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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Mirko H. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Mirko H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Ströbele,

in Bezugnahme auf Ihre Antwort an Herrn Stein (Rechtsfolgen von Verfassungsbruch) möchte ich eine weiterführende Frage an Sie richten. Wenn also durch das BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer parlamentarischen (legislativen) Entscheidung oder eines Exekutivbeschlusses (Kabinett) festgestellt wird, so hat dies also schlicht nur die Nichtigkeit der Entscheidung zur Folge. Wenn aber im Falle der AWACS-Entscheidung fünf Jahre ins Land gehen, bis sich das BVerfG zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit durch Nichtbeteiligung des Bundestages durchringt, sind unheilbare Tatsachen geschaffen worden, die Gerichtsentscheidung wirkt nur in die Gegenwart und Zukunft. Durch diese verzögerte Feststellung der Verfassungsmäßigkeit von politischen Entscheidungen könnte die Verlockung groß sein, zunächst einen politischen Willen in Kraft zu setzen und dann beruhigt abzuwarten, bis Jahre später das BVerfG diese Entscheidung kassiert.

Aufgrund der vielen Feststellungen von verfassungswidrigen Entscheidungen gerade der Exekutive müsste doch ein beschleunigtes Verfahren beim BVerfG möglich sein, um verfassungswidrige Entscheidungen VOR deren Umsetzung zu stoppen, ähnlich wie bei "Gefahr im Verzug"? Wenn es solche Eilanträge geben sollte, warum macht die Opposition von diesen Verfassungsklagen nicht verstärkt Gebrauch?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Heinke.

Es gibt die Möglichkeit, beim Bundesverfassungsgericht in eiligen Sachen zur Vermeidung eines nachhaltigen Schadens eine einstweilige Anordnung zu beantragen. Die Opposition macht auch immer wieder von der Möglichkeit Gebrauch, zuletzt bei der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung.

So war es auch im Falle des Einsatzes von Bundeswehrsoldaten in den AWACs-Flugzeugen über der Türkei vor Beginn des Irakkrieges. Auch damals hatte die klagende FDP-Fraktion den Erlaß einer einstweiligen Anordnung zum sofortigen Stopp dieses Einsatzes beantragt. Das Bundesverfassungsgericht hatte diesen Antrag aber abgelehnt.

Von der Möglichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnungen macht das Verfassungsgericht nur sehr zögerlich Gebrauch, weil damit in der Regel eine Vorwegnahme der Endentscheidung verbunden ist, die aber nur nach sehr gründlicher Prüfung häufig verbunden mit der Anhörung von Sachverständigen erfolgen sollte. Das Gericht hat eine Rechtsprechung entwickelt, wonach als Voraussetzung für den Erlaß von einstweiligen Anordnungen eine Abwägung vorgenommen werde muß, welcher Schaden größer ist, der durch die Verweigerung der Anordnung oder der durch die Anordnung entstehen könnte. Weitgehend unberücksichtigt bleibt dabei, ob tatsächlich ein Verstoß gegen die Verfassung festgestellt werden wird. Das heißt, daß auch bei der Ablehnung einer einstweiligen Anordnung letztlich ein Verfassungsverstoß vorliegen kann. Wie im Fall der AWACs-Einsätze.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele