Frage an Hans-Christian Ströbele von Marius W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele.
Beim recherchieren in Büchern, Internetberichten und diversen weiteren öffentlich zugänglichen Quellen (wie internationalen Vertrags- und Gesetzestexten u.ä.), sowie in Disskussionen mit vielen Bekannten, Verwandten und Freunden, darunter Anwälten und Rechtsexperten, bin ich in letzter Zeit immer wieder auf eine Thematik gestoßen, welche mein persönliches Rechtsempfinden sehr beunruhigt und mich stark zum Nachdenken anregt!
Um mir nun eine eindeutige Meinung bilden zu können, wende ich mich hiermit auch an Sie (gleichzeitig auch an viele weiteren Kollegen von Ihnen), in der Hoffnung, dass Sie mir bei folgenden Punkten weiter helfen können?
Ich habe einmal gelernt, dass unser „Grundgesetz für die BRD“, das höchste deutsche Gesetz ist und sich dieses nur dem Völkerrecht unterordnet (GG Art. 25). Doch folgende Ungereimtheiten irritieren mich ein wenig.
Auf welcher völkerrechtlich-verbindlichen Grundlage basiert unser Grundgesetz da eigentlich genau im Artikel 25 GG???
Desweiteren, WO (in welchen Bundesländern, Landesbezirken, Kommunen) findet es seine Geltung, WENN seit dem Einigungsvertrag vom 31.08.1990 und dem „2+4 Vertrag“ vom 12.09.1990, der Artikel 23 (Geltungsbereich) in der jetzigen, aktuellen Fassung geändert wurde und dieser sich nun auf die „Europäische Union“ bezieht, welche aber noch GAR NICHT völkerrechtlich legitimiert und verfasst wurde (durch fehlende Verfassung etc.)?
Auch zu berücksichtigen ist die Erwähnung des Geltungsbereichs im GG Artikel 144 (2). Denn dieser bezieht sich ja noch auf die „alte Fassung“ des Grundgesetzes?
Und wenn nun KEIN völkerrechtsverbindlicher Geltungssbereich nachgewiesen werden kann, dadurch jegliche Legitimation zu fehlen scheint, welchen Wert und Nutzen hat dann noch das „Grundgesetz für die BRD“ für UNS, die steuerzahlenden Bürger und Wähler???
In der Hoffnung auf klärende Antworten von Ihnen und ihren Kollegen, verbleibe ich erwartungsvoll und
mit freundlichem Gruß
M. Werner-Branka
Sehr geehrter Herr Werner-Branka.
Das Grundgesetz galt seit 1949 zunächst als Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Seit 1990 ist es die Verfassung für ganz Deutschland und hat Geltung in allen Bundesländern und allen Teilen des vereinigten Deutschlands. So sind die Tatsachen. Deshalb wenden die Gerichte bis zum Bundesverfassungsgericht und die anderen Staatsgewalten in Deutschland diese Verfassung an.
Ich weiß nicht, warum immer wieder versucht wird, diese faktische und theoretische Geltung in Deutschland durch Hinweise auf Mängel bei der Inkraftsetzung des Grundgesetzes 1949 oder für die Ostbundesländer 1990 unter Hinweis auf einige Artikel des Grundgesetzes in Frage zu stellen.
Ich kann nur Vermutungen anstellen, welche politischen Interessen dahinterstehen.
Diese Geltung des Grundgesetzes als Verfassung kann ernsthaft nicht bestritten werden, obwohl unübersehbar ist, daß schon bei der Inkraftsetzung 1949 des Grundgesetzes "ungewöhnliche" und dann auch auf die Erstreckung der Verfassung auf ganz Deutschland 1990 Wege gegangen wurden, die auch im Grundgesetz eigentlich anders vorgesehen waren.
Das Grundgesetz hatte von Anfang an enthalten, daß Regeln des Völkerrecht wie etwa dann die Europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) geltendes Recht in Deutschland sein sollen. Und durch die Neuregelung des Artikel 23 ist festgelegt worden, daß Deutschland an der Entwicklung der Europäische Union mitwirken soll und dabei auch befugt ist Hoheitsrecht auf die EU zu übertragen.
Auch die Europäische Union ist heute eine nicht zu leugnende Tatsache praktisch und theoretisch unabhängig vom Scheitern der EU-Verfassung und von der Ratifizierung der EU-Verträge von Lissabon.
Mit den Grenzen von Hoheitsübertragungen an die EU und deren Folgen für Deutschland hat sich das Bundesverfassungsgericht mehrfach in seinem Entscheidungen auseinandergesetzt. Es hat dabei z.B. immer wieder betont, daß die Grundrechte aus dem Grundgesetz unangetastet bleiben müssen und daß das Gericht darüber wacht.
Derzeit befaßt sich das höchste deutsche Gericht im Rahmen von Verfassungsklagen gegen die EU-Verträge von Lissabon erneut mit dem Verhältnis deutsche Verfassung zu europäischen Rechtsregeln und dem Vorrang des europäischen Rechts in weiten Bereichen. Mitte Februar wird dazu eine zweitägige Verhandlung vor dem Gericht stattfinden. Es steht zu erwarten, daß das Gericht eine weitere Grundsatzentscheidung fällt und sich dabei insbesondere auch mit den Grenzen der Einschränkung deutscher Souveränität befassen wird.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele