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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Silvie R. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Silvie R. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Ströbele,
Wir, die Menschenrechtsgruppe des Landschulheims am Solling
in Holzminden haben uns mit dem Thema Rechtsextremismus intensiv auseinander gesetzt und sind bei unseren umfangreichen Recherchen auf den Begriff "Hasskriminalität" gestoßen.

Dabei sind wir auf den Gesetzentwurf (Drucksachen-Nummer 16/10123) des Bundesrates vom 04.07.08 zur Änderung des Strafgesetzbuches in Bezug auf die oben genannte Hasskriminalität aufmerksam geworden.

Wir stehen diesem Gesetzentwurf einheitlich positiv gegenüber und haben durch Herrn MdB Thul erfahren, dass dieser Entwurf bis dato nicht im Bundestag diskutiert wurde. Er hat uns jedoch an den Rechtsausschuss verwiesen. Wir fragen uns, weshalb dieses -aus unserer Sicht- sehr wichtige Thema noch nicht behandelt worden ist. Ist es üblich, dass Gesetzesvorlagen über einen Zeitraum von sieben Monaten unbearbeitet bleiben? Wird man sich in absehbarer Zeit im Rechtsausschuss mit der Vorlage befassen?

Darüber hinaus würde uns interessieren wie Sie bzw. ihre Fraktion dem Thema gegenüber stehen.

Mit freundlichen Grüßen
Stellvertretend für die Menschenrechtsgruppe
S. Rohr

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Rohr.

Zunächst begrüße ich sehr, daß es im Landschulheim am Solling überhaupt eine Menschenrechtsgruppe gibt und daß diese sich mit dem Problem des Rechtsextremismus befaßt. Ich unterstütze Sie und die Gruppe gerne.
In der Tat gibt es den Gesetzentwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes aus dem Bundesrat zur sog. Haßkriminalität, durch den die Strafzumessungsvorschrift des § 46 Strafgesetzbuches u.a. dahingehend ergänzt werden soll, daß " besonders auch menschenverachtende, rassistische und fremdenfeindliche" Ziele bei der Abwägung der Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, in Betracht kommen.
Die Gesetzesintitative aus einigen Bundesländern stammt aus dem Spätsommer 2007. Der Gesetzentwurf ist auf den 13.8. 2008 datiert.
Der Gesetzentwurf wird von den Rechtspolitikern aus mehren Fraktionen kritisch gesehen. Ich vermute, daß deshalb eine Aufsetzung zur Beratung bisher unterblieben ist. Ich bin zwar Mitglied des Rechtsausschusses, gehöre aber nicht zu den Obleuten, die die Tagesordnung und damit die Reihenfolge der zu behandelnden Gesetzentwürfe festlegen. Ich werde aber nachfragen, worauf die Verzögerung tatsächlich zurückzuführen ist.
Die Zeiträume, die zwischen der Einbringung eines Gesetzentwurfe in den Bundestag und dessen Behandlung und Verabschiedung liegen, sind sehr unterschiedlich lang. Es gibt solche, die werden in derselben Woche, in der sie eingebracht sind, in drei Lesungen beraten und verabschiedet, und solche, die kommen über Jahre nicht auf die Tagesordnung. Die Gründe für die unterschiedliche Verfahrensweise sind vielfältig. Bei Gesetzen zur Terrorismusbekämpfung in den siebziger Jahren oder jetzt beim Finanzmarktstabilisierungsgesetz ging es sehr schnell.

Die Hate-Crime-Gesetzgebung stammt aus dem anglo-amerikanischen Recht. Rechtspolitiker der grünen Fraktion teilen mit mir die Skepsis, ob die Übertragung dieser Gesetzgebung auf das deutsche Rechtssystem und die in dem Gesetzesentwurf voreschlagene Regelung zielführend und erforderlich ist. Schon nach geltendem deutschen Strafrecht, sind bei der Strafzumessung "Beweggründe und Ziele des Täters" zu berücksichtigen. Das trifft auch für die "Gesinnung" zu, aber nur insoweit als sie "aus der Tat spricht". So steht es im geltenden § 46 StGB. Das bedeutet, daß nicht allgemein die Gesinnung des Täters bestraft oder strafverschärfend gewertet wird, sondern nur soweit sie sich in der Tat manifestiert. Gesinnungsstrafrecht und Gesinnungsüberprüfung können wir nicht haben wollen, selbst wenn die Gesinnung noch so absurd, fehlgeleitet oder verwerflich ist.
Den neuen Strafzumessungsgrund brauchen wir auch nicht, weil die Gerichte schon heute bis an die Grenze des Strafrahmens gehen könnten. Das sind z.B. bei einfacher Körperverletzung fünf und bei schwerer sogar 10 Jahre Freiheitsstrafe und selbst bei Beleidigung noch zwei Jahre. In der Praxis der Rechtsprechung werden diese Möglichkeiten aber fast nie ausgeschöpft. Durch den vorgeschlagenen Zusatz im Gesetz würde sich dies kaum ändern.
Außerdem gibt es im geltenden Strafgesetzbuch Vorschriften, die unter Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freinheitsstrafe stellen, etwa die Auforderung zur Begehung von Gewalttaten, die Aufstachelung zum Hass gegen Teile der Bevölkerung oder Angriffe gegen die Menschenwürde anderer dadurch, daß Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet.
Es fehlt nicht an ausreichenden und geeigneten Gesetzen, sondern zuweilen an der strikten Anwendung der geltenden Strafvorschriften.
Deshalb sollten Gesetzesänderungen erwogen werden, die die Strafverfolgungsbehörden besser dazu veranlassen, rasch und konsequent Verfahren einzuleiten und zu einer Entscheidung zu bringen.
Die grüne Bundestagsfraktion hat über den Gesetzentwurf des Bundesrates bisher abschließend nicht beraten und nichts beschlossen. Vorschläge für die bessere Strafverfolgungsmaßnahmen wurden aus der Fraktion bereits gemacht.

Zur Thematik "Hasskriminalität-Vorurteilskriminalität" gab es eine Arbeitsgruppe zu deren Ergebnisse das Bundesministerium der Justiz eine Schriftenreihe von vier Bänden mit viel Materialien herausgegeben hat. Diese empfehle ich Ihnen. http://www.bmj.bund.de

Zur weiteren Diskussion des Themas vielleicht anläßlich eines Besuchs Ihrer Menschenrechtsgruppe in Berlin oder bei andere Gelegenheit bin ich gern bereit.
Für Ihre Arbeit wünsche ich viel Erfolg.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele