Frage an Hans-Christian Ströbele von David W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Ströbele,
ich kann nicht fassen, dass Sie dem EU-Monster zugestimmt haben.
Wie kann ein grüner Rechtsanwalt, der sich mehrfach gegen den Überwachungsstaat & gegen neoliberale Politik gewehrt hat, nur so verantwortungslos & demokratiefremd sowie entgegen seiner ´public opinion´ handeln?
Herr Ströbele, haben Sie bspw. über die unglaublichen Auswirkungen auf das Klima & die Natur nachgedacht, als Sie zugestimmt haben, die EU zu einem militärischen Global Player zu machen? Kennen Sie die "CO2-Bilanzen" von Panzern? Wissen Sie was Depleted-Uranium- & andere Munition, sowie weitere schreckliche Waffensysteme bei Mensch und Natur anrichten? Die sog. "Battle Groups": Was kosten die uns, Herr Ströbele? Oder der "Anschubfonds", der "durch ein besonders schnelles Verfahren um auf die Haushaltsmittel zuzugreifen" genehmigt wird? Oder Herr Ströbele, sitzen Sie etwa im Gremium der "Ständigen strukturierten Zusammenarbeit" wo nur Länder zulässig sind, die ein bestimmtes militärisches Potential "leisten"?
Noch etwas viel Wichtigeres: Sie als Rechtsanwalt & Vorzeigedemokrat, werden mir doch sicher sagen können, warum Sie dafür gestimmt haben, dass IM KRIEGSFALL, also im Wichtigsten aller Fälle, die Gewaltenteilung in der EU völlig außer Kraft gesetzt wird:
# das Europ. Parlament wird in Angelegenheiten der Außen- & Sicherheitspolitik lediglich informiert & angehört; Entscheidungen trifft ausschließlich der Rat (die "Exekutive" der EU)
# der ganze Bereich der Außen- & Sicherheitspolitik ist rechtsstaatlicher Kontrolle entzogen; nach Art. 240 ist der Gerichtshof der Europäischen Union hierfür "nicht zuständig"
( http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Europa/verf/baf.html - Bitte ansehen, Herr Ströbele!)
D.h. weder die Legislative (das Europ. Parlament), noch die Judikative (der Gerichtshof) sind befähigt etwas zu verhindern.
Es gibt noch so viele andere unglaubliche Sachen.
Ich frage mich also: Wie konnten Sie dem so zustimmen? Wo ist da noch Demokratie?
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Wagenleiter.
Die Gründe für meine Entscheidung zu den EU-Verträgen habe ich in einer Erklärung zur Abstimmung im Bundestag zu Protokoll gegeben. Sie können sie im amtlichen Protokoll des Bundestages oder auch auf meine homepage nachlesen.
Ich füge eine etwas ausführlichere Fassung aber nochmal als P.S. diesem Schreiben an.
Wesentlicher Grund ist, daß ich die Vertrags- und Rechtslage nach Verabschiedung der Verträge in wichtigem Punkten für besser halte als die bisherige. Das führe ich aus.
Ihre Beispiele stehen dieser Auffassung nicht entgegen. Denn die schlimme CO2-Bilanz von Panzern gibt es heute schon. In Deutschland sind in den letzten Jahren die Panzer nicht mehr mehr, sondern weniger geworden. Diese Entwicklung wird durch den Lissabon-Vertrag auch nicht geändert.
Auch die schreckliche Uranium-Munition wird durch den Lissabon-Vertrag nicht zugelassen. Die gibt es mit oder ohne Lissabon-Vertrag angeblich hier nicht, aber vielleicht doch.
Aufrüstung und Installation neuer Waffensysteme wird durch den Lissabon-Vertrag nicht geschaffen, sondern leider wie in der Vergangenheit auch schon ohne Lissabon-Vertrag in Zukunft vermutlich fortgesetzt. Über deutsche Haushaltsmittel auch für Rüstung, auch in einen "Anschubsfonds", entscheidet auch in Zukunft allein der Deutsche Bundestag und hoffentlich einschränkender als bisher.
Und Deutschland ist schon bisher ohne Lissabon-Vertrag an der "ständigen strukturierten Zusammenarbeit" und deren Gremien beteiligt.
Es stimmt doch nicht, daß all diese militärischen Grausamkeiten für den Lissabon-Vertrag erfunden und mit dessen Inkrafttreten erst eingeführt wurden. Es gibt das alles und noch viel mehr seit langem in der EU und insbesondere in der Nato, in der Deutschland nicht nur einer der wichtigsten Mitglieder ist, sondern in deren Rahmen schon bisher nicht nur aufgerüstet, sondern gar ein veritabler Krieg mit deutscher Beteiligung (in Afghanistan) geführt wird. Und die Nato gibt es weiter. Verglichen mit der Nato ist die EU auch im militärischen Bereich ein demokratisch kontrollierter Staatenbund. Ein Nato-Parlament, das auch nur ein Bruchteil der Kompetenzen hätte, die das EU-Parlament hat, sucht man vergeblich. Das heißt natürlich nicht, daß gerade auch in diesem Bereich die Rechte des EU-Parlaments ausgebaut und vervollständigt werden müssen. Bisher und im Lissabon-Vertrag gibt es dazu nur kleine Fortschritte, aber immerhin mehr als bisher.
Und nun nochmal grundsätzlich:
Allein im Deutschen Bundestag wird darüber entschieden, ob die Bundeswehr sich bewaffnet an einem Auslandseinsatz beteiligt. Das hat das Bundesverfassungsgericht jetzt nochmal bekräftigt.
Und auch über den Kriegsfall und die innerstaatliche Anwendung der Notstandsgesetze in Deutschland entscheidet allein das deutsche Parlament. Auch das schreibt das Grundgesetz vor. Durch den Lissabon-Vertrag ändert sich daran doch gar nichts. Das ist und bleibt in Deutschland die Rechtslage nach der Verfassung. EU-Rat und EU-Kommission können die Notwendigkeit dieser deutschen Parlamentszuständigkeit nicht ändern.
Das Problem ist doch nicht, daß diese innerstaatliche parlamentarische demokratische Kontrolle wegfällt, - Nein, sie bleibt voll und ganz erhalten - sondern daß sich immer wieder auch in Deutschland Parlamentsmehrheiten finden, die für Aufrüstung Geld bewilligen, vielleicht auch für einen "Anschubfonds" und kriegerischen Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen. Das aber hat wieder nichts mit dem Lissabon-Vertrag zu tun.
So sieht das der grüne Rechtsanwalt.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele
Sehr geehrter Herr Wagenleiter.
Der Vertrag von Lissabon ist in der Substanz mit dem Verfassungsvertrag weitgehend identisch.
Die Kritik, wie sie beispielsweise von attac und der französischen Linken an Teilen der EU-Verfassung 2005 geäußert wurde, ist nach wie vor schwerwiegend und in einigen Punkten berechtigt. Dazu gehört, dass die Staaten Europas zur militärischen Aufrüstung verpflichtet, militärische Missionen ohne UN-Mandat nicht generell ausgeschlossen und viele Elemente einer neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für Europa festschrieben werden.
Es wäre sicher besser, die Verträge sähen anders aus. Vieles wäre noch wünschenswert. Allerdings sollte eine Beurteilung der EU-Verträge sich nicht nur am Wünschenswerten orientieren, sondern am Vergleich mit der heutigen Rechts- und Vertragslage, also was wird schlechter und was besser, wenn die Verträge angenommen werden.
Und da sieht das Ergebnis anders aus. Viele der kritisierten Inhalte sind schon heute auch nicht besser geregelt, sondern finden sich seit Langem in geltenden EU-Verträgen und der Praxis. Die Verträge bringen sogar wesentliche Verbesserungen, wie die Grundrechtscharta und erheblich mehr Rechte für das EU-Parlament und die nationalen Parlamente.
Und die Todesstrafe wird durch die EU-Verträge nun wirklich nicht in Deutschland eingeführt und das kann auch in Zukunft nicht passieren.
1. Kaum verständliche und unübersichtliche Vertragstexte
Richtig ist, dass die vorgelegte Fassung der Verträge auf für Juristen schwer lesbar und kaum verständlich ist. Auch ist alles sehr unübersichtlich. Erst in diesen Tagen soll eine konsolidierte Fassung online gestellt werden, aus der die Bundeszentrale für politische Bildung eine Druckfassung erstellen wird. Das ist bedauerlich und zu kritisieren, weil damit die Diskussion über den Text unnötig erschwert wird.
2. Verträge sind keine Verfassung
Der Vertrag ist keine Verfassung. Damit ist die Rechtsqualität auch eine andere. Ich war und bin der Meinung, dass über eine EU-Verfassung eine Volksabstimmung in allen Ländern der EU stattfinden sollte. Die Notwendigkeit einer Legitimation durch eine Volksabstimmung sehe ich beim jetzigen Vertragsbündel weniger zwingend als bei der EU-Verfassung. Trotzdem wäre ich dafür, auch hierüber die Völker in einem Referendum entscheiden zu lassen. Dass dies nicht geschieht, kritisiere ich.
3. Bessere Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages
a. Ich habe damals gefordert, dass die EU-Verfassung nicht verabschiedet werden sollte, ohne dass vorher die Mitwirkung des Bundestages bei der zukünftigen Rechtssetzung in Europa umfassend und vollständig durch Gesetz geregelt wird.
Diese Forderung ist inzwischen erfüllt. Der Bundestag hat ein solches Gesetz rechtzeitig verabschiedet, das auch deutliche Verbesserungen für die Mitwirkungsmöglichkeit des Bundestages gegenüber dem bisherigen Stand enthält.
Danach wirken Bundestag sowie Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühest möglichen Zeitpunkt zu unterrichten. Sie gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen Union und muss die Stellungnahmen bei ihren Verhandlungen berücksichtigen. Die Bundesregierung muss im Rat sogar einen Parlamentsvorbehalt einlegen, wenn der Beschluss des Bundestages in seinen wesentlichen Belangen nicht durchsetzbar ist. In einer weitreichenden Vereinbarung über die Zusammenarbeit von Bundestag und Bundesregierung in Angelegenheiten der Europäischen Union werden diese Rechte konkretisiert.
Damit hat der Bundestag mehr Möglichkeiten als bisher, sich frühzeitig einzuschalten und auf die europäische Rechtssetzung Einfluss zu nehmen, eine Verbesserung des bisherigen Rechtszustandes.
Nur wenn der Gemeinschaft konkret eine Zuständigkeit übertragen wurde und sie genau und nur in diesem Bereich Recht schafft, hat dieses Recht Vorrang vor unserem nationalen Recht.
Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gilt nur in den Kompetenzbereichen der Gemeinschaft und wenn ein dem Grundgesetz im Wesentlichen gleich zu achtenden Grundrechtsschutz gewährleistet wird.
Die Gemeinschaft besitzt also keine allumfassende Zuständigkeit, sondern wird nach dem Prinzip der "begrenzten Einzelermächtigung" zuständig. Das bedeutet, dass die EU nur dann Rechtsnormen erlassen darf, wenn sie durch die Gemeinschaftsverträge dazu explizit ermächtigt ist. Und diese Rechtsnormen werden immer im Zusammenspiel zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat, in dem dann die jeweiligen nationalen Fachminister vertreten sind, erlassen.
Das hatte schon Folgen: Dienstleistungen sollen nicht per se liberalisiert werden. Im Gegenteil durch das neue Protokoll zur Daseinsvorsorge also zu den Dienstleistungen von allgemeinem Interesse werden nichtwirtschaftliche Dienste geschützt und die Kompetenz der Mitgliedstaaten bestätigt. Denn hier wird zum ersten Mal im europäischen Primärrecht eindeutig die Zuständigkeit und der weite Ermessenspielraum der nationalen, regionalen und lokalen Behörden bei der Erbringung, Organisation und dem in Auftrag geben der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse festgehalten. Ein Punkt, der zwischen den Mitgliedstaaten bisher umstritten war. Die enge Definition der sozialen Dienste in der Dienstleistungsrichtlinie wird aufgebrochen. Das Protokoll spricht in Zusammenhang mit der Erbringung dieser Dienste nicht mehr von "bedürftigen Nutzern", sondern den "Bedürfnissen der Nutzer".
b. Die Verträge schaffen noch das Recht auf Subsidiaritätskontrolle, bei der zwischen der Subsidiaritätsrüge und der Subsidiaritätsklage zu unterscheiden ist. Mit der Subsidiaritätsrüge kann der Bundestag per Stellungnahme den Entwurf eines Gesetzgebungsakts rügen, wenn er gegen das Subsidiaritätsprinzip verstößt. Ein noch stärkeres Instrument ist die Subsidiaritätsklage: ein Viertel der Mitglieder des Bundestages kann beschließen, eine Klage zu erheben, wenn sie das Subsidiaritätsprinzip als verletzt ansehen. Weitere Punkte enthält die Brückenklausel, d.h. wenn der Europäische Rat vorschlägt, bei der Beschlussfassung im Rat von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit bzw. vom besonderen zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren überzugehen, kann der Bundestag dies mit der Mehrheit seiner Stimmen ablehnen, womit die Initiative dann scheitert und Unterrichtungen durch die Bundesregierung in EU-Angelegenheiten, die in der Vereinbarung zwischen Bundestag und Bundesregierung in EU-Angelegenheiten (BBV) bereits ausführlicher geregelt wurden.
4. Mehr soziale Rechte als im Grundgesetz
In der Grundrechtecharta ist zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union in einem einzigen Text die Gesamtheit der bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechte der europäischen Bürger sowie aller im Hoheitsgebiet der Union lebenden Personen zusammengefasst.
Es ist keineswegs so, dass Grundrechtecharta und Verträge ausschließlich eine neoliberale Wirtschaftsordnung festschreibt und damit Errungenschaften des Grundgesetzes aufgeben werden. Ganz im Gegenteil enthalten die Verträge Forderungen nach sozialer Gestaltung und nach sozialer Gerechtigkeit, die über das hinausgehen, was im Grundgesetz steht.
Richtig ist, die Verträge enthalten die Festschreibung des "Grundsatzes einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb", aber auch das Bekenntnis, die EU wirkt auf "eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt"... "Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes. Sie fördert den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten" (Art. 2, Absatz 3 EUV) Und nach der sozialen Querschnittsklausel müssen alle Rechtsakte künftig auf ihre Sozialverträglichkeit hin überprüft werden (Art. 5a AEUV): "Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen trägt die Union den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung." 5. Mehr Mitwirkungsrechte für EU-Parlament Die Verträge machen die EU demokratischer, transparenter und effizienter. So wird das bisherige "Mitentscheidungsverfahren" zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren in der EU. Das heißt, dass das EU-Parlament und der Ministerrat in 95 Prozent der Europäischen Gesetzgebung zum gleichberechtigten Gesetzgeber werden. Das EU-Parlament kann in Zukunft hierbei nicht nur über das abstimmen, was die EU-Kommission vorgelegt hat, sie kann gravierende Änderungen bewirken. Auch heute schon können die Mitgliedstaaten und das EP die Kommission auffordern, einen Rechtsetzungsakt vorzulegen (Art. 192, 2 EGV).
Mit der EU-Bürgerinitiative wird erstmals ein direktdemokratisches Element in die EU eingeführt. Damit können 1 Million EU-BürgerInnen die Kommission einladen, zu einem bestimmten Bereich einen Gesetzesvorschlag vorzulegen 6. Bindung an VN-Charta Es stimmt nicht, dass die Verträge die VN-Charta aushebeln. Im Gegenteil durch den Vertrag wird die EU ausdrücklich auf die "Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen" festgelegt. Damit muss die EU "internationale Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei(zulegen), dass der Weltfriede, die internatonale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden" (Artikel 2 Absatz 3 UN-Charta).
In Artikel 2 (5) EUV wird festgeschrieben:
"In ihren Beziehungen zur übrigen Welt schützt und fördert die Union ihre Werte und Interessen und trägt zum Schutz ihrer Bürgerinnen und Bürger bei. Sie leistet einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, globaler nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitiger Achtung unter den Völkern, zu freiem und gerechtem Handel, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere der Rechte des Kindes, sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen." Damit werden nicht nur zivile und militärische Fähigkeiten auf eine Stufe gestellt, sondern auch die gesamte Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik an die Charta der Vereinten Nationen gebunden!
7. Keine Bundeswehreinsätze ohne Zustimmung des Bundestages Die militärischen relevanten Aussagen der Verträge sind im Kern bereits Bestandteil geltender Verträge bzw. getroffener Beschlüsse des Europäischen Rates. Das macht sie nicht besser. Die "ständige strukturierte Zusammenarbeit" im Militärbereich bringt keine relevante zusätzliche Verpflichtung. Sie ist für jeden EU-Mitgliedstaat freiwillig und kann jederzeit einseitig beendet werden, vor allem lässt sie den "besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten (also die Neutralität) unberührt".
Auslandseinsätze werden nach wie vor vom Deutschen Bundestag entschieden. Die EU hat keine eigenen Streitkräfte. Missionen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die übrigens vor allem ziviler Art sind, können nur durchgeführt werden, wenn einzelne Nationalstaaten bereit sind, nationale Streitkräfte oder BeamtInnen zur Verfügung zu stellen und alle Mitgliedstaaten der EU im Ministerrat der Mission zustimmen. Im Falle Deutschlands wäre es so, dass eine deutsche Beteiligung an einem EU-Einsatz nur stattfinden kann, wenn der Bundestag dem Antrag der Bundesregierung zustimmt. Kaum ein Parlament in der EU hat so weitgehende Mitwirkungs- und Kontrollrechte bei Auslandseinsätzen, wie der Deutsche Bundestag.
Im Inneren erlaubt das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr nur in streng definierten Ausnahmefällen. Dabei bleibt es. Nach Art. 222 des VvL und der beigefügten Erklärung zu diesem Artikel ist klar, dass die Wahl der Mittel zur Erfüllung ihrer Solidaritätsverpflichtung allein den Mitgliedstaaten obliegt. Der Union stehen insbesondere nur militärische Mittel von Mitgliedstaaten zur Verfügung, die diese ihre bereitstellen. Über den Einsatz militärischer Mittel im eigenen Land entscheiden die Mitgliedstaaten in eigener Verantwortung und gemäß den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften.
8. Aufrüstungsverpflichtung
Gegen die Bestimmung des Artikel 28a EUV (3), wonach sich die Mitgliedstaaten "verpflichten (...), ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" und eine "Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung Europäisches Amt für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten" einzurichten, habe ich erhebliche Bedenken. Als das noch in der EU-Verfassung stand, war ich darüber empört und habe ich mich heftig dagegen gewandt, weil eine solche Aufgabe in einer Verfassung auch wegen des hohen Symbolgehalts nichts zu suchen hat und auch politisch abzulehnen ist. Nun steht es nicht mehr in einer Verfassung , sondern in einem Vertrag. Ich halte es gleichwohl weiter für falsch und nicht vertretbar.
Allerdings bildet diese Bestimmung nur die Realität nach, denn die Agentur wurde bereits im Jahr 2004 auf der rechtlichen Grundlage des bestehenden EU-Vertrags eingerichtet und wird also nicht mit dem Vertrag von Lissabon neu geschaffen. Sie ist die Nachfolgeorganisation der Beschaffungsagentur OCCAR, der Westeuropäischen Rüstungsorganisation WEAG und der Westeuropäischen Rüstungsgruppe WEAO.
Eine "Aufrüstungsverpflichtung" wurde bisher nie daraus hergeleitet und sollte auch in Zukunft daraus nicht entnommen werden. Die "Verbesserung" wurde bisher eher als Effektivierung angesehen. Umfang und Ausstattung der Streitkräfte sowie die Höhe der Militäretats werden weiterhin im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten bleiben. Außerdem wird jede Regierung für sich in Anspruch nehmen, dass sie bereits in der Vergangenheit ihre militärischen Fähigkeiten "schrittweise" verbessert habe und dies auch in Zukunft "schrittweise" tun werde.
Die (west-)europäischen Staaten haben sich in den vergangenen Jahrzehnten wiederholt und in unterschiedlichster Form für eine engere Zusammenarbeit im Rüstungsbereich ausgesprochen. Gemessen an den Ansprüchen sind die Fortschritte in diesem Bereich eher marginal. Jeder der inzwischen 27 Staaten unterhält nach wie vor seine eigenen Streitkräfte und eigene Rüstungskapazitäten. Arbeitsteilungen und das Zusammenlegen oder Poolen von Fähigkeiten sind selten. Vielfach sind diese Streitkräfte schon auf Grund unterschiedlicher technischer Standards nicht in der Lage, zusammen zu arbeiten. Das bedeutet konkret: Die europäischen Staaten geben mehr Geld für Verteidigung aus, als nötig. Mit der Europäischen Verteidigungsagentur wird ein erneuter Anlauf unternommen, diese Ineffizienz "schrittweise" zu beseitigen. Dies wird Jahrzehnte dauern. Nach Auffassung der Bündnisgrünen kann eine stärkere militärische Zusammenarbeit friedenspolitisch dann Sinn machen, wenn dadurch militärische Überkapazitäten abgebaut, Streitkräfte reduziert und Verteidigungsausgaben eingespart werden.
Ich halte diese Bestimmung gleichwohl weiter für politisch falsch und nicht für vertretbar.
10. Keine Einführung der Todesstrafe
Die Europäische Menschenrechtskonvention wird übernommen. Sie stammt aus dem Jahr 1950. Seit den fünfziger Jahren ist sie in der Bundesrepublik bereits in Kraft und unmittelbar geltendes Recht, also überhaupt nicht neu. Sie enthält viele wichtige Garantien von Menschen- und Verfahrensrechten.
Sie lässt tatsächlich unter bestimmten Umständen die Todesstrafe zu. Dies war der Kompromiss zu diesem Punkt, der damals zum Zeitpunkt der Erarbeitung der EMRK, als es in mehr Ländern noch die Todesstrafe gab, erreicht werden konnte. Dies war jedoch für andere Staaten wie die Bundesrepublik inakzeptabel. Daher sind dann in der Folge zwei Zusatzprotokolle zur EMRK verfasst worden, mit denen die Todesstrafe unter allen Bedingungen abgeschafft wird. Dabei handelt es sich um das 6. und das 13. Zusatzprotokoll. Deutschland und eine Zahl der Europarats-Mitglieder haben diese beiden Protokolle unterzeichnet und ratifiziert. Damit haben sie sich zu einem höheren Schutz verpflichtet, als von der EMRK vorgesehen.
Durch Art 102 Grundgesetz ist die Todesstrafe abgeschafft. Eine Wiedereinführung wäre nicht nur mit diesem Artikel, sondern auch mit Art. 1 GG nicht zu vereinbaren.
Resümee:
Durch den Vertrag von Lissabon wird die bisherige Rechts- und Vertragslage und die daraus entwickelte politische Praxis in Deutschland nicht wesentlich verschlechtert.
Die geltenden EU-Verträge von Maastricht bis Nizza sind nicht besser, sondern in einigen Punkten wesentlich schlechter, weil die sozialen Rechte bei Ihnen noch viel mehr hinten anstehen, weil sie keine Grundrechtscharta und weit geringere Rechte für das Europäische Parlament enthalten. Militärische Aufrüstung und gemeinsame Militäreinsätze der EU-Staaten finden nach geltendem Vertragsrecht genauso statt wie sie nach dem Lissabon-Vertrag stattfinden können. Das geltende Vertragsrecht verhindert offensichtlich nicht einmal die Beteiligung an Angriffkriegen ohne UN-Mandat, wie sich an der Teilnahme einzelner EU-Staaten am Irakkrieg zeigt.
Eine durchaus wünschenswerte Verbesserung des Vertrages von Lissabon ist nicht in Sicht. Neue Verhandlungen würden eher zu einer Reduzierung der sozialen Rechte führen.
Das Grundgesetz wird durch die Verträge nicht abgeschafft. In seinem wesentlichen Gehalt, vor allem die Grundrechtsgarantien bleiben voll und einklagbar in Kraft.
Das gilt auch für das allgemeine Völkerrecht.
Militärische Einsätze der Bundeswehr bedürfen weiterhin der Zustimmung des Bundestages.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele