Frage an Hans-Christian Ströbele von Dominik S. bezüglich Recht
Sehr geehrter Herr Ströbele,
im Fall des türkischen Vaters Görgülü wurde Deutschland im Jahr 2004 durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt.
Haben Sie bereits von diesem Fall gehört?
In diesem nun unglaubliche 8 Jahre andauerndem Fall wurde dem zuständigem Senat des OLG Naumburgs durch das Bundesverfassungsgericht Willkür und eine Umgehung der ZPO attestiert. Die Staatsanwaltschaft erhoben drauf gegen den kompletten Senat des OLG Naumburg Anklage wegen Rechtsbeugung.
Das Amtsgericht Halle lehnt die Eröffnung eines Verfahren ab, da sich die Senatsmitglieder auf ihr Beratungsgeheimnis berufen und man somit nicht ermitteln könne, wer von den 3 Richtern für die Rechtsbeugung verantwortlich ist.
Darüber hinaus wurde selbst dieser Beschluß des AG Halle geheimgehalten.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2007/0331/politik/0056/index.html
http://www.strafrecht-online.de/index.php?id=124&aktuelles_id=129971
Herr Ströble, stimmen Sie mir zu, dass wenn dieses Urteil des AG Halle bestand hat, es defacto in Deutschland unmöglich ist einen OLG-Senat wegen Rechtsbeugung zur Verantwortung zu ziehen.
Die Rechtsbeugung könnte noch so offensichtlichsein , der betroffene Senat könnte sich immer auf sein Beratungsgeheimnis herausreden.
Meinem Rechtsverständis nach hatte ich derartiges bisher eher in den Bereich totalitärer Regime angesiedelt und nicht in einem (angeblichem) demokratischen Rechtsstaat.
Mit freundlichen Grüßen
D.Strauss
Sehr geehrter Herr Strauss.
Der Fall war mir nicht bekannt. Er ist unglaublich. Leider wurde er von der Öffentlichkeit viel zu wenig wahrgenommen. Deshalb danke ich für den Hinweis.
In der Sache wird an der Entscheidung des Landgerichts Halle wohl nichts mehr zu ändern sein. Selbst wenn die Anklage zugelassen würde, wäre eine Verurteilung der Richter des OLG, die die vom Bundesverfassungsgericht als willkürlich kritisierte Entscheidung getroffen haben, schon aus tatsächlichen Gründen unwahrscheinlich. Dies nicht nur wegen des Beratungsgeheimnisses. Offensichtlich haben die Richter des OLG von ihrem Aussageverweigerungsrecht als Beschuldigte Gebrauch gemacht. Wenn sie diese Aussageverweigerung auch in der Hauptverhandlung als Angeklagte beibehalten hätten, war das Stimmverhalten der einzelnen Richter bei der inkriminierten Entscheidung nicht zu klären, denn andere Zeugen standen offensichtlich nicht zu Verfügung.
Hinzu kommen Rechtsgründe. Für eine Verurteilung eines Richters wegen Rechtsbeugung müßte festgestellt werden, daß dieser vorsätzlich und zwar mit direktem Vorsatz das Recht gebeugt hat. Dies ist ohne Geständnis nur ganz selten möglich.
Das ist übrigens auch der Grund, warum im Nachkriegswestdeutschland nicht ein einziger Richter des Volksgerichtshofes rechtskräftig verurteilt wurde.
Zwar haben die deutschen Gerichte bei der Aburteilung von Richtern aus der DDR das Gesetz nicht ganz so einschränkend ausgelegt, aber von den tausenden von Ermittlungsverfahren gegen DDR-Richter führten auch nur wenige zu einer Verurteilung.
So bleibt ein schaler Nachgeschmack, aber ohne Änderung des Gesetzes ist eine Verurteilung in solchen Fällen nicht zu erwarten.
Mit freundlichem Gruß
Ströbele