassenbeiträge sind steuerlich absetzbar. Wenn meine Steuerabgaben aber niedriger sind als der Betrag, den ich absetzen könnte, dann zahle ich prozentual mehr als diejenigen, die den Betrag voll absetzen können. Also geht das ganze wieder zu Lasten des Niedriglohn-Sektors. Warum also können Krankenkassenbeiträge steuerlich abgesetzt werden? Wo ist da die Logik? Warum ist der Beitragssatz nicht insgesamt niedriger und dafür tatsächlich einheitlich? Grade bei privat Versicherten finde ich diese Regelung extrem ärgerlich.
Wird es Änderungen geben, die für mehr Gerechtigkeit sorgen?
Wenn ja, welche?
Mit freundlichen Grüßen,
Anke Niebuhr
Sehr geehrte Frau Niebuhr,
um Ihre Fragen adäquat beantworten zu können, möchte ich zuerst einen kurzen Blick auf die Entstehungsgeschichte der gesetzlichen und privaten Krankenkassen werfen.
Als erste Vorläufer der Krankenkassen kann man die Vereinbarungen der Zünfte für ihre Mitglieder im Krankheitsfall bezeichnen. 1845 erlaubte die Preußische Gewerbeordnung generell die Gründung von Krankenkassen, aus denen sich später die Sozialversicherung der Fabrikarbeiter entwickelte. Aus der Krankenkasse der Beamten des Berliner Polizeipräsidiums entstand die erste private Krankenkasse, andere private Versicherungen entstanden als Ausgründungen heutiger GKV-Ersatzkassen.
Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) haben alle Erwerbstätigen, deren Einkommen unterhalb der Versicherungspflichtgrenze liegt sowie Leistungsempfänger der Sozialversicherung Anspruch auf Versicherungsschutz ohne Risikoprüfung. Der Beitrag richtet sich nach der finanziellen Leistungsfähigkeit bis zur Beitragsbemessungsgrenze. Im Rahmen der Familienversicherung sind Ehegatten ohne bzw. mit geringen Einkommen sowie Kinder beitragsfrei mitversichert. Die Beitragsfinanzierung läuft in der GKV im Umlageverfahren und nicht wie bei der PKV durch Kapitaldeckung. Der Leistungskatalog ist für alle Versicherten einheitlich und die Leistungsgewährung erfolgt nach medizinischem Bedarf. Die Leistungen werden in der Regel nach dem Sachleistungsprinzip erbracht, d. h. die Versicherten müssen nicht in Vorleistung treten, sondern die Leistungserbringer rechnen mit den Krankenkassen direkt (Sachleistungsprinzip) ab.
In die Privatversicherung kann nicht jeder, sondern nur Erwerbstätige die Einkünfte über der Versicherungspflichtgrenze erreichen, Beamte und Selbstständige. Private Krankenversicherungen (PKV) können sich ihre Mitglieder aussuchen: Es kann ohne Angabe von Gründen der Vertragsabschluss verweigert bzw. der Leistungsumfang eingeschränkt werden. Bei der Privaten Krankenversicherung werden die Beiträge nicht aufgrund des Einkommens der Versicherten berechnet, sondern nach Risiko, dem gewünschten Versicherungsumfang und die zu versichernde Person werden zur Grundlage der Beitragskalkulation herangezogen. Jede Person – auch Kinder – muss einzeln versichert werden und zahlt einen eigenen Beitrag. Tarifgestaltung und Tarifleistungen sind von Kasse zu Kasse verschieden.
So muss zum Beispiel eine Familie, die sich für eine Absicherung über eine PKV entschieden hat, für jedes einzelne Familienmitglied eine eigenständige Versicherung abschließen. Hierfür sind dann bei einer vierköpfigen Familie, ein Einkommen, Ehegatte (ohne eigene Einkünfte) sowie zwei Kinder, eine monatliche Aufwendungen in Höhe von zum Beispiel für
- den Mann 350 Euro
- die Frau 470 Euro
- das erste Kind 100 Euro
- das zweite Kind 100 Euro
zu leisten. Dies führt zu einer Beitragsbelastung in Höhe von insgesamt 1.020 Euro im Monat.
Im Vergleich hierzu, zahlt die gleiche Familie, die nun über die GKV familienversichert ist, bei einem Beitragssatz von derzeit 14,4 Prozent und gesetzlichem Sonderbeitrag i.H.v. 0,9 Prozent nur 291,60 Euro im Monat. Wie Sie anhand dieser Beispielberechnung sehen können, hat die PKV versicherte Familie monatlich eine um 728,40 Euro höhere Belastung zu tragen. Sie zahlt also einen entsprechend höheren Beitrag für ihren Krankenversicherungsschutz und muss – im Gegensatz zur GKV versicherten Familie, wo die Angehörigen beitragsfrei mitversichert sind – für jedes einzelne Familienmitglied Beiträge entrichten.
