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Hans-Christian Ströbele
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Heiko M. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Heiko M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Lieber Herr Ströbele,

seit einiger Zeit beschäftige ich mich intensiver mit dem Thema Politik und unserem Wahlsystem im speziellen. Ich habe über unser derzeitges System nachgedacht und frage mich, warum wir zwar Vertreter unserer Interessen wählen können, nicht aber unsere Interessen selbst vertreten können?

Warum müssen wir erst eine Partei wählen die für uns entscheidet, wenn wir doch mittlerweile technisch in der Lage sind uns selbst schnell mit Informationen zu versorgen und auch selbst abzustimmen (Internet).

Wenn ich mir die Einzelnen Wahlprogramme der Parteien anschaue, dann stimmt immer nur ein Teil meiner Interessen damit überein. Wenn ich Projekte, einzelne Gesetzesänderungen etc. direkt wählen könnte, wäre ich in meinen Entscheidungen viel freier. Außerdem hätte ich dann ein besseres Gefühl, da eine Masse von Einzelnen nicht so leicht durch Lobbyisten manipuliert werden kann. Und ich müsste nicht die Partei wählen, die mir am meisten verspricht, sondern wähle direkt das Versprechen.

Unser aktuelles System war aus meiner Sicht berechtigt, weil es früher schlicht unmöglich war Bürger direkt an einer Vielzahl von Entscheidungen zu beteiligen. Volksabstimmungen können aber doch heute unter Zuhilfenahme von modernen Kommunikationsmitteln sehr viel schneller bewerkstelligt werden.

Ich frage Sie, welche Vorteile hat unsere aktuelle repräsentative Demokratie gegenüber einer von Parteien bzw. Politikern befreiten Basisdemokatie?

Ich weiß natürlich, dass Sie sich ungerne selbst abschaffen würden, aber ich schätze Ihre Arbeit und Ihre Person, sodass ich einfach auf eine ehrlich Antwort hoffe.

Was kann ich als Einzelner unternehmen um mein Interesse, dem Wechsel der repräsentativen in eine parteien- und poltikerlosen Basisdemokratie zu vertreten? Normalerweise würde man ja eine Partei wählen, dass kann ich ja nicht, weil ich genau diese ja abschaffen möchte.

Ist ein Wechsel des System überhaupt möglich? Wenn ja, was genau kann ich tun?

Vielen Dank

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mettelsiefen.

Recht gebe ich Ihnen zunächst darin, daß die Bevölkerung möglichst intensiv und umfänglich direkt an der politischen Willensbildung beteiligt sein sollte. Das gehört zur Demokratie, also zur Volksherrschaft.

Richtig ist auch, die moderne IT-Kommunikation eröffnet viele neue Möglichkeiten, daß sich jede und jeder nicht nur fast allumfassend über die gesellschaftlichen Probleme und die anstehenden Entscheidungen sowie deren Hintergründe unterrichten kann, sondern auch über die neuen Kommunikationswege direkt zu Wort melden und seine Entscheidung mitteilen kann. Zu Zeiten der Erfindung der parlamentarischen Demokratie und der Verabschiedung des Grundgesetzes war all das nicht möglich, kaum denkbar.
Deshalb setze ich mich auch dafür ein, beispielsweise Volksentscheide in Deutschland auch auf Bundesebene möglich zu machen und zu praktizieren, ähnlich wie es in der Schweiz üblich ist.

Allerdings sollte deshalb nicht das Parlament abgeschafft werden. Der Grund ist nicht, daß - wie Sie zu befürchten scheinen - dann die Abgeordneten Job und Diäten verlieren. Das wäre wirklich kein ernstzunehmender Grund. Aber ich erlebe seit vielen Jahren im Parlament, daß es viele Bereiche des Lebens gibt, in denen verbindliche Regelungen, also Gesetze, geschaffen werden müssen, um zu gerechten Problemlösungen zu schaffen und auch um Rechte von Minderheiten zu schützen. Die jeweilige Materie ist aber so kompliziert und vielfältig, daß nicht alles das nötige Fachwissen erarbeiten können, um die Probleme zu erkennen und zu lösen. Viele wollen oder können sich zudem nicht die Zeit nehmen, um das notwendige Fachwissen zu erwerben. Deshalb ist es auch im Bundestag so, daß die Abgeordneten unterstützt von kundigen Mitarbeitern auch nur in einigen oder wenigen Fachgebieten wirklich kompetent sind und entscheiden können. In anderen müssen sie sich weitgehend auf das Fachwissen der Kollegen und unabhängiger Fachleute stützen und verlassen.

Deshalb sollten wir zunächst jedenfalls daran arbeiten, Volksbefragungen und Volksentscheide zunächst mal grundsätzlich möglich zu machen und zu praktizieren. Wir bemühen uns schon lange und haben die Erfahrung gemacht, schnell wird das ohnehin nicht klappen.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele