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Hans-Christian Ströbele
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Frage von Thomas P. •

Frage an Hans-Christian Ströbele von Thomas P. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Ströbele,

in
Ihrer Antwort vom 29.01.2008 an Herrn Dominik Strauss schrieben Sie:

"Für eine Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung müsste festgestellt werden, dass dieser vorsätzlich und zwar mit direktem Vorsatz das Recht gebeugt hat."

Diese Erfordernis ist mit dem Wortlaut des § 339 StGB nicht in Einklang zu bringen; sie entspringt vielmehr der sog. "richterlichen Fortbildung des Rechts". Diese richterliche Fortbildung ist jedoch grundgesetzwidrig, da sie dem Prinzip der Gewaltenteilung widerspricht. Insbesondere der Wortlaut einer Bestimmung, die die strafrechtliche Verfolgung von Richterunrecht zum Inhalt hat, ist der richterlichen Auslegung nicht zugänglich - sie darf dieses auch gar nicht sein.

Bisher hat die Legislative tatenlos zugesehen, wie sich die Judikative in immer stärkerem Umfange ihrer ureigensten Aufgaben bemächtigt hat (s. dazu auch die Aufsätze "Irrationales Recht" von Dr. Ekkehard Reinelt, Anwalt am BGH, und "Der Niedergang des Rechtsstaates" von Dr. Egon Schneider, ehem. Richter am OLG).

Was beabsichtigen Sie, was beabsichtigt Ihre Fraktion dagegen zu unternehmen, dass Richter in zunehmendem Maße den eindeutigen Wortlaut verbindlicher Rechtsnormen außer Kraft setzen und das Recht, wie am Beispiel Görgülü - aber nicht nur dort - in beängstigender Weise demonstriert wird, zu ihrer gegenseitigen Rechtfertigung beugen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Porombka.

Sie haben recht, der Gesetzgeber muß Klarheit schaffen, wenn ein Gesetz von der Rechtsprechung anders ausgelegt und angewandt wird, als es seinen gesetzgeberischen Intentionen entspricht. Aber aktuellen Fall würde ein gesetzliche Klarstellung nichts bringen.

Auch ich war schon 1968 äußerst empört, als ich mich damals als Refendar mit dem Freispruch des ehemaligen Richters am Volksgerichtshof näher befaßt hatte und dabei auf das sog. Richterprivileg gestoßen war.
Inzwischen hat sich viel geändert, auch die Rechtsprechung zur Strafbarket richterlicher Rechtsbeugung. So wurden nach der Wende ehemalige DDR-Richter vereinzelt verurteilt, anders als die Richter des Volksgerichthofes der Nazizeit. In meiner früheren Anwort hatte ich darauf bereits hingwiesen.

Ursprünglich war die Strafbarheit der Rechtsbeugung in § 336 StGB geregelt und zwar fast wortgleich wie jetzt im § 339 StGB. Mit Zuchthaus wurde bestraft, wer sich "der Beugung des Rechts schuldig macht". Allerdings war damals das Wort "vorsätzlich" im Tatbestand ausdrücklich genannt.
In der Fassung des § 339 StGB fehlt das Wort "vorsätzlich". Mit der Neufassung wurde klargestellt, das absichtliches oder wissentliches Handen nicht erforderlich ist, sondern bedingter Vorsatz ausreichen soll. Das hatte der Gesetzgeber - wie sie es jetzt verlangen - zur Anwendung vorgegeben. Die Rechtsprechung verlangt deshalb auch nicht mehr den direkten Vorsatz, aber einen bewußten Rechtsbruch wegen der der richterlichen Unabhängigheit, der nach Art 97 des Grundgesetzes Verfassungsrang zukommt.

Das Ergebnis bleibt weitgehend das gleiche. Bestraft wird nur der Richter, dem nachgewiesen wird, daß er sich bewußt und in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt hat.
Soweit ich ohne Aktenkenntnis beurteilen kann, vermute ich, daß die Verurteilung der Richter in Halle nicht an dem "Richterprivileg" scheitern würde, also nicht an der wie auch immer zu beurteilenden, von Ihnen kritisierten "richterlichen Fortbildung des Rechts". Aber scheitern dürfte der Schuldnachweis am Recht der Beschuldigten auf Aussageverweigerung und am Beratungsgeheimnis.
Beides wollen wir nicht abschaffen, denn sie sind aus grundsätzlichen Erwägungen für den Rechtsstaat unverzichtbar, auch wenn deshalb ein Strafverfahren zuweilen nicht zufrieden-stellend durchgeführt werden kann, wie im Fall der vom Europäischen Gerichtshof gerügten Richter.

Eine "Fortbildung des Rechts" durch die Gerichte war immer wieder auch mal hilfreich und manchmal sogar notwendig. So war es bei Entscheidungen zum Familienrecht wie der gewaltfreien Erziehung von Kindern oder zum Datenschutz wie der Entwicklung des Grundrechts auf informelle Selbstbestimmung. Dies kann dann gelten, wenn der Gesetzgeber nicht nachkommt mit der Anpassung des Rechts an neuere technische oder gesellschaftliche Entwicklungen und die Gebote des Grundgesetzes.

Vielleicht handelt es sich dann auch nicht um eine Fortbildung, sondern um eine neue Auslegung des Rechts im Lichte einer geläuterten Sicht von Normen des Grundgesetzes.

Die Fortbildung des Rechts bleibt vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers. Auch damit haben sie recht.
Daß ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Änderung des § 339 StG notwendig und sinnvoll ist, sehe ich derzeit nicht.

Mit freundlichem
Ströbele