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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Gerhard R. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Gerhard R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

nicht nur ein britischer General sondern auch der UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan hat die Möglichkeit eines Sieges über die Taliban ausgeschlossen.
Andererseits müßte man wissen, ob es Versuche der Taliban gibt, sich von Al-Kaida zu distanzieren.
Nach meinem Eindruck ist als Folge der Finanzkrise zukünftig der Krieg nur noch durch eine unerträgliche finanzielle Belastung der Bevölkerung finanzierbar. Von ernsthaften(!) Friedensbemühungen der von den Amerikanern abhängigen afghanischen Regierung kann nicht ausgegangen werden. Die Nato bemüht sich nicht um ein Ende des Krieges.

Frage:

Müssen vor diesem Hintergrund interessierte Abgeordnete aus dem Bundestag und dem Europaparlament in Gesprächen mit Vertretern der Taliban erkunden, ob es Möglichkeiten für einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen gibt?

Auf Berichte in Spiegel online vom 5.10.08, Deutsche Welle vom 7.10.08 und sueddeutsche.de vom 8.10.08(Überschrift: Mit den Taliban am Tisch) wird hingewiesen.

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Reh.

Sehr geehrte Frau Gierig.

Am 16. Oktober habe ich im Deutschen Bundestag zum Antrag der Bundesregierung über die Verlängerung und den Ausbau des Mandats für Bundeswehrsoldaten in Afghanistan - wie auch schon in den letzten Jahren - mit NEIN stimmen.

Meine Auffassung zu der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes habe ich für die grüne Zeitung Stachel aufgeschrieben und in einer Erklärung zu Protokoll der Bundestagsdebatte kurz dargelegt.

Ich füge den Text des Artikels im Stachel nachfolgend zu Ihrer Information ein. Ich beziehe mich darin gerade auch auf das von Ihnen angeführte Zitat des britischen Generals.

Gegen den Krieg

Für eine Beendigung des Krieges in verantwortbarer Weise

Die Kriegslage in Afghanistan wird von Jahr zu Jahr schlechter. Die Zahl der Opfer steigt dramatisch. Im Jahr 2008 sind schon wieder über 3000 Menschen getötet worden, dabei mehr als 1000 Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. Tausende wurden verwundet und verstümmelt. Fast die Hälfte der zivilen Opfer fallen der US-Luftkriegsführung zum Opfer. ACBAR, eine Dachorganisation von 100 Hilfsorganisationen gibt an, dass der Sommer 2008 der bisher verlustreichste war seit 2001.Die Zerstörungen von Gebäuden und Versorgungseinrichtungen übersteigen häufig den Wiederaufbau.

Der Krieg wurde vor sieben Jahren begonnen, um die Verantwortlichen für die Anschläge vom 11.9. in den USA der Gerechtigkeit zuzuführen, so die UN-Resolution vom Herbst 2001. Sie rechtfertigt nicht einen Krieg gegen die Taliban für einen Regimewechsel oder zur Aufstands- und Widerstandsbekämpfung in Afghanistan. Seit Jahren zielt jedoch die militärische Gewalt der ausländischen Truppen auf die Vernichtung der Taliban und des Widerstandes im Land. Die Ergebnisse dieser Strategie sind verheerend. Die Sicherheitslage hat sich seit 2004 nochmals deutlich verschlechtert, obwohl immer mehr Soldaten in diesen Krieg geschickt werden. Auch immer mehr Bundeswehrsoldaten. Seit Beginn des Krieges hat sich die Zahl der eingesetzten Nato-Soldaten mehr als verdoppelt, bis heute auf ca. 63 000. Davon stellt die Bundeswehr bislang 3 500. Ab diesem Herbst sollen zusätzlich weitere 1 000 deutsche Soldaten zum Einsatz kommen.

Jedes Jahr stellen wir erneut das Scheitern der Militärstrategie in Afghanistan fest. Angriffe, bei denen Zivilisten umkommen, gehören auf beiden Seiten zum schrecklichen Alltag dieses Krieges. Selbstmordattentate und Autobomben, Raketen und Bombenangriffe aus heiterem Himmel häufen sich.

