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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Thomas P. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Thomas P. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ströbele,

bitte gestatten Sie mir wegen der großen Bedeutung des Falls Görgülü eine Zusatzfrage: In Ihren Antworten haben Sie mehrfach die richterliche Unabhängigkeit hervorgehoben. Diese ist jedoch nach Art. 97 Abs. 1 GG untrennbar an die Unterwerfung des Richters unter das Gesetz gebunden.

Mit anderen Worten: Ein Richter, der Mitglied eines Spruchkörpers ist (etwa am OLG), kann zwar von seinen Kollegen bei der Beschlussfassung überstimmt werden, gerade wegen seiner Unabhängigkeit kann er jedoch nicht verpflichtet werden, einen Beschluss zu unterschreiben, den er persönlich für nicht rechtskonform hält. Im Gegenteil, gerade die Unterwerfung unter das Gesetz (die von deutschen Richtern beim Zitieren des Art. 97 GG immer wieder gerne vergessen wird) verbietet ihm, diesen Beschluss durch seine Unterschrift zu bestätigen. In ähnlichem Zusammenhang hat auch der Herr Bundespräsident seine Unterschrift unter Gesetze verweigert, die er für nicht verfassungskonform hielt.

Im Umkehrschluss: Jeder Richter, der durch seine Unterschrift dazu beiträgt, einen Beschluss in Rechtskraft erwachsen zu lassen, bestätigt mit dieser Unterschrift, dass er den Beschluss vollinhaltlich mitträgt und ggf. verantwortet. Durch die Ausfertigung des Beschlusses werden Inhalt und Ergebnis der richterlichen Beratung unerheblich. Soweit es um die Frage der Rechtsbeugung geht, ist lediglich das "Endprodukt", nämlich der Wortlaut des Beschlusses maßgeblich. Im Fall Görgülü entsteht der Eindruck, dass das Beratungsgeheimnis lediglich als Vorwand für die Diskulpierung der Richter missbraucht werden soll.

Wie sehen Sie als Jurist im Spannungsfeld der beiden Halbsätze des Art. 97 Abs. 1 GG die daraus erwachsenden Konsequenzen für den Tatbestand der Rechtsbeugung? Mein Bestreben ist nicht die Abänderung von Gesetzen, sondern ihre Anwendung in der vom Gesetzgeber gewollten und präzise formulierten Weise. Dies betrifft ausdrücklich auch den § 339 StGB.

Mit freundlichen Grüßen

Thomas Porombka

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Porombka.

Es mag ja sein, daß Richter, die in der Beratung gegen die Entscheidung des Senats gestimmt hatten, ihre Unterschrift verweigern oder sich in anderer Weise dagegen hätten stellen sollen. Aber daraus, daß sie dies nicht getan haben, ist ein strafbarer Vorwurf, etwa der einer Beteiligung an einer Rechtsbeugung nicht herzuleiten.

Sie verkennen im übrigen den Unterschied einer Unterschrift von Richtern unter einem Urteil oder einer anderen Sachentscheidung des Gerichts und der des Bundespräsidenten unter einem Gesetz.
Der Bundespräsident schafft mit seiner Unterschrift eine notwendige Voraussetzung für das Inkrafttreten eines Gesetzes und übernimmet damit auch eine Verantwortung dafür, daß das Gesetz verfassungsgemäß zustande gekommen ist und nicht gegen das Grundgesetz verstößt.
Die Unterschrift des Bundespräsidenten kann nicht durch eine andere ersetzt werden.

Die Richter bestätigen mit ihrer Unterschrift, daß die Entscheidung und deren Begründung dem Verlauf der Beratung entspricht. Die Unterschrift eines Richters kann auch durch eine andere ersetzt werden, wenn er verhindert ist.

Die richterliche Unabhängigkeit nach Art. 97 GG darf im Rechtsstaat nicht angetastet werden. Die Richer sind andererseits an die geltenden Gesetze gebunden (ebenfalls Art. 97 Abs. I GG), aber bei deren Auslegung bleibt ein weiter Raum. Im Falle eines unauflösbaren Widerspruchs zwischen Gestz und Unanhängigkeit, etwa wenn der Richter ein Gesetz entgegen seiner Überzeugung, z. B. weil er es für verfassungswidrig hält, anwenden soll, bleibt nur, daß er keine Entscheidung trifft. Er kann dann das Bundesverfassungsgericht anrufen oder aus dem Gericht ausscheiden, aber all dies war im Fall Görgülü wohl nicht gegeben.

Mit freundlichem Gruß
Ströbele