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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Helmut S. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Helmut S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ströbele!

Herr Schäuble, Frau Merkel und auch der Herr Bundespräsident haben sich zum Grundgesetz bekannt. Amtsträger und Parlamentarier müssen einen Eid auf die Verfassung leisten.

Art. 1 Abs. 3 GG; 20 Abs. 3 GG; 97 Abs. 1 GG binden die Staatsgewalten an das Gesetz. Nach dem Gesetz müssen Richter unparteiisch und nur dem Gesetz verpflichtet sein. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in mehreren Entscheidungen herausgehoben. Die Neutralität bedeutet einen gleichen Abstand zu den streitenden Parteien. Dieser Abstand ist bereits dann nicht mehr gewahrt, wenn der Richter publiziert. Mit der Veröffentlichung könne zumindest in der Öffentlichkeit der Eindruck einer Befangenheit entstehen (2 BvR 2062.07). Bringen wir es auf den Punkt. Der Richter ist weitestgehend von Einflüssen Dritter freizuhalten. Er spricht Recht auf Grund der Verfassung und des einfachen Gesetzes.

Legen Sie diesen Maßstab an die Finanzgerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht, dann bleibt festzustellen, daß ein Richter in dem o. a. Sinn nicht existiert. Die Richter der Finanzgerichtsbarkeit stammen nahezu vollständig aus der Finanzverwaltung. Sie halten Vorträge, publizieren umfangreich und zitieren sich in ihren Entscheidungen selber. Damit ist der Finanzgerichtsweg „Partei“ nahestehend i. S. des Rechts. Ist er jedoch Partei, dann ist dem Prinzip der Gewaltenteilung nicht entsprochen. Auch dies, ein glatter Bruch der Grundrechte.

Keine politische Partei und schon gar keine Regierungspartei haben dieses Problem, ein elementares rechtsstaatliches Problem, erkannt, geschweige denn gelöst.

Dadurch wird ersichtlich, daß sämtliche Beteuerungen zum Grundgesetz lediglich Lippenbekenntnisse sind.

Die Grünen haben den Naturschutz politikfähig gemacht. Sie selbst haben Anfang der 70-iger sehr mutig Strafverteidigung ausgeübt. Sie sind deshalb ein Mann des Rechts. Nun, auch deshalb, meine Frage an Sie:

Wann beginnen „die Grünen“ dem Grundgesetz zum Durchbruch zu verhelfen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr gehrter Herr Samjeske.

Sie haben recht mit Ihrem Hinweis auf die überragende Bedeutung, die der Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter in einem Rechtsstaat zukommt. Diese Bedeutung hat auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont.

Allerdings bedeutet Unabhängigkeit und Unbefangenheit doch nicht, daß die Richterinnen und Richter mit dem jeweiligen Fachbereich vor ihrer richterlichen Tätigkeit nichts zu tun gehabt haben dürfen.
Das sehe ich anders als Sie.
Ganz im Gegenteil halte ich es für richtig, daß ein Strafrichter möglichst auch mal einige Zeit in der Strafverfolgung oder im Strafvollzug beruflich tätig gewesen ist oder ein Handelsrichter im Bereich des Handels und der Industrie, ein Arbeitsrichter im Bereich der abhängigen Beschäftigung usw. Dies gilt auch für die Richterinnen und Richter in den Finanzgerichten. Gerade wenn Sie vorher in der Finanzverwaltung tätig waren, können sie besonders sachkundig sein und auch in der richterlichen Tätigkeit auf ein Fachwissen zurückgreifen.
Unabhängigkeit kann doch nicht heißen, daß die Richter sonst nie mit dem Fachgebiet in Berührung gekommen sein dürfen und möglichst wenig Ahnung von dem Fachgebiet haben. Zu recht wird deshalb bei der Auswahl der Richterinnen und Richter besonders Wert darauf gelegt, daß sie auch Praxiserfahrung für das jeweilige Fachgebiet mitbringen.

Fachjuristische Weiterbildung und die Beteiligung an der öffentlichen Diskussion von Fachproblemen durch Vefassen von Aufsätzen ist kein Grund für die Annahme der Befangenheit.
Selbstverständlich sollte allerdings ein Richter nicht vor seiner Entscheidung in einem justizförmigen Verfahren eine Meinung zu dem konkreten Einzelfall veröffentlichen, mit dem er gerade befaßt ist. Ansonsten setzt er sich der Gefahr aus, von einer Prozeßpartei zu recht wegen Befangenheit abgelehnt zu werden. Ihm könnte vorgeworfen werden, seine Entscheidung stehe schon fest und sei von den Argumenten der Prozeßparteien nicht mehr beeinflußbar.
Ich bin deshalt nicht der Auffassung, dem Grundgesetz müsse erst noch zum Durchbruch verholfen werden. Denn es gilt:
Richter mit Praxiserfahrung in dem jeweiligen Fachgebiet - Ja, aber Richter, die eine vorgefaßte Meinung vor der Urteilsfindung veröffentlichen - Nein.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele