Frage an Hans-Christian Ströbele von Ralf L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Anlässlich der Talk Show Anne Will heute zum Thema Demokratieverdossenheit der Büger gab es auf Anne Wills BLOG eine hitzige Diskussion, in der unter anderem auch aussufernder Lobbiismus als Quelle von Politikverdruss und Demokratieverdruss genannt wurden.
Ich weiss, dass Sie befürworten, dass Nebeneinkünfte von Politikern veröffentlicht werden sollen. Aber natürlich stellt man sich die Frage, ob das reicht, und ob die Wirtschaft/Industrie nicht durch ihren Lobiismus (der ja nicht nur durch bezahlte Nebetätigkeiten wirkt) so weit auf die Politik einwirken, dass viele Bürger daran zweifeln, dass die Volksvertreter auch im Namen des Volkes handeln und abstimmen.
Daher meine Frage: hat Sie das in der Vergangenheit und heute auch zum Nachdenken gebracht, wie man dieser Problematik begegnen kann? Haben Sie Ideen, Vorschläge, Initiativen was man tun könnte?
(PS: mir ist noch nix wirklich Gutes eingefallen, da sich Lobbiismus nur sehr schwer sachlich erfassen lässt, und erst recht kaum bestimmbar ist, ob und wie er sich konkret auswirkt).
Ich bin hier neugierig zu hören, was jemand, der ja sozusagen mittendrin ist (im Bundestag, mit meiner Stimme mitgewählt), eigentlich davon mitbekommt... also was ist Ihr persönlicher Eindruck, wie stark ist der Einfluss von Wirtschaft und Industrie auf die Gesetzesvorschläge (wo ja ab und an auch berichtet wird, dass bestimmte Lobby-Gruppen sogar Gesetzesvorschläge mit erarbeitet haben) und auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten?
Sehr geehrter Herr Liebenow.
Der Einfluß der Lobbyisten auf Gesetzgebungsverfahren und Abgeordnete ist groß - mal mehr, mal weniger.
Allerdings sind die Gründe nicht nur die Beeinflußbarkeit von Mitarbeitern in den Ministerien oder von Abgeordneten, sondern manchmal auch reale Probleme.
So stößt die Forderung, große teuere Autos mit hohem Bezinverbrauch nicht länger faktisch dadurch aus Steuermitteln zu subventionieren, daß die Kosten für deren Kauf und Unterhalt grenzenlos steuerlich abzugfähig sind, auf das Argument, daß bei einer Änderung der Abzugfähigkeit viel weniger dieser Autos verkauft und damit Arbeitsplätze verloren werden. Dieses Argument macht auf viele Abgeordneten Eindruck, besonders auf die, die aus Wahlkreisen kommen, wo die Autofabriken sind.
Da treten dann schnell politische, ökologische und Gründe der Gerechtigkeit in den Hintergrund, das Richtige und Vernünftige gerät dann zuweilen rasch aus dem Blickfeld.
Deshalb setze ich mich dafür ein, daß alle Lobbyaktivitäten, vor allem Spenden und Geschenke an Parteien und Abgeordnete, vollständig offen und transparent sein müssen, daß die Bürgerinnen und Bürger auch auf Bundesebene die Möglichkeit erhalten müssen, durch Volksbegehren und Volksentscheide ganz demokratisch korrigierend in die große Politik einzugreifen und daß die Abgeordneten schon jeden Anhaltspunkt für eine Abhängigkeit von Firmen und Lobbyisten offen erkennbar machen müssen. Es darf nicht sein, daß Abgeordnete noch auf den Gehaltslisten von Firmen und Verbänden stehen, wenn sie über Gesetze entscheiden, die auch die wirtschaftlichen Interessen von diesen berühren, wie dies in der Vergangenheit der Fall war und toleriert wurde.
Die grüne Bundestagsfraktion wird ein Gesetz zur erweiterten Strafbarkeit von Abgeordnetenbestechung im Bundestag auf die Tagesordnung setzen, wie es Transparency International seit Lagem fordert.
Letztlich bleibt der Schlüssel zur Verriegelung der Tür gegen den falschen Einfluß von Lobyisten bei der Bevölkerung. Sie muß durch richtige Ausübung ihres Wahlrechts dafür sorgen, daß Parteien und Abgeordnete in Machtpositionen kommen, die die Gewähr dafür bieten, daß sie unabhängig von Lobbyisten ihr Mandat wahrnehmen.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele