Frage an Hans-Christian Ströbele von Sebastian K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
ich wende mich an Sie als erfahrenen Politiker und Rechtsanwalt.
Meine Freundin ist eine sogenannte Drittstaatlerin und fällt somit unter das diskriminierende Gesetz über den Sprachnachweis zum Ehegattennachzug.
Herr Ströbele,
welche konkreten Maßnahmen unternehmen Sie gegen diese Regelung?
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Regelung über den Rechtsweg für verfassungswidrig erklärt wird?
Meines Wissens gab es bisher nur drei Klagen beim Verwaltungsgericht Berlin, die allesamt abgewiesen wurden. Und die Jahresfrist für die Verfassungsbeschwerde ist auch schon rum.
Werden die Grünen die Abschaffung dieser Regelung als notwendige Bedingung für jegliche Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl 2009 machen?
Über eine Antwort würde ich mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Sebastian Köster
Sehr geehrter Herr Köster.
vielen Dank für Ihr Fragen vom 16.9.2008.
Ich teile Ihre Kritik an der Verschärfung des Zuwanderungsgesetzes. Insbesondere die neue Regelung, nach der für den Ehegattennachzug bereits vor der Einreise Deutschkenntnisse verlangt werden, haben meine Fraktion und ich in der Debatte um den Gesetzentwurf als diskriminierend und völlig unnötig kritisiert. Gegen Zwangverheiratung ist die Maßnahme wirkungslos; dazu sind ganz andere Maßnahmen erforderlich, die aber von Schwarz-Rot abgelehnt wurden. Sprachkenntnisse sind zwar notwendig, aber Deutsch können Ehepartner und -partnerinnen viel einfacher lernen, wenn sie erst einmal hier sind. Zu diesem Zweck wurden unter Rot-Grün die Integrationskurse eingeführt. Die neue Beschränkung des Familiennachzuges steht unseres Erachtens auch nicht im Einklang mit Artikel 6 des Grundgesetzes, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Mehr zu unserem Protest gegen die Gesetzesverschärfung finden Sie auf unserer Homepage unter http://www.gruene-bundestag.de/cms/integration/dok/186/186584.htm.
Im Bundestag hatten wir beantragt, die Beschränkung des Ehegattennachzugs aus dem Gesetzentwurf zu streichen, konnten uns aber gegen die Mehrheit von Union und SPD leider nicht durchsetzen. So wurde das Gesetz am 14.06.2007 von der Regierungsmehrheit im Bundestag beschlossen. Am 28.08.2007 ist es in Kraft getreten. Unterdessen haben wir in zwei Anträgen http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/081/1608183.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/076/1607680.pdf
die Bundesregierung aufgefordert, die umstrittenen Neuregelungen beim Ehegattennachzug zurückzunehmen. Beide Anträge wurden vor der Sommerpause vom Innenausschuss des Bundestages abgelehnt - die 2./3. Lesung im Bundestag steht noch aus.
Überdies wissen wir, dass mehrere Betroffene Rechtsmittel einlegt haben und insbesondere prüfen lassen wollen, ob das von Schwarz-Rot beschlossene Gesetz überhaupt verfassungsgemäß ist. Bislang sind es unseres Wissens nach nur erstinstanzliche Urteile; ob diese rechtskräftig wurden oder Rechtsmittel eingeleght wurde, weiß ich nicht.
Viele Betroffene haben sich wegen Problemen mit der Regelung zum Ehegattennachzug - insbesondere auch wegen der hohen Kosten, die für Kurse, Prüfungen und eine event. Unterbringung am Ort des Goetheinstituts anfallen, auch an den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt. In Einzelfällen war es hier möglich, dass die betroffenen Familienangehörigen einreisen konnten.
Vielleicht wäre das auch für Sie eine Möglichkeit. Praktische Informationen zu Petitionen finden Sie auf der Homepage des Bundestages unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/a02/onlinepet/index.html . Zwar sind Petitionen aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nur bedingt erfolgreich, aber einen Versuch ist es allemal Wert. Der Petitionsausschuss muss jede Eingabe prüfen und immer wieder kann er auch tatsächlich helfen.
In jedem Fall zwingt eine Petition auch Abgeordnete von Union und SPD, sich damit auseinanderzusetzen, welche Folgen ihr Gesetz in der Praxis hat. Im Gegensatz zum Rechtsweg sind mit der Petition auch keine Kosten verbunden.
Zwar kann das Petitionsverfahren eine ganze Weile dauern, aber noch länger würde es vermutlich dauern, darauf zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht irgendwann einmal die Neuregelung des Ehegattennachzugs kippt oder dass es nach der nächsten Bundestagswahl andere Mehrheiten im Bundestag gibt.
Ich hoffe, dass Ihnen diese Hinweise zumindest ein wenig weiterhelfen. Wir werden weiter darauf drängen, dass der Ehegattennachzug wieder menschenfreundlicher gestaltet wird. Als derzeit kleinste Oppositionsfraktion sind unsere Möglichkeiten aber leider begrenzt.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Ströbele