Frage an Hans-Georg Faust von Karsten P. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Dr. Faust,
ich wüsste gern, wieso Sie bisher auf den Brief von Rüdiger Steinbeck vom 11.12.2006 an Sie nicht geantwortet haben. Vielleicht haben Sie der Presse entnommen, dass sich Hr. Steinbeck inzwischen nach erfolgreicher Vermittlung eines Göttinger Professors zum Abbruch des Hungerstreiks entschlossen hat. Hätte eine solche Vermittlerrolle nicht auch einem gewählten Abgeordenten gut zu Gesichte gestanden?
Wie empfinden Sie es, dass es inzwischen eine Reihe von Menschen gibt, die sich durch die Anwendung Hartz IV-Gesetzgebung derart verzweifelt sind, dass sie zum Mittel des Hungerstreiks greifen?
Weiterhin: ich arbeite selbst in der IT-Branche: nach Verabschiedung der Hartz-IV-Gesetze waren diese häufiges Thema der Kollegengespräche. Und immer wieder trat die große Angst vieler (jedenfalls derer über 40) zu Tage, bei einem Stellenabbbau in Arbeitslosigkeit und dann in Armut zu fallen. Viele haben daraufhin ihren Konsum deutlich gesenkt, und manche Führungskräfte lagern ihre Ersparnisse jetzt im häuslichen Safe und nicht mehr bei der Bank.
Meine Frage dazu: Wie beurteilen Sie die sozialen und wirtschaftlichen Folgewirkungen von Hartz-IV auf die gesamte Bevölkerung, also über den Kreis der direkt Betroffenen hinaus?
Mit freundlichen Grüßen
Karsten Pöhl
Sehr geehrter Herr Pöhl,
für Ihre auf abgeordnetenwatch.de eingestellte Frage danke ich Ihnen.
Sie bezieht sich auf die Folgewirkungen von Hartz IV. Sie erfragen, wie ich persönlich die sozialen und wirtschaftlichen Folgewirkungen von Hartz IV auf die gesamte Bevölkerung beurteile.
Die Mittel für das Arbeitslosengeld II werden von der Solidargemeinschaft erarbeitet – also von den berufstätigen Bürgerinnen und Bürgern. Insofern hat die Solidargemeinschaft Anspruch darauf, dass die Mittel sparsam und zweckgerichtet für die wirklich Betroffenen eingesetzt werden. Die Wirkungen des Arbeitslosengeldes II betreffen also die Bevölkerung, weil sie es aufbringt.
Beim Arbeitslosengeld II gibt es unbestritten noch Verbesserungsbedarf. Wir wollen daher die Zielgenauigkeit verbessern und Mitnahmeeffekte künftig vermeiden. Auch der Bundesrechnungshof hat auf verschiedene Vollzugsdefizite beim Arbeitslosengeld II hingewiesen. Nun bemüht sich die Bundesregierung darum, diese Defizite abzubauen. Dabei bitte ich allerdings zu bedenken, dass die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II ein komplexes Reformvorhaben war. Anlaufschwierigkeiten waren zu erwarten. Diese Schwierigkeiten werden wir nun schrittweise überwinden.
So ist das Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) seit seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2005 bereits mehrfach verändert worden: Durch das Freibetragsneuregelungsgesetz im Oktober 2005, das Erste Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch im Dezember 2005 und anderer Gesetze. Seit 1. August 2006 gelten die meisten Änderungen durch das Fortentwicklungsgesetz. Diese Änderungen betreffen das Leistungsrecht, die Verwaltungspraxis und die Missbrauchsbekämpfung. Ziel des zweiten Gesetzes zur Änderung des SGB II und des Fortentwicklungsgesetzes ist es, die steigenden Kosten für die Grundsicherung für Arbeitssuchende zu begrenzen.
Insgesamt wollen die Koalitionspartner etwa 4 Milliarden Euro jährlich durch die verabschiedeten Maßnahmen einsparen. Denn die Belastungen für die Solidargemeinschaft sind gestiegen: Vor der Reform, im Jahr 2004 lagen die Ausgaben von Bund, Ländern und Kommunen für die Arbeitslosenhilfe (plus Wohngeld) und Sozialhilfe bei 38,6 Milliarden Euro. Bund und Kommunen gaben im Jahr 2005 für Hartz IV 44,4 Milliarden Euro aus. Das entspricht einem Zuwachs von 5,8 Milliarden Euro. Auch weiterhin entwickeln sich die Ausgaben für Hartz IV auf hohem Niveau. So werden pro Monat etwa 2,2 Milliarden Euro für das ALG II ausgegeben.
Auch die Anzahl der Bedarfsgemeinschaften wächst an. So waren beim Start von Hartz IV 3,3 Millionen Bedarfsgemeinschaften verzeichnet – im Sommer 2006 waren es bereits 4,1 Millionen (plus 800.000). Die Gründe für den Anstieg der Bedarfsgemeinschaften liegen in den Leistungserweiterungen im SGB II, die nach wie vor schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt und in teilweise noch ineffizienten Verwaltungsstrukturen.
Wir sehen den Handlungsbedarf, damit die Folgewirkungen von Hartz IV die Solidargemeinschaft, also die einzahlenden Bürgerinnen und Bürger, nicht länger in dieser Form belasten. Wir müssen die Kosten begrenzen, Zuständigkeiten klären und effizienter gestalten und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt leistungsgerecht ausrichten (durch beispielsweise ein Kombi-Lohn-Modell).
Sie sehen, dass uns die Folgewirkungen von Hartz IV bewusst sind und deren Lösung bereits in Angriff genommen haben.
Um eines abschließend zu verdeutlichen: Das Arbeitslosengeld II und dessen Höhe stehen nicht zur Disposition. Allerdings sind meine Kollegen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und ich der Meinung, dass Empfänger von Transfereinkommen wie es das Arbeitslosengeld II ist, nicht besser stehen dürfen, als Beschäftigte, die einer regulären Arbeit nachgehen.
In der Hoffnung, Ihnen mit diesen Informationen geholfen zu haben, verbleibe ich
mit besten Grüßen
Dr. Hans Georg Faust MdB
P.S. Zur weitergehenden Information füge ich diesem Schreiben die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Bundestagsfraktion PDS/Die Linke, zu "Resultate und gesellschaftliche Auswirkungen der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt - Hartz-Gesetze - , insbesondere von Hartz IV, Drs. 16/4210, bei.