Zuweilen genügt eine Denunziation, um eine Hochzeitsgesellschaft durch US-Raketen auszulöschen. Im Juli 2008 wurden 46 Menschen bei einem US-Luftangriff getötet, darunter 26 Frauen und Kinder, im August 2008 waren es 90 Zivilisten in der Provinz Herat, darunter 60 Frauen und 15 Kinder. Sicherheit und Menschenrechte sind immer weniger garantiert. Weite Teile, nicht nur im Süden, sind unsichere Zonen. In weiten Teilen des Landes gibt es keine funktionierende Regierung. In Parlament und Zentral-Regierung sitzen Warlords und andere, denen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt werden. Mohnanbau und Mohnhandel blühen. Zwar ist die Zahl der Provinzen, in denen Opium produziert wird, zurückgegangen, aber die Gesamtmenge ist geblieben, 96 % der Weltproduktion.

Ein Ende der Eskalation des Krieges ist nicht in Sicht, ganz im

Gegenteil. Militärexperten gehen davon aus, dass die Truppenstärke auf mindestens 200 000 Nato-Soldaten ausgebaut werden muss und der Krieg noch länger als zehn Jahre dauert. Der amerikanische ISAF-General McNeill sprach von 400 000 Soldaten, die zur Befriedung nötig seien. Gerade auch als Folge der Eskalation und Kriegführung werden, die bekämpft werden sollen, immer stärker. Die Gewaltspirale des Krieges ist die Hauptursache dafür, dass der Haß gegen die ausländischen Truppen wächst und sich immer mehr am Krieg gegen diese beteiligen. Politische und humanitäre Ziele werden unerreichbar. Und Militärs wie der britische Befehlshaber Carleton-Smith bekennen öffentlich " Wie werden den Krieg nicht gewinnen". Der britische Botschafter Cowper-Coles fügt hinzu, die ausländischen Truppen in Afghanistan sind "Teil des Problems, nicht der L&o uml;sung."

Es ist unverantwortlich, einfach so weiterzumachen. Immer weiter Forderungen nach einem Strategiewechsel zu stellen, ohne Konsequenzen zu ziehen, wenn er wieder ausgeblieben ist, ist politisch falsch. Der grüne Parteitag in Göttingen 2007 hat dies als Beschluss formuliert. Richtig und notwendig ist, die erneute Fortsetzung des Einsatzes deutscher Soldaten in Afghanistan wie bisher und gar dessen Ausbau abzulehnen. Nur so wird deutlich, dass wir ein "Weiter so" nicht wollen und nicht mitmachen.

Es ist an der Zeit, neue Wege zu versuchen, um aus dem Dilemma in Afghanistan rauszukommen und zwar jetzt und nicht erst nach Jahren weiterer Kriegseskalation.

Dafür müssen die offensiven Militäroperationen mit Raketenangriffen und Luftschlägen, die die vielen zivilen Opfern zur Folge haben, eingestellt werden. US- und Nato-Truppen sollen abziehen, aber in verantwortbarer Weise. Im Rahmen eines Planes muß mit dem Abzug angefangen werden. Begonnene Gespräche mit dem Ziel eines Waffenstillstand in einzelnen Regionen und im ganzen Land sind mit allen an den Kampfhandlungen Beteiligten in Afghanistan, die dazu bereit sind, und mit den Nachbarstaaten, einschließlich Pakistan und Iran, intensiv fortzuführen.

Den Schutz der Zivilbevölkerung müssen afghanische Sicherheitskräfte übernehmen. Hilfskräfte mit UN-Mandat aus neutralen Drittstaaten, die Kultur und Religion in Afghanistan verstehen und näher stehen, sind eher geeignet, sie dabei zu unterstützen als die Nato.

Die bisherige Strategie ist gescheitert, sie schadet und verschärft den Krieg. Damit muß Schluß gemacht werden. Es gilt nun, verantwortbare Alternativen zu entwickeln.

Für eine Darlegung meiner Auffassung im Bundestag hatte ich wieder mal keine Redezeit bekommen. Ihre Idee, daß auch deutsche Abgeordnete die Möglichkeiten eines Waffenstillstandes erkunden sollten, muß geprüft werden. Ich weiß nicht, ob die dafür erforderlichen Kontakte in Afghanistan hergestellt werden können.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele