Frage an Hans-Christian Ströbele von Günther W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
die Bürgerrechte sind ein wichtiges Thema. Aber wie kann ich sie durchsetzen, wenn sich der Staat nicht an die eigenen Gesetze hält?
Wie bekannt, ist nach Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, analog Art. 6 II EMRK, durch das gewisse Rechte und Freiheiten gewährleistet werden, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll in der Fassung des Protokolls Nr. 11 Straßburg, 16.09.1963 enthalten sind, die Freiheitsentziehung wegen zivilrechtlichen Schulden, -und somit die Einleitung einer Beugehaft für die Abgabe einer zivilrechtlichen eidesstattlichen Versicherung-, eine Menschenrechtsverletzung.
Wie sehen Sie das? Wo bleiben die Menschenrechte, wenn man zur Abgabe der EV mittels Haftbefehl gezwungen werden soll?
Mit freundlichen Grüßen
Günther Wagner
Sehr geehrter Herr Wagner.
Ihre Auffassung trifft nicht zu.
Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verbietet nicht, daß die Abgabe einer Eidestattlichen Versicherung durch die Anordnung einer Freiheitsentziehung erzwungen wird.
Nach Art. 5 Absatz I b EMRK darf einem Menschen die Freiheit entzogen werden, wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird wegen Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder zur Erzwingung der Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung.
Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, besteht die Verpflichtung für einen Schuldner an Eidesstatt zu versichern, daß er kein pfändbares Einkommen und kein Vermögen hat. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung kann er durch Androhung von Haft durch das Gericht oder auch Vollstreckung der Haft gezwungen werden.
Dem steht auch nicht Artikel 1 des Protokolls Nr. 4 zu dieser Konvention entgegen, wie Sie offenbar annehmen.
Dort ist vereinbart, daß niemand die Freiheit allein deshalb entzogen werden darf, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichung zu erfüllen. Denn der Haftbefehl zur Erzwingung der eidesstattlichen Versicherung ergeht nicht, weil der Schuldner seine Schuld nicht bezahlt, also einer vertraglichen Zahlungspflich nicht nachkommt, sondern um den Schuldner zu veranlassen, im Einzelnen darzulegen, daß er nicht zahlen kann. Diese Verpflichtung ergibt sich aus der Zivilprozeßordnung.
Nach dem Protokoll Nr. 4 ist also eine Freiheitsentziehung untersagt, quasi als Bestrafung dafür, daß der Schuldner eine vertragliche Schuld nicht erfüllt - früher gab es die Einrichtung eines "Schuldturmes", die ist heute verboten - , nicht aber eine Ordnungs- oder Beugehaft zur Erzwingung der Einhaltung einer gesetzlichen Verpflichtung etwa nach der Zivilprozeßordnung ( §§ 888 oder 9o1 ZPO).
Mit freundlichem Gruß
Ströbele