Die gesetzliche Krankenversicherung wird im Jahr 2008 mehr als 8,1 Milliarden Euro dadurch einsparen, dass preiswerte Generika verordnet werden. Diese Zahl ergibt sich aus den Berechnungen des unabhängigen Markforschungsinstitutes IMS HEALTH. Danach haben die Krankenkassen von Januar bis August bereits 5,42 Milliarden Euro durch den Einsatz von Generika eingespart. Hochgerechnet auf das Gesamtjahr ergibt sich die neue Rekordersparnis von 8,1 Milliarden Euro, die das bisherige Allzeithoch des Vorjahres (Einsparungen in Höhe von 6,5 Milliarden Euro) nochmals um 24,6 Prozent übertrifft. Möglich wird der neue Rekord durch den weiterhin zunehmenden intensiven Preiswettbewerb der Generikahersteller untereinander. Wie Sie anhand dieser Daten feststellen können, ist hier der Wettbewerb im Markt erfolgreicher und nachhaltiger (Einsparungen des Vorjahres um 24,6 Prozent übertroffen!) als das ein staatlich gesteuerter Betrieb jemals Leisten könnte. Darüber hinaus wurden bereits Ende 2004 Festbeträge (Obergrenze für die Erstattungsfähigkeit) auch für patentgeschützte Arzneimittel eingeführt. Ausgenommen sind nur Arzneimittel, die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten.
Im Arzneimittelbereich wirken sich der medizinische Fortschritt und der medizinische Mehrbedarf durch die Altersstruktur besonders aus. Nach Berechnung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung besteht derzeit ein Mehrbedarf an Arzneimitteln von über 6,2 Mrd. Euro, um Patienten in ausgewählten 17 Indikationen (z. B. Alzheimer-Demenz, Chronisch Obstruktive Lungenerkrankung/COPD, Multiple Sklerose, Rheumatoide Arthritis, Depressionen, Osteoporose, Bluthochdruck, Koronare Herzerkrankung, Migräne, Pulmonale Hypertonie) optimal zu versorgen. Für die Vermarktung eines innovativen, also patengeschützten Medikaments ist aber nicht die gesetzliche Höchstlaufzeit des Patents von 20 Jahren ausschlaggebend, sondern die effektiv nutzbare Laufzeit. Diese ist für neue Arzneimittel jedoch bedeutend geringer, im Durchschnitt weniger als 10 Jahre. Hinzu kommt, dass auch die Zulassungsverfahren durch die Gesundheitsbehörden zeitaufwendig sind. Obwohl sich in Deutschland die Dauer des Zulassungsverfahrens verkürzt hat, ist dennoch insgesamt die wirtschaftlich nutzbare Patentlaufzeit aufgrund der langen Entwicklungszeiten international und in Deutschland von 1960 bis heute von 16 auf etwa zehn bis zwölf Jahre gesunken. Damit ist der Schutz vor Nachahmung nach der Markteinführung eines neuen Medikaments drastisch verkürzt worden. Demgegenüber stehen die hohen Ausgaben für die Erforschung und Entwicklung eines neuen Arzneimittels. Etwa 800 Mio. Euro müssen hierfür aufgewendet werden. Hinzu kommt, dass auf ca. 5.000 synthetisierte Substanzen nur ein Stoff kommt, der die Zulassung als Arzneimittel erhält. Den immensen Investitionen steht eine relativ geringe Ausbeute gegenüber: Es erreichen lediglich 6,6 % der Substanzen die Produktzulassung.
Nach geltendem Recht sind die Beiträge für eine Kranken- und Pflegeversicherung nur in stark eingeschränktem Umfang steuerlich abziehbar. Der Gesetzentwurf zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen stellt sicher, dass künftig alle Aufwendungen steuerlich berücksichtigt werden, soweit diese dazu dienen, ein Leistungsniveau abzusichern, das im Wesentlichen der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegepflichtversicherung entspricht. Gesetzlich und privat Kranken- und Pflegepflichtversicherte, ihre Ehepartner sowie ihre mitversicherten Kinder sollen, soweit möglich, steuerlich gleichbehandelt werden. Dieser Gesetzentwurf trägt zugleich den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06, 2 BvR 1220/04, 2 BvR 410/05 u. a. - Rechnung: Das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums schütze nicht nur das so genannte sächliche Existenzminimum, sondern auch Beiträge zu privaten Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall.
Das steuerfreie Existenzminimum eines Alleinstehenden in Deutschland liegt bei einem jährlichen Einkommen in Höhe von 7.664 Euro. Das geht aus dem Existenzminimumbericht der Bundesregierung für 2008 hervor. Ehepaare haben einen Anspruch auf einen steuerlichen Freibetrag von 15.329 Euro pro Jahr. Bei Kindern liegen die zum Leben notwendigen finanziellen Mittel und der steuerliche Freibetrag jeweils bei 3.648 Euro. Allerdings hat ein Kind zusätzlich Anspruch auf einen Freibetrag für Ausbildungskosten in Höhe von 2.160 Euro, so dass sich ein jährlicher Gesamtfreibetrag von 5.808 Euro pro Kind ergibt. Dieser kann auch durch die Zahlung von Kindergeld eingelöst werden. Erst wenn über diese Grenzen hinaus Einnahmen erzielt wird, werden Steuern fällig. Und von diesen können dann u.a. die Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung abgezogen werden, so dass durch die o.a. Entlastung gerade Geringverdiener noch weiter entlastet werden und ggfs. keine Steuern auf ihr Einkommen entrichten müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans Georg Faust MdB