Frage an Hans-Christian Ströbele von René S. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Ströbele,
da ich wie viele andere unverheiratete Väter ohne Sorgerecht (und praktisch ohne durchsetzbares Recht auf Umgang) und ungewollt getrennt von meiner 3-jährigen Tochter lebe, würde ich gern wissen welche Schritte gegen diesen, verglichen mit anderen europäischen Ländern, Rechtsmangel unternommen werden können. Gerade im Hinblick darauf, dass der zunehmenden Zahl von überforderten Alleinerziehenden Müttern entgegengewirkt wird und viel wichtiger den betroffenen Trennungskindern ihr Recht auf beide Elternteile eingeräumt werden kann, sofern nicht trifftige Gründe dagegen sprechen.
Sehr geehrter Herr Simon,
vielen Dank für Ihre Frage an Herrn Ströbele. Er hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.
Familienpolitik muss sich orientieren in erster Linie am Kindeswohl – dies gilt in besonderem Maße für kritische Lebenssituationen wie eine Trennung oder Scheidung der Eltern. Für Kinder ist in einer solchen Situation meist der Erhalt sozialfamiliärer Beziehungen entscheidend. Dies gilt für Beziehungen zu beiden Elternteilen, Geschwistern, Großeltern oder anderen Bezugspersonen wie FreundInnen oder MitbewohnerInnen – es sei denn, dies ist aus bestimmten Gründen unzumutbar.
Tatsächlich besteht Handlungsbedarf zur Änderung des Sorgerechts nicht verheirateter Eltern. Derzeit ist eine gemeinsame Sorge nur dann möglich, wenn einvernehmlich eine entsprechende Sorgeerklärung ausgesprochen wird - unabhängig vom Zusammenleben der Eltern und gemeinsamer Pflichtenübernahme. Gegen die Zustimmung der Mutter hingegen ist eine gemeinsame Sorge beider Elternteile nicht möglich. Gegen dieses "Vetorecht der Mütter" waren mehrere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig. In seinem Urteil vom 29. Januar 2003 hat das Bundesverfassungsgericht die geltende gesetzliche Regelung zum Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern im Wesentlichen für verfassungskonform erklärt. Denn obwohl beide Eltern Träger der Elternrechte aus Artikel 6 Abs. 2 Grundgesetz sind, setzt nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung sowohl eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern als auch ein Mindestmaß an Übereinstimmung und eine Ausrichtung am Kindeswohl voraus. "Fehlen die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind zuordnen." Dieses Mindestmaß an Übereinstimmung, das die Verfassungsrichter für die gemeinsame Sorge anführen, spricht gegen eine generelle gemeinsame Sorge auch bei Nichtverheirateten.
Andererseits ist unzweifelhaft, dass auch Väter ein Elternrecht haben. Wegen der vorgezogenen Wahlen konnten wir die Frage, ob das unangetastete Vetorecht der Mutter einzuschränken sei, nicht mehr abschließend klären. Die geltende Übergangsregelung für das Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern (Altfälle) könnte Modellcharakter für die Zukunft des Sorgrechts bei nicht miteinander verheirateten Eltern haben, in denen sich die allein sorgeberechtigte Mutter weigert, eine Mitsorge des Kindsvaters zuzulassen. Wenn der nicht mit der Mutter verheiratete Vater willens und in der Lage ist, die elterliche Verantwortung für das gemeinsame Kind in gleicher Weise wie die Mutter zu tragen und dies auch tatsächlich tut, sollte eine gerichtliche Einzelfallentscheidung zugunsten der gemeinsamen Sorge auch gegen den ausdrücklichen Willen der Mutter möglich sein. Diese gerichtliche Prüfung sollte allerdings nicht - wie in der Übergangsregelung festgelegt - an das gemeinsame Familienleben im Sinne einer tatsächlichen gemeinsamen elterlichen Sorge gebunden sein, sondern auch für Fälle gelten, in denen der Vater seinen Anteil an elterlicher Fürsorge erfüllt und vornehmlich am Willen der Mutter gescheitert ist. Sollte die Mutter die gemeinsame Sorge, wie vom Gesetzgeber in der bestehenden Regelung unterstellt, aus schwerwiegenden Gründen nicht befürworten, werden diese Gründe auch in der Einzelfallprüfung Bestand haben.
Mit freundlichen Grüssen
Dietmar Lingemann